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EU-Beitritt der Ukraine durch Ursula von der Leyen? "Schlag ins Gesicht"


Interview
Was ist ein Pro & Kontra?

Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.

EU-Beitritt der Ukraine
"Ein Schlag ins Gesicht"


08.11.2023Lesedauer: 1 Min.
Wolodymyr Selenskyj in Brüssel (Archivbild): Die Ukraine will Teil der Europäischen Union werden.Vergrößern des Bildes
Wolodymyr Selenskyj in Brüssel (Archivbild): Die Ukraine will Teil der Europäischen Union werden. (Quelle: IMAGO/Nicolas Landemard / Le Pictorium/imago-images-bilder)

Am Mittwoch hat EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen den EU-Beitritt der Ukraine angestoßen. Aber ist dieser Schritt gegenüber anderen Ländern wirklich fair?

Seit Jahren will die Ukraine Teil der Europäischen Union werden. Am Mittwoch hat sie einen entscheidenden Schritt in Richtung Beitritt gemacht. Die EU-Kommission empfiehlt die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Vor der ersten Gesprächsrunde soll das Land allerdings begonnene Reformen abschließen müssen. Das geht aus einem am Mittwoch vorgelegten Bericht der Brüsseler Behörde für die EU-Mitgliedstaaten hervor. Aber ist das gegenüber anderen Beitrittskandidaten wie Albanien, Nordmazedonien oder Serbien gerecht?

Pro
Tom SchmidtgenRedakteur Politik, Wirtschaft, Gesellschaft

Mit Kiew-Geschwindigkeit in die EU

Nur vier Tage nach Kriegsbeginn entschied sich die Ukraine: Sie will an der Seite der Europäischen Union stehen und stellte einen Mitgliedsantrag im Club der europäischen Demokratien. Nun, knapp eineinhalb Jahre später, ist es an der EU, Beitrittsverhandlungen zu eröffnen – und den Ukrainern den Wunsch zu erfüllen.

Schon allein aus Solidarität nach Putins brutalem Angriff darf Brüssel der Ukraine diese Möglichkeit nicht verwehren. In der Geschichte bietet sich oft nur ein schmales Zeitfenster, in denen beide Seiten gewillt sind, aufeinander zuzugehen. Solange dieses offen ist – solange die Ukraine Mitglied der EU werden will – sollten die Europäer alles daran setzen, Kiew auf seiner Seite zu halten.

Bis es zu einem Beitritt kommt, vergehen noch Jahre. Das wissen auch die Ukrainer. "Das ist ein Marathon", sagte die stellvertretende ukrainische Ministerpräsidentin Olha Stefanischyna kürzlich, die auch für die europäische Integration zuständig ist. Ein Marathon wird nicht am Ende gewonnen, sondern über die gesamte Distanz.

Dazu kommt: Die Ukrainer bemühen sich! Kiew verteidigt sich gegen Moskau und nebenbei führt Präsident Selenskyj das Land immer weiter auf den Pfad der Demokratie und in die Rechtsstaatlichkeit. Sieben Punkte stellte die EU der Ukraine vor etwas mehr einem Jahr als Bedingung für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen. Davon sind laut Medienberichten offenbar schon vier Punkte erfüllt. "Sie haben bereits deutlich über 90 Prozent des Wegs hinter sich", sagte Kommissionspräsidentin von der Leyen am Wochenende in Kiew. Dazu zählen: mehr Rechte für Minderheiten, eine Reform des Justizsystems und die Bekämpfung von Geldwäsche.

Die Ukraine schafft – trotz Krieges – Reformen in einem rasenden Tempo, von dem sich manch andere Beitrittskandidaten eine Scheibe abschneiden sollten. Vielleicht bürgert sich der Begriff der Kiew-Geschwindigkeit ein, sobald es auch hierzulande um Reformen geht.

Kontra
Tobias SchibillaRedakteur Politik & Wirtschaft

Ein Schlag ins Gesicht für die Balkanländer

Symbolpolitik schön und gut – aber ein schneller EU-Beitritt der Ukraine wäre ein Schlag ins Gesicht für die Länder des Balkans. Sie bemühen sich schon seit Jahrzehnten um eine Mitgliedschaft im Staatenbündnis. Albanien unterzeichnete das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, der erste Schritt hin zur EU-Mitgliedschaft, bereits im Jahr 2006.

Montenegro unterzeichnete das Papier im Jahr 2010, Bosnien und Herzegowina 2008. Ihre Bemühungen sollen jetzt hinten anstehen, damit die Ukraine Mitglied werden kann? Das wäre höchst unfair. Das sieht sogar Bundeskanzler Scholz so: "Für mich ist ganz klar, dass 20 Jahre, nachdem der Beitritt dieser Länder zugesagt worden ist, es auch bald mal so weit sein muss, dass das passiert", sagte er kürzlich in der albanischen Hauptstadt Tirana.

Abgesehen von der unfairen Behandlung der Balkanländer: Die Ukraine ist aus wirtschaftlicher Sicht mitnichten für einen EU-Beitritt geeignet. Schon vor dem Krieg war das Land eines der ärmsten Europas. Eine Integration der vom Krieg geschundenen und zerschlagenen Ukraine würde Gelder der EU in so einem großen Maße verschlingen, dass andere Projekte auf Jahre hinweg hinten anstehen müssten. Auch das wäre unfair.

Die Ukraine muss – ebenso wie alle anderen Beitrittskandidaten – ihre Probleme in den Griff bekommen: die Korruption, Minderheitenrechte und Geldwäsche. Vom Waffenschmuggel ganz zu schweigen. Bevor das nicht passiert ist, können wir nicht über einen schnellen EU-Beitritt der Ukraine reden – ganz unabhängig davon, ob das Land sich gerade gegen einen Angriffskrieg verteidigen muss.

 
 
 
 
 
 
 

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Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
  • europeanintegration.com.ua: "Ukraine's Deputy PM for European Integration Says Final EU Decision to Be Made in December" (englisch)
  • deutschlandfunk.de: "Informationen am Morgen: Lage in der Ukraine - Knackpunkte auf dem möglichen Weg in die EU (8.11.2023)"
  • tagesschau.de: "Von der Leyen macht der Ukraine Hoffnung"
  • euractiv.de: "EU-Kommission: EU-Beitrittsgespräche mit Ukraine unter Bedingungen"
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