Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Gefährliche Entwicklung Der einstige Partner Europas wendet sich Russland zu
Einst galt das Sahel-Land Niger als Stabilitätsanker in der Region. Mittlerweile arbeitet das Land eng mit Russland zusammen. Für Deutschland ist diese Entwicklung gefährlich.
Russland hat nicht lange gefackelt, nach Mali und Burkina Faso auch den Sahel-Nachbarn Niger zu umwerben. Erst schloss Russland im Dezember ein Abkommen über eine militärische Kooperation ab, nun besucht der nigrische Premierminister Lamine Zeine mit einer hochrangigen Delegation Moskau. Mit dabei der Erdöl- und Verteidigungsminister. Will sich Niger ähnlich wie Mali im Kampf gegen Dschihadisten russische Söldner ins Land holen? Gut möglich, sagen Diplomaten. Die Europäische Union hat ihre Trainingskooperation eingestellt, während die Junta die französischen Truppen aus dem Land geworfen hat. Jetzt brauchen die Generäle militärische Alternativen, und Moskau ist bereit zu helfen.
Für den Westen braut sich in Niger möglicherweise ein Sturm zusammen. Das mehr als dreimal so große Land wie Deutschland liegt an der Hauptmigrationsroute von Subsahara-Afrika Richtung Mittelmeerküste. Auf Druck Europas hatte das Sahel-Land die Libyen-Landroute seit 2015 weitgehend geschlossen.
Russland setzt in mehreren Regionen Armutsmigration Richtung Europa als Waffe ein, um den Westen zu destabilisieren. Finnland schloss im Dezember seine Landgrenze zu Russland, nachdem der Nachbar immer wieder Migranten aus Nahost herübergeschickt hatte, ähnlich wie Belarus in Richtung Baltikum.
Europa setzte voll auf Niger
In Syrien, einem engen Verbündeten Russlands, fliegt eine Fluggesellschaft Flüchtlinge nach Ost-Libyen, um sie von dort mit Wissen der ebenfalls mit Moskau verbündeten örtlichen Behörden über das Mittelmeer nach Europa zu schmuggeln. Starten bald Cham-Wings-Flüge von Niamey nach Bengasi? Das wäre ein Horrorszenario.
Bis Juli war Niger Hauptpartner Europas und Deutschlands im Sahel. Dank seiner geografischen Lage als Transitland für Migranten setzte die Europäische Union voll auf Niger, um eine Wiederholung der Flüchtlingskrise von 2015 zu verhindern. Im Gegenzug für milliardenschwere Hilfen dämmte Niger fortan Migration auf der Route nach Libyen über den Schmugglerhub Agadez ein; jegliche Hilfe zum Durchlassen von Migranten wurde zur Straftat erklärt.
Mit der Machtübernahme der Militärs in Mali und Burkina Faso 2020 und 2022 wurde Niger als Partner dann noch mal wichtiger als das Land mit dem letzten gewählten Präsidenten, Mohamed Bazoum. Riesige Summen an Hilfen, von Militärkooperationen bis Entwicklungszusammenarbeit, flossen in den vergangenen Jahren in das Land, eines der ärmsten der Welt.
Mit der Geldgeber-Party war im Juli Schluss, als Militärs Bazoum überraschend stürzten. Dies war ein Schock für Europa, weil Bazoums Regierung fälschlicherweise als Stabilitätsanker galt. Eine Fehleinschätzung, weil Niger schon immer ein fragiles Land war, wo Putsche sozusagen zum Tagesgeschäft gehören. Insbesondere Frankreichs Präsident Emmanuel Macron konnte den Umsturz eines der letzten Verbündeten in der Region nur schwer verkraften und drängte die westafrikanische Gemeinschaft Ecowas, Bazoum mit einer Militärintervention wieder einzusetzen. Ein Schuss, der nach hinten losging: Die Junta nutzte eine weitverbreitetes anti-französisches Sentiment, um den Abzug französischer Truppen zu fordern und die Bevölkerung für sich zu gewinnen. Die Taktik ging auf: Militärmachthaber Abdourahamane Tiani sitzt seitdem fest im Sattel.
Wo ist Deutschland?
Seitdem haben sich weder Deutschland noch andere EU-Länder aus der Umklammerung Frankreichs gelöst, das jede Annäherung zu den Putschisten abblockt und sogar seine Botschaft in Niamey schloss. Bis heute gibt es nur inoffizielle Kontakte und die Entwicklungszusammenarbeit wurde ebenfalls deutlich heruntergefahren.
Der Besuch von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im Dezember war die Ausnahme und vermutlich ein Versuch, beim Auswärtigen Amt vergeblich ein Umdenken zu erwirken. Denn Europas Boykott hat fatale Wirkungen. Die Putschisten waren ursprünglich bereit, mit Europa zusammenzuarbeiten und hatten auf ein Signal gehofft. Als dies nicht kam, kündigte Niger die EU-Ausbildungsmissionen für Polizei und Militär und suspendierte den Anti-Migrationspakt.
Zur Person
Ulf Laessing leitet das Regionalprogramm Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) mit Sitz in Malis Hauptstadt Bamako.
Russland hat Europas Zögern aufmerksam beobachtet und schnell gehandelt. Moskau war wohl nicht direkt an dem Putsch beteiligt – aber war vorbereitet. Russische Diplomaten hatten ein feineres Gespür als europäische Vertreter für die Stimmung im Land und früh bemerkt, dass viele Menschen Bazoum zu viel Nähe zu Paris vorwarfen. Russland bot Stipendien für Studierende an und investierte auch in Oppositionsgruppen, die schnell beim Umsturz mit russischen Fahnen auftauchten, um den Putschisten zu helfen, die Straße zu mobilisieren. Der Rest war Routine. Russlands Botschafter für Niger, der in Bamako, reiste nach Niamey, um Militärmachthaber Tiani und Premierminister Zeine zu treffen. Dann folgte das Militärabkommen und nun der Besuch des Premierministers, der sich beim Ausstieg aus der Regierungsmaschine am Moskauer Flughafen mit traditioneller Kopfbedeckung vor einem Schneetreiben zu schützen versuchte.
Zeit für Realpolitik
Nun wird sich wohl das wiederholen, was schon in Mali nach der Ankunft von Wagner-Söldnern ab 2022 zu beobachten war: Niger wird die westlichen Kooperationen schrittweise beenden. Das Aufkündigen der EU-Missionen kam just, als das Militärabkommen mit Moskau unterzeichnet wurde. In Mali hatten die Europäer, von Frankreich gedrängt, seinerseits den Fehler gemacht, mit "Liebesentzug" zu drohen, sollte sich die Militärregierung Wagner-Söldner ins Land holen. Das hat Malis Regierung erst recht in die Arme Russlands getrieben.
Europa hat seinen Einfluss damals überschätzt und sich nun auch im Niger völlig verkalkuliert, mit der Fehlannahme, man könnte Nigers neue Machthaber durch Nichtbeachtung beeindrucken und zum Einlenken zwingen. Nun bilden die ehemaligen Partner Europas Mali, Niger und Burkina Faso eine neue Achse Moskaus im Sahel.
Nigers Ministerpräsident besuchte neben Russland auch gleich die Türkei und den Iran – zwei Länder, die ebenfalls wie China ihr Engagement im Sahel und Afrika stark ausbauen. Und Deutschland und die EU? Es ist dringend Zeit für Realpolitik. Selbst Ecowas hat längst den Sturz Bazoums als Faktum anerkannt und eine Militärintervention abgeblasen. Europa muss seine Interessen im Sahel und Niger besser wahrnehmen: Putsche sind bei aller Wertschätzung für demokratische Spielregeln dort leider Teil des politischen Lebens. Wenn sich Deutschland und Europa einem Dialog verschließen, werden autokratische Länder und Gegner des Westens wie Russland die Lücke füllen. Wenn dann mehr Migranten aus Afrika durch Niger zur Mittelmeerroute ziehen, wird das Moskau freuen.
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