"Wir alle waren wütend" Ein Anruf rettete den Geisel-Deal
Nach sechs harten Verhandlungswochen hat Israel einen Deal mit der Hamas erreicht. Insiderinformationen zeigen nun, wie es zu den Vereinbarungen kam – und wie sie fast gescheitert wären.
Seit Freitagmorgen, 6 Uhr, gilt die viertägige Waffenruhe in Gaza. Der Austausch von Geiseln der Terrororganisation Hamas gegen palästinensische Gefangene soll am Nachmittag beginnen. Der Deal wird als historisch bezeichnet – und doch wäre er fast auf der letzten Meile gescheitert. Das belegen mehrere Berichte, die sich auf Insiderinformationen stützen.
Erst habe es Kommunikationsprobleme mit den Anführern der Hamas in Gaza gegeben, weil die Verbindung ins Kriegsgebiet immer wieder abgebrochen sei, berichtet die "New York Times". Dann – als wohl grundsätzlich schon alles geklärt war – eroberten die israelischen Soldaten das Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza Stadt, unter dem die Israelis weiterhin eine Kommandozentrale der radikalislamischen Terrororganisation Hamas vermuten. "In dieser Phase wäre fast alles auseinandergefallen", sagte ein ägyptischer Beamter der Nachrichtenagentur AP. "Hamas war wütend. Wir alle waren wütend."
"Die Nachrichten versiegten", sagte ein hochrangiger US-Regierungsvertreter, der an den Verhandlungen beteiligt war, dem "Spiegel". "Die Hamas stellte die Kommunikation einfach ein."
Erst nach zwei Tagen habe die Kommunikation wieder stattgefunden, berichtet der "Spiegel". US-Präsident Joe Biden musste selbst zum Hörer greifen. Das Telefonat von Biden und dem Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, brachte schließlich den Durchbruch: Vier Tage später, am Montag, machte der US-Präsident den Deal öffentlich.
So kam es zu dem Deal
Die Gespräche begannen offenbar direkt nach dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel und der Entführung von etwa 240 Geiseln. Die Regierung von Katar wandte sich mit Informationen über die Geiseln an das Weiße Haus und zeigte der US-Administration Wege für eine mögliche Befreiung auf, wie die "New York Times" berichtet. Katar unterhält gute Kontakte in die USA, in dem kleinen Golfstaat leben jedoch auch die Hamas-Führer. Mehr zu der Doppelrolle Katars lesen Sie hier.
Daraufhin wurde eine kleine Arbeitsgruppe aus Katarern, US-Amerikanern und Israelis einberufen. Anscheinend wusste auf amerikanischer Seite nur ein kleiner Kreis um Jake Sullivan, den Nationalen Sicherheitsberater von Biden, über die Verhandlungen Bescheid. Der "Spiegel" schreibt von einer "geheimen Zelle" Bidens.
Brett McGurk, Bidens Koordinator für den Nahen Osten, telefonierte nach Berichten der "New York Times" daraufhin jeden Morgen mit dem Emir von Katar. McGurk informierte seinen Chef Sullivan, der wiederum seinen Chef Biden unterrichtete. Danach gab das Weiße Haus Informationen an die Israelis weiter.
Dann nahmen die Verhandlungen Fahrt auf
Die Freilassung zweier US-amerikanischer Geiseln sei offenbar ein Testlauf für die folgende größere Entlassungsaktion gewesen, schreibt der "Spiegel". Sullivan und McGurk sollen die Freilassung der beiden Frauen über eine sichere Leitung live im Weißen Haus mitverfolgt haben. Danach nahmen die Verhandlungen Fahrt auf: Biden telefonierte mehr als ein Dutzend Mal mit Netanjahu, CIA-Chef William Burns reiste in den Nahen Osten und traf seinen Amtskollegen vom Mossad.
Bereits am 25. Oktober, also vor einem Monat, hätte es einen Deal geben können: Die Hamas war anscheinend bereit, Frauen und Kinder freizulassen, wenn Israel im Gegenzug seine Bodenoffensive nach Gaza zeitlich verschiebt. Allerdings hielt Israel die Einigung für nicht stabil genug. So hatte die Hamas keine Beweise geliefert, dass die Geiseln noch am Leben sind.
"Genug ist genug"
Statt sie komplett abzusagen, plante Israel die Offensive offenbar so, dass sie jederzeit hätte unterbrochen werden können – für den Fall einer Einigung, wie die "New York Times" unter Berufung auf US-Regierungsmitglieder berichtet. Israel beharrte demnach auf der Freilassung aller Frauen und Kinder.
Mitte November bot die Hamas an, 50 Geiseln freizulassen. Israel forderte mehr. Biden wirkte laut "New York Times" auf Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ein, den Deal zu akzeptieren – und später an mehr Befreiungen zu arbeiten. Am Ende akzeptierte Netanjahu die Bedingungen.
Als es auf dem langen Weg der Verhandlungen noch einmal hakte, soll Biden dem Emir von Katar gesagt haben: "Genug ist genug." Auf den letzten Metern feilschten beide Seiten noch um die Dauer der Feuerpause. Die Hamas fordere fünf Tage, sagte der Emir von Katar dem US-Präsidenten laut "New York Times" in einem Telefonat. Doch Biden machte klar: Mehr als vier Tage sind nicht drin, die Hamas sollte sich dem beugen. Das tat sie auch.
- spiegel.de: "Wie der Geiseldeal mit der Hamas fast geplatzt wäre"
- nytimes.de: "Terrible Choices and Deep Distrust: The Path to the Hostage Deal" (englisch)
- apnews.com: "How the hostage deal came about: Negotiations stumbled, but persistence finally won out" (englisch)