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Fethullah Gülen und Erdoğan: Wie aus Freunden Feinde wurden


Tod des Fethullah Gülen
Kein Frieden: Gülens Tod und Erdoğans Rache


21.10.2024 - 16:11 UhrLesedauer: 4 Min.
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Fethullah Gülen (Archivbild): Der islamische Prediger war früher ein Weggefährte Erdoğans und wurde zu einem seiner erbittertsten Gegner. (Quelle: IMAGO/Hizmet)

Der Prediger Fethullah Gülen und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan waren erbitterte Gegner. Doch das war nicht immer so.

Am Sonntagabend starb der türkische Prediger und Anführer der "Hizmet"-Bewegung, Fethullah Gülen, im Exil in den Vereinigten Staaten. Dort lebte Gülen seit 1999, um einem Strafprozess in der Türkei zu entgehen. Seit Jahren versuchte die Türkei und insbesondere ihr Präsident Recep Tayyip Erdoğan, den Prediger aus den USA ausliefern zu lassen, um ihm in der Türkei den Prozess zu machen.

Der Grund dafür ist klar: Erdoğan beschuldigt Fethullah Gülen, der Drahtzieher hinter dem gescheiterten Putschversuch im Jahr 2016 zu sein. Gülen bestreitet das. Doch die Beziehung der beiden Männer war nicht immer schlecht.

Gülens "Hizmet"-Bewegung eröffnete in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre in vielen Orten der Türkei Studentenwohnheime mit integrierten Koranschulen namens "ışık evler", zu Deutsch etwa "Leuchtturm". Dort boten Anhänger Gülens Bildungskurse und Korandiskussionen, insbesondere für Studenten aus ärmeren Familien, an. Die Bewegung gewann immer weiter an Zulauf und konnte sich dank Gülens guten Beziehungen zur Regierung in den 1980er- und 1990er-Jahren immer weiter ausbreiten. Viele seiner Anhänger stiegen im Staatsdienst auf, auch weil sie an Gülens Bildungseinrichtungen gut ausgebildet wurden.

Die Gülen-Bewegung unterstützte die AKP

Dies führte schon früh zu Warnungen, Gülen-Anhänger würden eigene Netzwerke in Justiz, Verwaltung und dem Sicherheitsapparat aufbauen und damit den türkischen Staat unterwandern. Wie mächtig diese Netzwerke waren, zeigte sich allerdings erst mit dem Aufstieg der neu gegründeten AKP zu Beginn des Jahrtausends. "Gülen-Anhänger unterstützten Erdoğans Partei nach eigenen Aussagen wegen des zunächst von der AKP betriebenen Demokratisierungsprozesses, sicher aber auch aufgrund einer Machtbeteiligung und gezielten Einflussnahme durch Posten und Seilschaften im Staatsapparat", schreibt der Theologe Andreas Renz in einem Essay für den Herder Verlag.

Die AKP nahm diese Hilfe gerne an. Denn die Partei, die bei den Parlamentswahlen 2002 kurz nach ihrer Gründung die absolute Mehrheit erlangen konnte, hatte zu wenig Personal, um alle ihr zugedachten Posten zu besetzen. Mitglieder der Gülen-Bewegung boten der Partei politische und dringend benötigte administrative Unterstützung. Für die konservativ-muslimische Gülen-Bewegung war die AKP wiederum ein Instrument, um den in der türkischen Verfassung festgeschriebenen Laizismus – also die Trennung von Staat und Religion – zu beseitigen.

Ideologisch verband Erdoğan und Gülen also anfangs viel. Die Medien, die Gülen nahestanden und die in der Türkei zu Beginn des Jahrtausends viel gelesen wurden, verherrlichten die AKP geradezu, schreibt die österreichisch-türkische Historikerin und Journalistin Duygu Özkan in einem Artikel für "Die Presse". Gülen warb für Erdoğans Partei, Erdoğan versprach Gülens Anhänger Posten im Staats- und Sicherheitsapparat.

Dabei weilte Gülen während Erdoğans Aufstieg nicht mehr in der Türkei. Seit 1999 lebte der Prediger im US-amerikanischen Exil. Ursprünglich war er in die USA gereist, um sich dort medizinisch behandeln zu lassen – allerdings blieb er auf der anderen Seite des Atlantiks. Denn die damals geltenden kemalistischen Gesetze in der Türkei verboten nicht-staatliche religiöse Bestrebungen. Gülen wurde wegen Bestrebungen zur Re-Islamisierung der Türkei angeklagt und 2000 in Abwesenheit verurteilt.

2008 ließ die AKP-Regierung die Strafe Gülens aufheben. Der Schritt zeigte die damals gute Zusammenarbeit zwischen "Hizmet"-Bewegung und Erdoğans Partei.

In den 2010er-Jahren brechen Gülen und Erdoğan miteinander

Doch irgendwann zu Beginn der 2010er-Jahre folgte der Bruch zwischen Recep Tayyip Erdoğan und Fethullah Gülen. Die genauen Gründe dafür sind bis heute unklar. Im Sammelband "Die Gülen Bewegung" schreibt der Türkei-Experte Günter Seufert, der Prediger habe sich im Exil immer weniger türkisch-nationalistisch geäußert. "Gülen schlüpfte in die Rolle eines muslimischen Demokraten", heißt es dort.

Deshalb habe sich Gülen an der schärfer werdenden Rhetorik Erdoğans, dessen Annäherung an die arabischen Staaten und seinem politischen Handeln gegen Israel gestört, schreibt Seufert.

Teil dieses politischen Handelns gegen Israel war der Versuch im Jahr 2010, die seit 2008 andauernde israelische Seeblockade des Gazastreifens mithilfe von Schiffen zu durchbrechen. Auch die AKP unterstützte den Schiffskonvoi, der die israelische Gaza-Blockade durchbrechen sollte. Gülen soll die Aktion damals entschieden abgelehnt haben.

Der Streit erreichte im Jahr 2013 seinen vorläufigen Höhepunkt, als Ermittler Erdoğan und seinem Umfeld vorwarfen, sich dank ihrer politischen Macht auch persönlich bereichert zu haben. In der Türkei verbreitete sich schnell die These, die Ankläger würden Fethullah Gülen nahestehen. "Der Streit entwickelte sich zum politischen Krieg", schreibt Seufert weiter. Dieser politische Krieg hatte zur Folge, dass die AKP-Regierung die Gülen-Anhänger in die Enge trieb. Schließlich beantragte die türkische Staatsanwaltschaft im Dezember 2014 einen Haftbefehl gegen Gülen.

Zerschlagung der Gülen-Bewegung

Im Jahr 2016 versuchen Teile des Militärs, die Macht in der Türkei an sich zu reißen. Mehr als 250 Menschen starben – und Erdoğan machte den vermeintlichen Drahtzieher des Coups schnell aus. Die Gülen-Bewegung durchziehe den Staat "wie ein Krebsgeschwür", sagte der türkische Staatspräsident.

Gülen wies jede Beteiligung am Putschversuch entschieden zurück, er verurteilte ihn sogar öffentlich. "Als jemand, der in den letzten fünf Jahrzehnten unter mehreren Militärputschen gelitten hat, ist es besonders beleidigend, beschuldigt zu werden, irgendeine Verbindung zu einem solchen Versuch zu haben", sagte er in einer Erklärung. In der Türkei versuchte das Militär, in den Jahren 1960, 1962, 1963, 1971, 1980 und 1997 gegen die Regierungen zu putschen. Dabei kam es zu schweren Menschenrechtsverletzungen.

Die scharfe Verurteilung des Putschversuchs half Gülen und seiner "Hizmet"-Bewegung allerdings nicht. Erdoğan rief den Notstand aus – und ließ mehr als 77.000 Menschen verhaften und mehr als 150.000 Beamten entlassen. Lehrer, Polizisten, Beamte, Militärs oder Staatsanwälte. Sie alle sollen Verbindungen zur Gülen-Bewegung gehabt haben. Beweise gibt es für Gülens Beteiligung am Putschversuch nicht. Es war die Zeit für Erdoğans Rache.

Nach dem Putschversuch ist Gülen isoliert

Nach dem Putsch, den Verhaftungswellen und der Verstaatlichung von Unternehmen und Medien, die in Verbindung zur Gülen-Bewegung standen, war der Prediger in der Türkei nahezu isoliert. Sogar von der Opposition wurde er gemieden, denn sie betrachtete Gülens Netzwerk als eine jahrzehntelange Verschwörung zur Untergrabung der säkularen Grundlagen der türkischen Republik, schreibt der britische "Guardian".

In der Türkei gilt die "Hizmet"-Bewegung seit dem Putschversuch und den anschließenden Verhaftungen als zerschlagen. Doch die Gülen-Bewegung ist ebenfalls ein internationales Netzwerk, das auch in Deutschland viele Bildungseinrichtungen sowie die Stiftung Dialog und Bildung führt. Wie es damit weitergeht, ist nicht bekannt. Der Tod ihres Anführers dürfte die Anhänger Fethullah Gülens allerdings empfindlich treffen – denn einen Nachfolger hat Fethullah Gülen nicht ernannt.

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