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Hannover | Iranischer "Todesrichter" in Klinik? "Mörder meiner Schwester"


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Iranischer "Todesrichter" in Hannover?
"Die Justiz darf den Mörder meiner Schwester nicht laufen lassen"


Aktualisiert am 26.07.2023Lesedauer: 5 Min.
Hossein Ali Naeri (Archivbild): Der "Todesrichter" soll sich in Hannover aufhalten.Vergrößern des Bildes
Hossein Ali Naeri (Archivbild): Der "Todesrichter" soll sich in Hannover aufhalten. (Quelle: Twitter/Ulrike Becker)

Ein Scharia-Richter soll in Deutschland sein. Der Mann, der wohl den Tod Tausender angeordnet hat, wird hier medizinisch behandelt. Angehörige seiner Opfer fordern seine Festnahme.

In einer Privatklinik in Hannover liegt derzeit offenbar ein Mann, der wohl Tausende Menschenleben ausgelöscht hat. Als Richter des islamischen Regimes im Iran soll Hossein Ali Naeiri reihenweise Todesurteile gegen politische Gefangene gefällt haben. Auch die Hinrichtung der 22-jährigen Nafiseh Rouhani soll er angeordnet haben.

Ihre Eltern bekamen im Gefängnis nur eine Tüte in die Hand gedrückt. Darin die Habseligkeiten ihrer Tochter, die seit mehr als drei Jahren als verschwunden galt: eine Uhr, Schuhe und ein blutverschmiertes Hemd. Man habe Nafiseh Rouhani im Gefängnis erschossen, hieß es. Mutter und Vater sollten schweigen, keine Trauerfeier abhalten, nicht über die Tötung der damals 22-Jährigen sprechen, so erzählt es Nafisehs Bruder Hassan Rouhani im Gespräch mit t-online. Seine Augen füllen sich dabei mit Tränen.

"Die Erinnerungen, der Schmerz, das kommt wieder hoch", sagt er. Seine Schwester sei lebenslustig und freundlich gewesen, immer gut in der Schule. Im Jahr 1988 wurde sie neben Tausenden weiteren Menschen im Evin-Gefängnis der iranischen Hauptstadt Teheran hingerichtet, berichtet Rouhani. Demnach habe Richter Naeiri seinen Vater zu sich zitiert und ihm persönlich mit dem Tod gedroht, sollte er über die Hinrichtung seiner Tochter sprechen. "Bis heute wissen wir nicht, wo das Grab meiner Schwester ist", sagt Rouhani.

Nafiseh Rouhani war Jahre zuvor als damals 14-Jährige inhaftiert worden: Das Regime habe sie beschuldigt, in der Schule zu viel von ihrem älteren Bruder Ali Rouhani erzählt zu haben, der als Regimekritiker inhaftiert worden war. Auch Ali sollte wenig später durch das Regime hingerichtet werden, berichtet Hassan Rouhani.

Nun, mehr als 30 Jahre später, gäbe es die Möglichkeit, den Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen: Hossein Ali Naeiri (andere Schreibweise: Hossein-Ali Nayyeri), Richter des islamischen Regimes im Iran, soll sich in Deutschland aufhalten. Eine Botschaft, die den Hinterbliebenen seiner Opfer Hoffnung macht, dass er endlich für seine Taten belangt werden könnte.

"Im Minutentakt wurden damals Todesurteile gefällt"

Nach einem Bericht des Mideast Freedom Forums Berlin (MFFB) und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft soll sich Naeiri, der sogenannte "Todesrichter" aus dem Iran, in der neurochirurgischen Privatklinik INI (International Neuroscience Institute) in Hannover aufhalten. Die Menschenrechtler haben demnach konkrete Hinweise aus der Klinik, dass sich Naeiri dort als Patient aufhält. Offiziell stritt die Einrichtung seine Anwesenheit auf Anfrage der "Hildesheimer Allgemeinen" hin allerdings ab.

Doch es wäre nicht das erste Mal, dass das INI einen Richter des islamischen Regimes behandelt: Der Klinikleiter Madjid Samii gilt als enger Vertrauter des islamischen Regimes, so wurde er etwa vom früheren iranischen Präsidenten Hassan Rohani ausgezeichnet. Auch ließ sich bereits im Jahr 2018 der ehemalige iranische Justizchef Ajatollah Mahmud Haschemi Shahroudi bei ihm behandeln. Trotz mehrerer Strafanzeigen, die etwa wegen der Hinrichtung Minderjähriger bei der Generalbundesanwaltschaft eingingen, kam der Mann jedoch davon. Er konnte Deutschland ohne Prozess oder Festnahme wieder verlassen.

Ein Szenario, das sich mit Naeiri wiederholen könnte, fürchten Menschenrechtler und die Familien seiner Opfer.

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Naeiri wurde im Jahr 1988 vom damaligen Staatsoberhaupt des islamischen Regimes im Iran, Ayatollah Khomeini, zum Leiter der "Todeskommission" in Teheran ernannt. Menschenrechtler werfen ihm vor, in den folgenden Jahren auf Khomeinis Weisung hin die Hinrichtung Tausender Menschen befohlen zu haben.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht von mindestens 5.000 Menschen, die in Massenhinrichtungen getötet wurden. Doch wie viele es genau waren, ist bislang unklar. "Im Minutentakt wurden damals Todesurteile gefällt", sagt Ulrike Becker, Forschungsleiterin vom Mideast Freedom Forum Berlin. Die Todesurteile seien ohne Gerichtsverfahren vollstreckt worden.

Strafanzeigen gegen Naeiri in Deutschland

Menschenrechtler und Hinterbliebene haben darum nun mehrere Strafanzeigen gegen Naeiri gestellt. Der Vorwurf: Mord. Dabei berufen sie sich auf das Weltrechtsprinzip. Unter dieser Regelung des Völkerstrafgesetzbuches können in Deutschland seit dem Jahr 2002 auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestraft werden, die im Ausland begangen wurden.

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"Auch wenn man bei Taten vor 2002 ein Strafverfolgungshindernis bezüglich des Völkerstrafgesetzbuchs sehen sollte, kann Naeiri in Bezug auf deutsche Angehörige nach dem Mord-Paragrafen des Strafgesetzbuchs strafverfolgt werden", sagt Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der "Welt". Denn: Mord verjährt nicht.

Nafisehs Bruder, Hassan Rouhani, beruft sich als deutscher Staatsbürger auf eben dieses Gesetz. Doch eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hannover sagte am Montag, dass eine Strafbarkeit nach Völkerstrafrecht durch den Generalbundesanwalt verneint und die Strafanzeige deshalb bereits am 18. Juli an die Staatsanwaltschaft in der Landeshauptstadt abgegeben worden sei, berichtet die "Welt".

Dort hält man sich seitdem bedeckt. So teilt die Staatsanwaltschaft Hannover auf Anfrage von t-online zwar mit, dass mehrere Strafanzeigen gegen Naeiri vorlägen – zur Zahl wolle man sich aber nicht äußern.

"Die Justiz darf den Mörder meiner Schwester nicht laufen lassen"

Rouhanis Tränen dürften somit auch der Ohnmacht gelten, die er fühlt, seitdem er von Naeiris Aufenthalt in Deutschland weiß. "Ich bin wütend darüber, dass eine europäische Regierung so skrupellos ist, mit dem kriminellen Regime im Iran zu verhandeln, sie hier zu empfangen und medizinisch betreuen zu lassen", sagt Rouhani. Naeri soll nach Informationen von Menschenrechtlern über ein italienisches Visum nach Europa und dann mit dem Auto nach Deutschland gekommen sein.

"Ich will, dass die deutsche Justiz und die deutsche Politik dafür sorgt, dass dieser Massenmörder festgenommen wird. Die Justiz darf den Mörder meiner Schwester nicht laufen lassen", sagt Rouhani. So wie ihm geht es noch weiteren Hinterbliebenen. Laut dem MMFB sollen mindestens drei weitere aktuelle Strafanzeigen deutscher Staatsbürger gegen Naeiri vorliegen.

"Man hat uns nie gesagt, warum er getötet wurde"

Auch aus dem Exil in den USA melden sich Angehörige von Menschen, die offenbar auf Naeiris Befehl hin gefoltert oder hingerichtet wurden. So liegt t-online ein Bericht von Bahareh Monshi vor. Ihr Vater, Abbas Ali Monshi Rudsari, wurde ebenfalls im Jahr 1988 bei den Massenhinrichtungen durch das Regime getötet, ebenso ihr Onkel. Auch sie macht Naeiri als Haupttäter für den Mord an ihren Familienangehörigen verantwortlich. "Sie haben keine Ahnung, was es für uns bedeutet, dass jemand unsere Stimme nach all den Jahren erhört", schreibt Monshi an das MMFB.

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Zusammen mit ihren Eltern und ihrem vier Monate alten Bruder sei die damals zweijährige Bahareh Monshi im Jahr 1986 von Regimekräften verhaftet worden. "Sie sagten meiner Mutter, dass sie für uns nichts weiter bräuchte, keine Windeln, keine Kleidung, da wir in Kürze entlassen würden", so Monshi. Doch erst drei Monate später sei sie mit ihrem Bruder freigekommen, ein Jahr später sei dann die Entlassung der Mutter erfolgt. Ihr Vater aber sei zurückgeblieben und 1988 schließlich hingerichtet und in einem Massengrab verscharrt worden. "Man hat uns nie gesagt, warum er getötet wurde oder wo er begraben ist", schreibt Monshi.

Ob Naeiri in Deutschland nun tatsächlich für seine Taten belangt wird, ist bislang unklar. Die Strafanzeigen gegen den "Todesrichter" liegen bei der Staatsanwaltschaft in Hannover. Dass eine Verurteilung theoretisch möglich ist, zeigt derweil ein Urteil aus Schweden: Im vergangenen Sommer war dort Hamid Nouri, ebenfalls Richter des islamischen Regimes, verurteilt worden, als er sich in dem europäischen Land aufhielt. Auch Nouri wurde die Beteiligung an den Massenexekutionen im Iran im Jahr 1988 vorgeworfen. Ein schwedisches Gericht verurteilte ihn wegen Massenmordes und Verstößen gegen das Völkerrecht zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Doch: "Im Verhältnis zu Naeiri war er ein kleines Licht", betont Nahost-Expertin Becker vom MFFB.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Hassan Rouhani
  • Gespräch mit Ulrike Becker vom MFFB
  • Unterlagen vom MFFB
  • Anfrage bei der Staatsanwaltschaft Niedersachsen
  • welt.de: "Wenn sich der iranische "Todesrichter" in Deutschland behandeln lässt"
  • amnesty.org: "Mass secret killings of political dissidents in 1988"
  • Eigene Recherche
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