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Assad flieht aus Syrien: Es endet mit einem Knall


Assad flieht aus Syrien
Jetzt nehmen sie Putin ins Visier


Aktualisiert am 08.12.2024Lesedauer: 6 Min.
Wladimir Putin und Baschar al-Assad: Vor einer geplanten Großoffensive der syrischen Regierung auf Idlib haben internationale Stimmen vor einer humanitäre Katastrophe gewarnt.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin und Bashar al-Assad (Archivbild): Die Entmachtung des syrischen Diktators ist ein großer Rückschlag für Russland. (Quelle: Mikhail Klimentyev/POOL SPUTNIK KREMLIN/dpa)
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13 Jahre nach Beginn des Bürgerkrieges muss Diktator Bashar al-Assad aus Syrien fliehen. Die Rebellenmilizen schafften es in weniger als zwei Wochen, dass die syrische Armee fast komplett kollabierte. Doch wie geht es nun weiter?

Es ist nicht weniger als eine Zeitenwende für Syrien. Nach 54 Jahren Herrschaft der Assad-Familie über das Land ist der syrische Machthaber Bashar al-Assad in der Nacht zum Sonntag geflohen. Mit einem Flugzeug wurde der Diktator in Sicherheit gebracht, raus aus Damaskus, raus aus Syrien. Seine Familie war bereits geflohen, mit Assad versuchten noch führende Mitglieder des Regimes, das Land über den Flughafen der Hauptstadt zu verlassen. Assad und sein Regime müssen die Vergeltung der vorrückenden Opposition fürchten, sollten sie festgenommen werden.

Die syrische Assad-Diktatur endet so, wie viele autokratische Systeme im Nahen und Mittleren Osten enden – mit einem Knall. Was mit dem Arabischen Frühling 2011 in Syrien mit Protesten gegen das Regime begann, endete nicht einmal zwei Wochen nach Beginn der Offensive von syrischen Rebellengruppen, die von Islamisten dominiert werden. Bevor internationale Beobachter die Überraschung über die militärischen Erfolge der Opposition ablegen konnten, ist der Widerstand des Regimes zusammengebrochen.

Video | Jubelszenen in Damaskus: Syrische Rebellen erklären Ende von Assads Regime
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Quelle: reuters

Mit Assad erleben auch Russland und der Iran in Syrien ein Desaster. Die Freude einiger westlicher Beobachter über den schweren Rückschlag für den Kremlchef Wladimir Putin ist allerdings noch getrübt. Denn nun werden Islamisten Syrien regieren und das Ende des Assad-Regimes könnte eben nicht zum Ende der Kämpfe in dem Land führen. Stattdessen könnte die Lage noch chaotischer werden.

Es gibt in Syrien sicherlich einen großen Teil der Bevölkerung, der die Entmachtung von Assad feiert. So gab es bereits kurz nach Bekanntwerden seiner Flucht in großen Städten Feierlichkeiten. Menschen sangen und tanzten auf der Straße. Und das ist keine Überraschung: Assads Herrschaft war blutig und sein Staat war auf der Bewachung seiner Einwohner aufgebaut. Viele saßen im Gefängnis, wurden gefoltert oder verloren Angehörige durch die Willkür des Regimes. Deswegen vertreten nicht wenige Menschen in Syrien die Einstellung, dass es mit einer neuen Herrschaft eigentlich nur besser werden kann.

Doch wie konnte das Assad-Regime, das so viele Jahrzehnte seine Herrschaft über das Land zementierte, in wenigen Tagen zusammenbrechen?

Das gibt Experten noch immer Rätsel auf. Die Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die von Islamisten dominiert wird, hat sicherlich mit dem Beginn ihres Angriffs am 27. November in Aleppo die syrische Armee überrascht. Die Offensive war gut vorbereitet und den Rebellenmilizen gelang es schnell, strategisch wichtige Punkte in der Millionenstadt zu besetzen. Sie setzten erfolgreich Drohnen ein und schafften es vor allem, Offiziere der syrischen Armee gezielt auszuschalten.

Das Ergebnis war Chaos und das war sicherlich ein Grund dafür, warum die Truppen von Assad eigentlich während der gesamten Auseinandersetzung kaum kämpften. Im Gegenteil. Sie ergaben sich oder flohen und ließen Panzer, Waffen und sogar Kampfflugzeuge zurück. Damit wurde die HTS aufgerüstet und ihre Kämpfer rückten über die wichtige Autobahn M5 nach Hama und Homs vor.

Video | Damaskus: Rebellen stürmen Assad-Palast – Chaos am Flughafen
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Quelle: t-online

Diktatur fehlte es an Legitimität

Die syrische Armee konnte sich eigentlich erst in Homs kurzzeitig formieren. Obwohl Assad über 30.000 Soldaten verfügt, die HTS dagegen nur über 10.000 Kämpfer, konnte die Armee nicht ausreichend Gegenwehr leisten. Schnell wurde in den vergangenen Tagen klar, dass die Schlagkraft der syrischen Armee nur auf dem Papier bestand.

Weitere Soldaten ergaben sich, Tausende flohen in den Irak. Das ist mit Mangel an Soldaten und Ausrüstung kaum zu erklären, sondern vielmehr mit der völligen Abwesenheit von Kampfmoral. Die Soldaten der syrischen Armee wollten nicht für Assad kämpfen und sterben. Das zeigt vor allem eines: Der syrische Diktator regierte mit Gewalt und Angst, er hatte aber schon lange keine Legitimität in der syrischen Bevölkerung mehr.

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Es schien gar so, als hätten viele Oppositionelle in Syrien nur auf eine derartige Gelegenheit gewartet. In vielen Städten wurden in den vergangenen Tagen Schläferzellen aktiv, und plötzlich nahmen am Freitag oppositionelle Milizen den Süden Syriens ein. Diese rückten am Samstag gegen Damaskus vor, und selbst die Hauptstadt wurde von der syrischen Armee nicht wirklich verteidigt. Während Assad schon im Flugzeug saß, zogen sich Soldaten und Sicherheitskräfte zivile Kleidung an. Wenige Stunden später erklärte die syrische Armee am Sonntagmorgen die Herrschaft von Assad für beendet.

Erdoğan sieht seine Chance

Ein Grund für den schnellen Kollaps des Assad-Regimes war also die fehlende Legitimität des Diktators. Assad wurde in jedem Fall viele Jahre auch von seinen Verbündeten Russland, dem Iran und der libanesischen Hisbollah an der Macht gehalten. All diese Mächte unterstützten das syrische Regime in den vergangenen Jahren militärisch und sorgten damit auch für eine gewisse Stabilität der Fronten im Bürgerkrieg.

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Doch all diese Verbündeten von Assad sind aktuell geschwächt. Die Hisbollah zog ihre Kämpfer für den Krieg gegen Israel aus Syrien ab, Russland benötigt alle Kräfte im Ukraine-Krieg und das iranische Mullah-Regime ist nach dem Schlagabtausch mit Israel geschwächt. Das syrische Regime war angreifbar wie selten zuvor, und Assad hatte in den vergangenen Jahren seine Armee verkleinert und verbündete paramilitärische Milizen aufgelöst.

Dieses Machtvakuum in Syrien erkannte offenbar der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Die Flucht von Assad ist auch der Moment der Rache für den türkischen Staatschef. Erdoğan ist der Sieger dieser Auseinandersetzung. Die HTS wurde auch über die syrisch-türkische Grenze versorgt, und mit der Türkei verbündete Milizen rücken nun gegen kurdische Gruppen im Norden Syriens vor. Die türkische Regierung war lange mit Assad verfeindet und als Erdoğan die Beziehungen zum syrischen Regime normalisieren wollte, begegnete Assad dem Vorgehen mit Arroganz.

Nun rächt sich der türkische Präsident aber nicht nur an Assad, sondern auch an Putin. Russland hatte die Türkei nach ihrer Bewerbung für eine Mitgliedschaft im Brics-Bündnis zunächst einmal auf die Warteliste gesetzt und Moskau hatte das Getreideabkommen für die Ukraine auslaufen lassen – das war für Erdoğan einer der wichtigsten diplomatischen Erfolge der vergangenen Jahre.

Nun hat Erdoğan in Syrien das getan, was Putin vor ihm in vielen Ländern tat. Er hat die Schwäche seiner Gegner genutzt, um seinen Einfluss auszubauen. Aber auch die Türkei wird wahrscheinlich nicht damit gerechnet haben, dass das syrische Regime so schnell kollabiert. Denn aus den Denkzetteln für Assad und Putin ist am Ende auch für Russland ein Desaster geworden.

Machtkampf in Syrien wird weitergehen

Denn eine zentrale Frage mit Blick auf die Zukunft Syriens wird sein, wie die nun herrschenden Rebellen mit der russischen Militärpräsenz umgehen werden. Tartus ist der einzige russische Marinestützpunkt im Mittelmeer, und es ist wahrscheinlich, dass Russland diesen Hafen aufgeben muss. Geopolitisch verliert der Kreml seinen Zugang zum Mittelmeer und zum Nahen Osten, ein herber Rückschlag für Moskau.

Aber es geht weit darüber hinaus. Russland kann aktuell befreundete Staaten und Regime nicht schützen, auch dieses Signal geht vom Sturz von Assad aus.

Nun werden die Aufständischen die russischen Stützpunkte ins Visier nehmen. Putin hat über viele Jahre die Rebellen mit seinen Kampfflugzeugen bombardieren lassen und gilt bei der syrischen Opposition als die ausländische Kraft, die das verbrecherische Assad-Regime lange an der Macht hielt. Deshalb ist es unvorstellbar, dass Russland seine Stützpunkte in Syrien weiter halten können wird. Das Gleiche könnte für den Iran gelten.

Doch wie die Machtarchitektur Syriens in Zukunft aussehen wird, ist kurz nach der Flucht von Assad noch nicht absehbar. Die HTS wird ohne Zweifel zum mächtigsten Akteur in Syrien werden, aber ihre internationale Akzeptanz wird davon abhängen, wie die Islamisten mit religiösen Minderheiten umgehen und inwiefern sie Menschenrechte achten werden. Zwar kündigte die HTS-Führung an, gemäßigt auftreten und eine Regierung für alle Syrer aufbauen zu wollen. Doch hier kann am Ende wahrscheinlich nur die Zeit die Skepsis besiegen.

Es gibt noch viele offene Fragen. In den kommenden Tagen wird die HTS ihre Macht in Damaskus festigen und die syrische Küstenregion ins Auge fassen. Dort leben überwiegend Alawiten, eine religiöse Minderheit, zu der auch Assad gehört und die lange über Syrien herrschte. Das ist nun vorbei und die neuen Herrscher im Land stehen vor der Herausforderung, die Alawiten in den politischen Prozess des Neuaufbaus Syriens zu integrieren.

Während da vielleicht Diplomatie im Mittelpunkt steht, wird im Norden weiter gekämpft werden. Erdoğan wird wahrscheinlich versuchen, die kurdische Miliz YPG, die mit der türkischen Terrororganisation PKK verbündet ist, zurückzudrängen. Die mit der Türkei verbündete Syrische Nationalarmee (SNA) wird weiter gegen kurdisch-kontrollierte Städte vorrücken und sie könnten am Ende die gesamte kurdische Autonomieregion erobern. Wenn die Amerikaner nicht eingreifen, die Stützpunkte im Norden Syriens haben, drohen auch die Kurden zum Verlierer der gegenwärtigen Entwicklungen zu werden.

Eines liegt auf der Hand: Syrien wird wohl auch nach Assads Flucht nicht zur Ruhe kommen – und es sind Ruhe und Frieden, die sich ein Großteil der syrischen Bevölkerung nach über 13 Jahren Bürgerkrieg sehnlichst wünschen.

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