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Russland: Armenien wird für Putin zur Bedrohung


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Russlands Pläne im Kaukasus
"In einem großen Krieg wären wir chancenlos"


Aktualisiert am 15.12.2024 - 16:21 UhrLesedauer: 4 Min.
Russlands Präsident Wladimir Putin und Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan: Die Kaukasus-Republik wendet sich immer mehr von Russland ab.Vergrößern des Bildes
Russlands Präsident Wladimir Putin (r.) und Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan: Die Kaukasus-Republik wendet sich immer mehr von Russland ab. (Quelle: IMAGO/Kristina Kormilitsyna)
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Russland galt einst als wichtigster Verbündeter Armeniens. Doch das kleine Land im Kaukasus wendet sich immer mehr dem Westen zu. Dieser Schritt birgt Gefahren.

Tobias Schibilla berichtet aus Eriwan.

Mehr als 30 Jahre war Armenien der "Hinterhof Russlands". Soldaten wurden an russischem Kriegsgerät ausgebildet, russische Truppen bewachten die Grenzen des Landes, Exporte aus der kleinen Kaukasusrepublik gingen fast ausschließlich nach Russland. Eine große Militärbasis der Russen nahe der nordarmenischen Stadt Gjumri diente als wichtiger Stützpunkt im südlichen Kaukasus. Die Beziehungen zwischen den Ländern waren gut.

Doch die Situation ist mittlerweile gekippt. Ein Grund dafür ist das veränderte Kräftegleichgewicht im südlichen Kaukasus: 2020 verlor Armenien im Krieg mit seinem Nachbarland Aserbaidschan etwa ein Drittel seines Territoriums – Aserbaidschan wurde damals von der Türkei und Israel mit Waffenlieferungen unterstützt, die dafür sorgten, dass die veraltete Armee Armeniens chancenlos unterlegen war. Und Russland als Schutzmacht Armeniens sah tatenlos zu, wie Armeniens Staatsgebiet reduziert und viele Einwohner vertrieben wurden.

Spätestens seitdem ist klar: Russland wird im Zweifelsfall eher Aserbaidschan unterstützen. Und Armenien muss sich neue Verbündete in der Welt suchen. Diese Partner findet die kleine Kaukasusrepublik vor allem im Westen – Frankreich und die USA versorgen das Land mittlerweile mit den Waffensystemen, die Armenien braucht, um sich gegen seine die Türkei und das von ihr unterstützte Aserbaidschan zu wehren. Doch diese Neuausrichtung könnte für Armenien zur Bedrohung werden, denn Putin will seinen Einflussbereich nicht teilen und schon gar nicht an den Westen abtreten.

Armenien verstärkt die Zusammenarbeit mit Frankreich und Indien

Leonid Nersisyan ist Militärexperte am Applied Policy Research Institute of Armenia. Seit Jahren beschäftigt er sich mit der armenischen Verteidigungspolitik. "Unsere Zusammenarbeit mit Russland ist auf ein Minimum heruntergefahren", erklärt er im Gespräch mit t-online. Zwar gebe es noch die russische Militärbasis im Land, allerdings gebe es so gut wie keine Kooperation mehr zwischen den armenischen Streitkräften und den Russen, die bei Gjumri stationiert sind.

Dafür habe sich die Zusammenarbeit mit anderen Ländern deutlich verstärkt. "Militärisch arbeiten wir nun viel mit Frankreich zusammen", sagt Nersisyan. Die westliche Großmacht hilft Armenien, indem sie Rüstungsgüter ins Land bringt, die Truppen des Landes ausbildet und militärische Reformen unterstützt. Nersisyan erklärt, ein weiterer wichtiger Partner sei Indien: "Von dort kommt derzeit der Großteil aller importierten Waffensysteme." Zwischen 2016 und 2020 habe Armenien noch Waffensysteme im Wert von etwa 500 Millionen US-Dollar aus Russland importiert, erklärt der Experte. Mittlerweile sollen die Importe aus Frankreich und Indien diese Marke deutlich überschreiten.

Doch es reiche nicht aus, nur die Waffensysteme auszutauschen. "Die größte Herausforderung ist das Training an diesen Systemen", erklärt Leonid Nersisyan. Frankreich und Indien unterstützen Armenien zwar, doch der Wechsel zu neuen Waffensystemen brauche Zeit. "In drei, vier Jahren sollte die Umstellung im besten Fall abgeschlossen sein", sagt der Experte.

Militärexperte: "Unser Land ist sehr verwundbar"

Doch was bedeutet das für die Zeit der Neuorientierung Armeniens hin zum Westen? "Unser Land ist derzeit sehr verwundbar", erklärt Nersisyan. Seit dem Krieg 2020, als Armenien etwa ein Drittel seines Territoriums an Aserbaidschan verlor, ist die Grenze zum Nachbarn deutlich gewachsen. "Wir müssen ständig etwa 1.000 Kilometer bewachen". Armenien sei zudem ein langes und schmales Land. "Das heißt, es ist schwierig zu verteidigen, weil wir nur wenig Möglichkeiten haben, eine starke Streitmacht im Hinterland aufzubauen." Armenien könne zwar Angriffe besser abwehren, die sich nur auf einen Ort beschränken, "in einem großen Krieg wären wir nahezu chancenlos".

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Aserbaidschan wird derzeit von Russland unterstützt. Die beiden Länder haben ihre militärische Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut, während Russland und Armenien sich voneinander lösten. Leonid Nersisyan sieht das als Gefahr: "In gewisser Weise ermutigt Russland Aserbaidschan zur Aggression gegenüber Armenien."

Dass Russland die armenische Annäherung an den Westen ernst nimmt, zeigen Kommentare aus dem Kreml. Im Juli 2024 ließ der russische Auslandsgeheimdienst SVR über die russischen Staatsmedien verbreiten, die USA seien Schuld an Armeniens Orientierung hin zum Westen. Joe Bidens Regierung würde die kleine Kaukasusrepublik dazu drängen, "nationalen Selbstmord" zu begehen, weil sie sich dem Westen zuwende. Washington habe eine langfristige Propagandakampagne gegen Russland in Armenien gestartet, um antirussische Ressentiments in Armenien zu stärken, behauptete der Kreml weiter.

War der Kreml an einem Putschversuch beteiligt?

Russlands Wut über die armenische Hinwendung zum Westen gipfelte im September 2024, als Armeniens Präsident Nikol Paschinyan erklärte, der armenische Inlandsgeheimdienst habe einen Putschversuch enttarnt, der auf Russland zurückgehe. Sieben Armenier seien in einer russischen Militärbasis in Rostow am Don an der Waffe ausgebildet worden und hätten prorussische Landsleute um sich geschart, um die Regierung des amtierenden armenischen Präsidenten Paschinyan gewaltsam zu stürzen. Paschinyan erklärte weiterhin, der Staatsstreich sei gescheitert, weil sich viele Männer aus dem Umfeld der Putschisten gegen einen gewaltsamen Umsturz ausgesprochen und sich dem armenischen Geheimdienst anvertraut hätten.

Der Kreml wies die Anschuldigungen aus Armenien rasch von sich. Maria Zacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, erklärte am 7. Oktober 2024, Russland habe "im Gegensatz zum Westen" kein Ansinnen, sich in die Gelegenheiten anderer Staaten einzumischen.

Auch Neil Melvin, Direktor für internationale Sicherheitsangelegenheiten am Royal United Service Institute in London, sieht nur wenige Belege für eine direkte Einmischung Russlands im Putschversuch. Sein Kollege Collum Fraser erklärte jedoch im Gespräch mit "Newsweek", es sei nicht unwahrscheinlich, dass Russland versuche, "die aktuelle armenische Regierung zu stürzen". Schließlich habe es die Proteste gegen Paschinyans Regierung im Frühjahr 2024 offen unterstützt.

Experte: "Russland ist mit Sicherheit nicht glücklich"

Armenien sieht sich also nicht nur der Aggressivität von Aserbaidschan und der Türkei ausgesetzt, die militärisch versuchen, das Land zu zerstören. Durch die Neuausrichtung zum Westen hin verärgert es die alte Schutzmacht Russland. "Über diese Entwicklungen ist Russland mit Sicherheit nicht glücklich", sagt Experte Nersisyan. Er glaubt, dass Russland auch in Zukunft versuchen könne, Armenien zu destabilisieren.

Deshalb müsse das kleine Land im Kaukasus in den kommenden Jahren daran arbeiten, seine Armee nach den starken Verlusten im Krieg von 2020 wieder auf Vordermann zu bringen. Außerdem müsse der Westen versuchen, die Lage im Südkaukasus zu stabilisieren. "Wenn das in den kommenden Jahren gelingt, können wir unsere Armee auch wieder stärken", sagt der Experte. "Das könnte die Situation für Armenien verbessern."

Verwendete Quellen
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