Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Zwist in der Ukraine-Politik Hauptsache es knallt
Frankreichs Präsident Macron schließt Bodentruppen in der Ukraine nicht aus und stichelt gegen Olaf Scholz. So unrealistisch der französische Vorstoß ist: Macron hat dem deutschen Kanzler etwas voraus.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat es wieder getan. Das, was kaum ein anderer europäischer Staatschef so gut vermag wie er: Er haut einen raus – und alle Welt fragt sich, was er denn jetzt schon wieder damit meint.
Mal forderte er eine internationale Militärallianz gegen die Hamas, mal warnte er auf dem Höhepunkt des Ukraine-Krieges die Europäer davor, in der China-Politik zum "Mitläufer" der USA zu werden.
Der Debattendompteur Macron scheint dem Motto zu folgen: Hauptsache, es knallt. Am Montag, kurz vor Mitternacht, brach Macron auf der Ukraine-Konferenz in Paris erneut ein Tabu. "Es gibt heute keinen Konsens darüber, offiziell Bodentruppen zu entsenden", sagte Frankreichs Präsident auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit über 20 europäischen Staats- und Regierungschefs. "Aber in der Dynamik darf nichts ausgeschlossen werden."
Embed
Eigentlich wäre Scholz am Zug gewesen
Bislang galt in der Nato der Konsens: Keine eigenen Truppen in die Ukraine. So unrealistisch und riskant Macrons Vorschlag auch sein mag, der französische Staatschef zog damit erneut alle Aufmerksamkeit auf sich.
Dabei wäre eigentlich Olaf Scholz am Zug gewesen. Vor genau zwei Jahren hatte der deutsche Kanzler die Zeitenwende ausgerufen, die einen außen- und sicherheitspolitischen Epochenwechsel einläuten sollte. Es wäre ein günstiger Zeitpunkt gewesen, im schwierigen Kriegsjahr 2024 seine Rolle als europäischer "Leader" (so nannte ihn Selenskyj würdigend) zu bekräftigen.
Doch er ließ die Chance verstreichen, ja konterkarierte gar das Antreiber-Image, an dem er zuletzt so hart gearbeitet hatte. Immer wieder wies er die europäischen Partner auf ihre nachlassende Unterstützung hin, zuletzt auf der Münchner Sicherheitskonferenz, wo er wie ein Lehrer seine europäischen Schüler zu Hausaufgaben verdonnerte.
Scholz hatte das so systematisch verfolgt, dass selbst die Zeitenwende-Skeptiker in der SPD-Fraktion sich zurückhielten und neulich einem Ukraine-Antrag zustimmten, der durchzogen war von harter militärischer Sicherheitslogik, aber das Wort Diplomatie nur einmal enthielt.
Der Kanzler stellt sich selbst ein Bein
Doch Scholz stellte sich selbst ein Bein, indem er exakt einen Tag vor diesem historischen Tag in der Taurus-Frage weiter Unsicherheit streute. Bei der dpa-Chefredaktionskonferenz am Montag begründete der Kanzler sein Nein zur Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper mit dem Risiko, damit Deutschland in den Krieg zu verwickeln.
Der Kanzler äußerte sich wortreich, aber am Ende blieben doch wieder zahlreiche Fragen offen. Denn wie Militärexperten und der Hersteller MBDA selbst schon vor Monaten klarstellten, sind für den Einsatz des Taurus keine deutschen Soldaten vonnöten. Die Ukrainer können, nach entsprechendem Training in Deutschland, die Ziele der Lenkwaffe selbst eingeben.
Wo sieht Scholz also die Gefahren einer Kriegsverwicklung? Deutschland bildet ukrainische Soldaten bereits an zahlreichen anderen Waffensystemen aus, das Training könnte in diesem Fall sogar vom Hersteller selbst übernommen werden. Zudem ließen sich beim Taurus die Ziele in der Software vor Auslieferung begrenzen, um einen Einsatz in Russland auszuschließen. Oder misstraut Scholz den Ukrainern, etwa dass sie die Programmierung manipulieren und die Waffe doch gegen Ziele in Russland einsetzen?
Macron nutzt Scholz' kommunikative Schwäche
Es sind solche Widersprüche, für die Scholz auch auf internationaler Ebene immer wieder kritisiert wird. Nicht zufällig macht das "Scholzing"-Meme in sozialen Medien aktuell wieder die Runde. Zuletzt attestierte Ex-Finanzminister und SPD-Kollege Peer Steinbrück Scholz einen "Mangel an Führung".
Ob Macron Montagnacht die Schwäche des deutschen Kanzlers sah und darauf seinen Bodentruppen-Vorstoß aufbaute, oder ob der Tabubruch von vorneherein geplant war, ist unklar. Jedenfalls ließ es sich der französische Präsident auf der nächtlichen Pressekonferenz nicht nehmen, noch eine indirekte Spitze gegen Scholz drauf zu legen:
Viele Menschen, die heute "nie, nie", sagten, seien dieselben, die vor zwei Jahren gesagt hätten, "nie, nie Panzer, nie, nie Flugzeuge, nie, nie Raketen mit längerer Reichweite". Scholz war nicht der Einzige, der bei Panzern und Kampfjets zögerte. Aber es fällt schwer, sich vorzustellen, dass Macron irgendjemand anderen meinte als Scholz.
Frankreich in Zahlen deutlich hinter Deutschland
Das Perfide daran ist: Schaut man sich die Zahlen an, macht Deutschland deutlich mehr als Frankreich. Laut dem "Ukraine Support Tracker" des Kieler Instituts für Weltwirtschaft hat Macron gerade mal 0,6 Milliarden Euro Militärhilfe für die Ukraine freigegeben, Deutschland liegt bei 17 Milliarden – und damit weltweit auf Platz 2.
Misst man die Unterstützung am Bruttoinlandsprodukt, ist die Differenz immer noch beträchtlich: 0,45 Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt demnach der deutsche Beitrag – das 20-fache des französischen. Immerhin will Macron jetzt ein Drei-Milliarden-Paket schnüren, ein längst überfälliger Schritt.
Und doch schafft es der französische Präsident besser als der deutsche Kanzler, durch seine Vorstöße Botschaften zu senden. Wie der französische Analyst Eric Maurice auf der Plattform X einwirft, hatte Macron mit seiner Truppen-Äußerung wohl vor allem eines im Sinn: ein Signal der Abschreckung nach Russland. Als Atommacht sei Frankreich noch am ehesten dazu in der Lage, eine Drohkulisse aufzubauen, bei der man den Gegner im Unklaren lasse, wie weit man zu gehen bereit sei.
Übertrieben, gefährlich oder unnütz?
Man mag nun Macrons Vorstoß übertrieben finden, gefährlich oder unnütz. Tatsächlich benötigt die Ukraine keine europäischen Soldaten, sondern vor allem Munition und Flugabwehr. Ebenso kann man Macron dafür kritisieren, dass er den großen Antreiber Europas mimt, nachdem er monatelang wenig getan hat und erst von anderen zum Jagen getragen werden musste (ironischerweise vor allem von Scholz).
Aber Macron springt an, wenn man ihn reizt. Er fühlt sich herausgefordert, wenn man ihm mangelnde Führung vorwirft. Der Kanzler wirkt hingegen sogar dann noch als Bremser, wenn er wichtige Weichen stellt, wie die Sicherheitsvereinbarung für die Ukraine, die sieben Milliarden Euro Waffen und Munition in diesem Jahr oder die bessere Kooperation mit der heimischen Rüstungsindustrie.
Dass das immer noch zu wenig ist, um das Überleben der Ukraine zu sichern, steht auf einem anderen Blatt. Macron sagt, was er will, Scholz sagt hingegen zu oft, was er nicht will. Nach zwei Jahren Zeitenwende müsste Scholz wissen, wie wichtig Kommunikation im Krieg und in der Krise ist – vor allem, wenn es um die zweite Hauptsorge des Kanzlers geht: die Stimmung in der deutschen Bevölkerung.
Kommunikativer Schlingerkurs
Hier argumentiert Scholz zwar nachvollziehbar, dass die Menschen hierzulande mitgenommen werden müssten bei wichtigen Entscheidungen. Vor allem, wenn man sich vor Augen führt, dass der Krieg vermutlich noch lange dauern wird.
Andererseits ist genau das Scholz' große Schwäche: Durch den kommunikativen Schlingerkurs schafft der Kanzler eher mehr Verunsicherung – und wirkt am Ende doch wieder wie ein Zauderer.
Am Dienstag versuchte der Kanzler allerdings, die Initiative wieder zu erlangen und wies Macrons Forderung klar zurück. "Es wird keine Bodentruppen europäischer Staaten oder der NATO geben. Das gilt", ließ er auf X verlauten. Eine Antwort aus Paris steht bisher aus.
- X-Post von Eric Maurice
- X-Post von Bundeskanzler Scholz
- Eigene Beobachtungen