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US-Experten warnen vor Russland: "Nato ist nicht vorbereitet"


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Warnung vor russischer Aggression
Darauf ist Europa nicht vorbereitet

MeinungEin Gastbeitrag von M. Droin, S. Monaghan und J. Townsend

16.06.2024Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin: Er hat die Ukraine angegriffen und droht immer wieder auch anderen europäischen Staaten. (Quelle: IMAGO/Alexander Kazakov/imago)

Aktuell geben die USA innerhalb der Nato den Ton an. Drei amerikanische Verteidigungsexperten meinen: Europa muss stärker für seine Interessen eintreten.

Der Krieg in der Ukraine tobt, der US-Präsidentschaftswahlkampf heizt sich auf – derweil setzen sich die führenden Politiker der Nato mit der Frage auseinander, wie sie das Bündnis auf alle erdenklichen Szenarien vorbereiten können. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) warnte bereits, dass Russland "innerhalb von fünf Jahren" Nato-Verbündete angreifen könnte.

Der Konflikt könnte sogar noch früher ausbrechen, wenn Russland auf dem Schlachtfeld in der Ukraine einen Durchbruch erzielt. Ende des Jahres besteht außerdem die Möglichkeit, dass Donald Trump erneut zum Präsidenten gewählt wird. Dieser forderte Russland in der Vergangenheit auf, mit Nato-Mitgliedern, die "nicht zahlen, zu tun, was immer sie wollen".

In der Zwischenzeit wird Joe Biden die Verlagerung der US-Ressourcen in den indo-pazifischen Raum fortsetzen. Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten in Europa werden sich verringern. Die Frage ist nur, ob dies allmählich oder plötzlich geschieht.

Europa ist nicht auf die Verantwortung vorbereitet

Die transatlantische Sicherheit stützt sich auf zwei Säulen: die Kraft der Vereinigten Staaten und die Kraft Europas. Sollten die Vereinigten Staaten in ihrem Engagement für die Nato ins Wanken geraten oder zwischen den Kriegsschauplätzen zu sehr eingespannt sein, müsste Europa den Kontinent ohne US-Unterstützung schützen.

Im Moment ist Europa jedoch nicht auf diese Verantwortung vorbereitet.

Jim Townsend
James Townsend (Quelle: CNAS)

Über die Autoren

James Townsend war von 2009 bis 2017 Staatssekretär für Europa- und Nato-Politik im US-Verteidigungsministerium. Heute ist er Vorstandsmitglied der Denkfabrik "Center for a New American Security" (CNAS).
Mathieu Droin und Sean Monaghan sind Gastwissenschaftler im Europa-, Russland- und Eurasien-Programm der Denkfabrik "Center for Strategic and International Studies"(CSIS).

Für uns ist klar: Die Stärkung des europäischen Pfeilers der Nato ist die klare Antwort auf das Sicherheitsproblem des Kontinents. Doch seit 25 Jahren zögern die Vereinigten Staaten, eine größere Rolle Europas innerhalb des Bündnisses zu unterstützen. Selbst als Washington seine europäischen Verbündeten drängte, mehr für die Verteidigung auszugeben, zögerte die amerikanische Führung, die Zügel der transatlantischen Sicherheit aus der Hand zu geben.

Es ist nun an der Zeit, diese Einstellung zu ändern. Wenn die Staats- und Regierungschefs der Verbündeten im Juli in Washington zum 75. Jahrestag des Nato-Gipfels zusammenkommen, sollten sie sich verpflichten, die europäische Verteidigung zu stärken. Europa muss mehr Geld investieren, um seine militärischen Fähigkeiten und seine Kampfkraft zu verbessern und die Anstrengungen der einzelnen Staaten besser zu koordinieren.

Die Vereinigten Staaten dürfen einer solchen Umgestaltung nicht im Wege stehen.

Auch die Europäische Union sollte dabei helfen. Ohne einen stärkeren europäischen Pfeiler der Nato wird Russland weiterhin die transatlantische Sicherheit bedrohen. Die Vereinigten Staaten werden derweil nicht in der Lage sein, ihre Ressourcen auf China zu konzentrieren.

Die Balkankriege zeigten den Verfall der Streitkräfte

Es wird allgemein angenommen, dass die Nato auf der Stärke der Vereinigten Staaten beruht. In Wirklichkeit entstand das Engagement für kollektive Sicherheit zuerst in Europa.

Im Jahr 1948 unterzeichneten Belgien, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande und das Vereinigte Königreich den Brüsseler Vertrag, der eine Klausel über die gegenseitige Verteidigung enthielt. Dokumente wie der Maastrichter Vertrag von 1992 enthielten Formulierungen über die Übernahme neuer Verteidigungsaufgaben durch Europa – zur Stärkung des "europäischen Pfeilers des atlantischen Bündnisses".

In der Praxis jedoch ließ Europa nach dem Ende der Sowjetunion seine Wachsamkeit schleifen. Die durchschnittlichen Verteidigungsausgaben der europäischen Länder sanken von mehr als drei Prozent des Bruttosozialprodukts (BIP) während des Kalten Krieges auf 1,6 Prozent im Jahr 1995.

Die Balkankriege in den 1990er Jahren machten den Verfall der europäischen Streitkräfte deutlich: Als die Nato intervenierte, übernahm das US-Militär den größten Teil der Kampfhandlungen.

Ein starkes Europa wird die Nato nicht spalten

Das Gerede vom europäischen Pfeiler geriet in der Folge aus der Mode, und die Bemühungen der EU um eine Stärkung ihrer Verteidigungskapazitäten führten nur zu begrenzten Ergebnissen. Heute sollte der europäische Pfeiler ein klar verfolgtes Ziel sein, und nicht etwas, vor dem man zurückschreckt. Ein starkes Europa innerhalb der Nato wird das Bündnis nicht spalten. Und auch nicht dazu führen, dass die Nato ihre Verantwortung für die kollektive Verteidigung an die EU abgeben muss.

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat gezeigt: Nur die EU kann eine kollektive, finanzielle und industrielle Schlagkraft im großen Stil ausüben. Die EU-Institutionen sind bei weitem der größte Geldgeber Kiews, und die EU hat ihre Mitgliedstaaten dabei unterstützt, Verteidigungsgüter in die Ukraine zu schicken.

Die Abschreckung durch die Nato stützt sich auf das Versprechen, dass ein Angriff auf ein Mitglied ein Angriff auf alle ist. So können die Verbündeten die Ukraine unterstützen, ohne Repressalien Russlands befürchten zu müssen.

Darüber hinaus umfasst ein europäischer Pfeiler auch Nato-Mitglieder, die nicht der EU angehören, wie Norwegen, die Türkei und das Vereinigte Königreich. Der europäische Pfeiler der Nato sollte als die Summe der Bemühungen der Europäer um die Stärkung der europäischen Verteidigung gesehen werden.

Es braucht ein neues Ausgabenziel

Um ein starkes Europa in der Nato zu erreichen, müssen die europäischen Länder ihre Verteidigungsausgaben weiter erhöhen. 18 Nato-Mitglieder investieren bereits zwei Prozent ihres BIP in die Verteidigung. Einige, wie Polen, sogar mehr.

Die europäischen Nato-Mitglieder werden in diesem Jahr zusammen 380 Milliarden Dollar in die Verteidigung investieren – weit mehr, als die Vereinigten Staaten für die Unterstützung der Ukraine ausgegeben haben. Einige europäische Verbündete haben jedoch die Zielvorgaben der Nato für Verteidigungsinvestitionen noch nicht erreicht.

Inzwischen gibt Russland 7,5 Prozent seines BIP für sein Militär aus. Da die europäische Wirtschaft viel größer ist als die russische, müssen die europäischen Länder nicht die gleichen 7,5 Prozent ausgeben wie Russland. Aber sie müssen sich auf ein neues Ausgabenziel verständigen.

Das Zwei-Prozent-Ziel wurde 1999 festgelegt, als die Nato noch nicht mit einem revanchistischen Russland an ihren Grenzen konfrontiert war. Die Bündnispartner sollten sich nun zu einem ehrgeizigeren Ziel verpflichten: Zum Beispiel zu Ausgaben in Höhe von mindestens 2,5 Prozent des BIP bis zum Jahr 2030 – eine Zahl, die den Ausgaben der europäischen Staaten während des Kalten Krieges entspricht. Derzeit erfüllen nur fünf Nato-Mitgliedstaaten diese Marke.

Die Nato muss bereit sein, für US-Streitkräfte einzuspringen

Die Gesamtinvestitionen in die Verteidigung sind nicht das einzige Problem Europas. Viele Staaten stimmen sich bei Beschaffungen nicht ab, was zu Lücken führt und ihre Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten erhöht. Die europäischen Nato-Mitglieder müssen ihre Ausgaben darauf ausrichten, die größten Defizite zu beheben.

Sie müssen auch in der Lage sein, mehr zu den Kampftruppen des Bündnisses beizutragen. Im Juni 2022 kündigte die Nato an, die Zahl der Truppen in hoher Bereitschaft um das Siebenfache zu erhöhen. Das bedeutet, dass theoretisch 300.000 Soldaten in weniger als 30 Tagen einsatzbereit sind. Die Streitkräfte der europäischen Verbündeten sind jedoch in den vergangenen zehn Jahren aufgrund unzureichender Investitionen sowie von Problemen bei der Rekrutierung von Soldaten stagniert oder gar geschrumpft.

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Doch die Nato muss auf ein Szenario vorbereitet sein, in dem europäische Streitkräfte für US-Streitkräfte einspringen müssen, die in andere Einsatzgebiete abziehen. Das setzt voraus, dass Washington seinen europäischen Verbündeten gegenüber offener darlegt, wie seine Pläne im indo-pazifischen Raum die Lage der USA in Europa verändern könnten.

Die Abhängigkeit ist nicht tragbar

Russlands Krieg in der Ukraine hat deutlich gemacht, dass die wahre Gefahr für das transatlantische Bündnis in einem schwachen Europa liegt. Die Nato, die EU und kleinere Gruppierungen haben eine Arbeitsteilung gefunden, um die Ukraine und Europas eigene Verteidigung zu unterstützen. Damit haben sie die Befürchtung Washingtons widerlegt, dass Schritte in Richtung europäischer Selbstständigkeit Keile in das Bündnis treiben würden.

Der bevorstehende Nato-Gipfel in Washington sollte ein Moment der Abwägung sein. Die derzeitige Abhängigkeit Europas von den Vereinigten Staaten ist nicht tragbar.

Die Stärkung des europäischen Beitrags innerhalb der Nato ist der beste Weg, um der politischen Unsicherheit zu widerstehen und das Bündnis fest in die europäische Sicherheitsarchitektur einzubetten.

Verwendete Quellen
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