Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Merkel in Washington Sie kann es nicht
Ein Treffen alter Freunde: Angela Merkel stellt in Washington ihre Memoiren vor, gemeinsam mit Barack Obama. Eine Veranstaltung, die hohe Erwartungen enttäuscht.
Wenn die ehemals mächtigsten Politiker der westlichen Welt zusammenkommen, könnte man eigentlich erwarten, dass das, was sie erzählen, von Relevanz ist. Dass sie über die drängenden Themen der aktuellen Zeit sprechen: über Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, über die Konflikte im Nahen Osten, über die Wirtschaftskrisen, über den Verfall der Demokratie. Dass sie die aktuellen Probleme knallhart analysieren, darüber diskutieren, welche Lösungen jetzt notwendig sind und den Politikern entsprechende Ratschläge an die Hand geben.
Wer Altkanzlerin Angela Merkel und Ex-US-Präsident Barack Obama am Montagabend in der US-Hauptstadt Washington gute anderthalb Stunden zugehört hat, dürfte allerdings arg enttäuscht sein. Denn ihr Gespräch war nicht relevant. Mehr noch: Es war langweilig, aus der Zeit gefallen, voller gegenseitiger Lobhudelei. Und vor allem: frei von jeglicher Selbstkritik.
Wie zwei frühere Arbeitskollegen
Die beiden ehemaligen Staatenlenker waren in dem Konzertsaal "The Anthem" angetreten, um über Merkels Buch "Freiheit" zu sprechen, über ihre Memoiren. Das Gespräch mit Obama bildete dabei den Auftakt einer kleinen Welttour, die Merkel mit ihrem 740-Seiten-Werk absolvieren wird.
Zwei Sessel, zwei kleine Tischchen – Merkel im klassischen weißen Blazer, den sie bereits vergangene Woche in Berlin beim Gespräch mit Anne Will trug, Obama im dunklen Anzug. So sah es auf der Bühne aus, auf der sonst große Bands spielen.
Wie zwei frühere Arbeitskollegen schwadronierten Merkel und Obama über die guten, alten Zeiten, ohne die aktuellen Krisen auch nur einmal zu erwähnen (mit Ausnahme des Klimawandels). Kein einziges Mal fiel etwa der Name Wladimir Putin. Kein einziges Mal der Name Joe Biden oder der Name Donald Trump.
Aus Sicht von Obama und Merkel war das nachvollziehbar. Natürlich mussten sie sich nicht zu den aktuellen Krisen äußern. Doch als Zuhörer hätte man sich es gewünscht.
Gespräch über die Kindheit
Stattdessen sprachen sie über Merkels Kindheit. Sie erzählte ausführlich, wie sie in der DDR aufwuchs, was sie prägte. Merkel sprach von einer glücklichen Zeit – obwohl sie in einer Diktatur lebte. Alles Dinge, die an sich womöglich interessant wären. Aber nicht, wenn man eigentlich erwartet, es geht um die große Politik.
Besonders auffällig war, dass sich Obama scheinbar kaum auf das Gespräch vorbereitet hatte. Seine Fragen an die CDU-Politikerin schienen improvisiert. Teilweise lavierte er minutenlang herum, bis er eine Frage formulierte, auf die Merkel dann eine langwierige Antwort gab.
Die Kommunikation erschwerte, dass Obama Englisch sprach – Merkel allerdings stets auf Deutsch antwortete. "Sie sollten wissen, dass ihr Englisch exzellent ist und wir nie Übersetzer benutzen", lobte Obama die Ex-Kanzlerin. Aber sie sei eben eine sehr genaue Person. Und Genau-Sein, das gehe für Merkel nun mal besser auf Deutsch, erklärte Obama.
"Es war nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen"
Über weite Teile hinweg waren sich die beiden in dem Gespräch einig. In der Vergangenheit war das aber nicht immer so, wie die Altkanzlerin zugab. "Es war nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen, wie wir in Deutschland sagen." Die Lacher des Publikums hatte sie auf ihrer Seite.
Kurze Uneinigkeit herrschte an dem Abend nur bei einem Thema: Warum Merkel Obama in seinem ersten Wahlkampf untersagt hatte, vor dem Brandenburger Tor zu sprechen. Er musste an die nahe gelegene Siegessäule ausweichen.
"Ich glaube, Angela wollte zu Recht darauf achten, dass nicht der eine oder andere Kandidat bevorzugt wird. Und so waren einige der Sehenswürdigkeiten verboten", erzählt der Demokrat augenzwinkernd – und nutzt das deutsche Wort "verboten". Merkel sei dann nach seinem Wahlsieg nicht sicher gewesen, ob er sauer darüber sei. "Das war ich wirklich nicht, aber sie war immer besorgt, dass ich wütend bin."
Anschließend wollte auch Merkel ihre Sicht der Dinge darlegen – ebenfalls mit einem Augenzwinkern. Das Brandenburger Tor sei für die Deutschen ein symbolischer und wichtiger Ort, erläuterte sie. Wenn sie dem Kandidaten Obama erlaubt hätte, dort zu sprechen – wer wäre dann als Nächstes gekommen? Doch alle hätten Obama geliebt – und behauptet, sie fürchte nur Obamas Popularität und Rednerkunst.
"Die Leute sind gekommen, um Angela Merkel zuzuhören"
"Friede, Freude, Eierkuchen" war aber dann wieder angesagt, als es um Merkels Ehemann Joachim Sauer ging. "Wir nennen ihn 'den Professor'", sagte Obama in Anspielung auf seine Arbeit als Quantenchemiker. Joachim Sauer und die frühere US-First-Lady Michelle Obama hätten sich immer prächtig verstanden, so Obama.
Auch hier wieder: Lacher und Applaus aus dem Publikum. Aber Relevanz? Fehlanzeige.
Die allgemeine Belanglosigkeit wurde kurz unterbrochen, als eine Zwischenruferin lautstark versuchte, Gehör zu finden. Was genau sie wollte? Blieb unklar.
Obama versuchte die Situation zu besänftigen, appellierte an die Frau, sagte: "Die Leute sind gekommen, um Angela Merkel zuzuhören, und nicht Ihnen, junge Frau." Ach ja? Die Zwischenruferin kam ausgerechnet an der Stelle ins Spiel, als Obama eine aus dem Publikum vorbereitete Frage zur Politikverdrossenheit vorlas. Die Altkanzlerin schien von der Szene kurz irritiert, fuhr dann aber stoisch fort.
Live-Fragen aus dem Publikum waren nicht vorgesehen. Womöglich, um zu verhindern, dass doch noch ein Diskurs aufkommt? Am Ende verließen Merkel und Obama die Bühne nach einer kurzen Umarmung, und das Publikum applaudierte artig.
Was von dem Abend in Erinnerung bleibt? Die Erkenntnis, dass Merkel und Obama wirklich keine politische Rolle mehr spielen. Ihre Ära ist vorbei. Und: Dass die frühere Kanzlerin alles andere als eine gute Verkäuferin ist.
- Eigene Recherchen
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa