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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Belarussische Oppositionsführerin "Sie werden gefoltert und immer wieder erniedrigt"
Swetlana Tichanowskaja ist Belarus' führende Oppositionelle und soll nach Willen des Regimes in Minsk eigentlich im Gefängnis verschwinden. Stattdessen macht die 40-Jährige die Zustände in ihrem Heimatland publik. Ein Gespräch in Berlin.
Swetlana Tichanowskaja kommt mit mehreren Personenschützern, ohne geht es nicht: Die 40-Jährige ist die bekannteste Oppositionelle von Belarus; vor Kurzem wurde sie in Abwesenheit von einem Minsker Gericht zu 15 Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf: Hochverrat und "Verschwörung zur Machtergreifung".
In Berlin ist sie, um über ihr Land, das von einem Langzeit-Diktator beherrscht wird, aufzuklären und die Missstände seit den Massenprotesten von 2020 nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Sie nimmt in einem Sessel im Berliner Hotel Adlon Platz, vor sich eine Mappe mit Unterlagen, darauf ein Bild ihres Mannes, der in Haft ist. Die Gespräche sind im Minutentakt geplant, am Abend hält sie nahe dem Brandenburger Tor eine Rede zum Thema Freiheit.
Tichanowskaja war im Jahr 2020 bei der Präsidentschaftswahl anstelle ihres inhaftierten Mannes Sergej Tichanowski gegen Diktator Alexander Lukaschenko angetreten. Im Gespräch mit t-online berichtet sie von den belarussischen Haftbedingungen, erklärt, warum Belarus auch für Menschen in Deutschland wichtig ist und wie Wladimir Putin ihr Heimatland unterwandert.
t-online: Frau Tichanowskaja, wie geht es Ihrem Mann?
Swetlana Tichanowskaja: Mein Mann ist jetzt seit fast drei Jahren im Gefängnis und wird in einer Einzelzelle festgehalten. Vor drei Wochen wurde seiner Anwältin die Lizenz entzogen, seitdem bekomme ich keine Informationen mehr. Ich weiß nicht, wie es ihm geht, wir wissen nicht, was los ist. So geht es vielen Inhaftierten. Einigen wird seit Monaten verwehrt, ihren Anwalt zu sehen.
Was wissen Sie über die Zustände im Gefängnis?
Politische Häftlinge in Belarus werden wesentlich schlechter behandelt als andere Häftlinge. Sie müssen gelbe Aufnäher tragen, was allen zeigt, dass sie nicht mit anderen kommunizieren dürfen. Regelmäßig werden sie in eine Zelle für Bestrafungen gesteckt, das ist ein schrecklicher Ort. Sie werden gefoltert und immer wieder erniedrigt. Sie dürfen keine Verwandten empfangen. Mit dieser Abschottung will das Regime erreichen, dass die Menschen im Gefängnis vergessen werden. Aber ich hoffe, dass sie wissen, dass wir für sie kämpfen. Auch im Ausland.
Swetlana Tichanowskaja
Tichanowskaja, 40, ist Englisch- und Deutschpädagogin, arbeitete als Übersetzerin und war Hausfrau. Sie sagt heute: "Mein Leben damals war gewöhnlich." 2020 dann trat sie bei den Präsidentschaftswahlen gegen den Langzeit-Diktator Alexander Lukaschenko an. Eigentlich wollte sich ihr Mann zur Wahl stellen, wurde vom Regime aber ausgeschlossen und kam ins Gefängnis. Nach Lukaschenkos Wiederwahl warf Tichanowskaja der Regierung Wahlfälschung vor und reklamierte den Sieg für sich. Auch der Westen erkannte den angeblichen Wahlsieg Lukaschenkos nicht an. Es kam zu den größten Massenprotesten in der Geschichte des Landes. Tichanowskaja floh ins Exil, erhebt als Vorsitzende des Vereinigten Übergangskabinetts nach wie vor Anspruch auf den Wahlsieg. Sie lebt mit ihren Kindern in Litauen. Ihr Mann ist weiter in Haft.
Sie selbst wurden vor wenigen Wochen in Abwesenheit zu 15 Jahren Haft verurteilt. Gibt es für Sie überhaupt eine Chance, in Ihr Heimatland zurückzukehren?
Eines Tages auf jeden Fall. Dafür kämpfen wir. Dieses Urteil hat nichts mit Recht oder Gerechtigkeit zu tun. Es ist Rache. Ich habe versucht, meinen sogenannten Anwalt zu kontaktieren, den das Regime mir zugewiesen hatte. Er hat nie reagiert. Ich weiß überhaupt nicht, wie er mich vor Gericht verteidigt haben soll. Aber das Urteil kann meinen Kampf nicht aufhalten. Wir setzen uns jetzt für die ein, die noch im Land sind und denen noch härtere Strafen drohen oder die schon im Gefängnis sind.
Sie waren gegen Lukaschenko zur Präsidentschaftswahl 2020 angetreten, verließen anschließend Belarus und leben heute in Litauen, wo sie als führende Oppositionelle ein Büro eröffnet haben. Was können Sie überhaupt noch für Ihr Land tun?
Es ist zurzeit wirklich schwierig, im Land selbst zu arbeiten, die Repressionen sind extrem. Dort werden neun Millionen Menschen als Geiseln des Regimes gehalten. Wir versuchen jetzt im Exil, unsere Arbeit zu institutionalisieren, dafür arbeiten wir mit den UN, dem Internationalen Strafgerichtshof, der EU, den Regierungen unterschiedlicher Länder.
Denn wir sehen: Belarus gerät in Vergessenheit – wegen des Krieges in der Ukraine, den die Menschen in Belarus deutlich ablehnen. Unsere Aufgabe ist es zu erklären, warum Belarus wichtig ist. Denn ein demokratisches Belarus ist nicht nur in unserem Interesse. Es ist enorm wichtig für die Stabilität der gesamten Region und für Europa. Das Schicksal der Ukraine und das von Belarus sind miteinander verflochten. Es gibt keine sichere Ukraine ohne ein freies Belarus und kein freies Belarus ohne eine sichere Ukraine.
Wie wollen Sie Lukaschenko stoppen?
Es ist wichtig, dass das Regime für all die Verbrechen an den Menschen von Belarus zur Verantwortung gezogen wird – für Verbrechen rund um die gestohlene Wahl, für die erzwungene Migrationskrise an der polnischen Grenze, aber auch für die Entführung eines Flugzeugs im Jahr 2021 (Damals war auf Geheiß von Lukaschenko ein Flugzeug im belarussischen Luftraum zur Landung in Minsk gezwungen worden. An Bord: ein belarussischer regierungskritischer Journalist, der ins Gefängnis kam, Anm. d. Red.).
Wir sammeln Beweise der Verbrechen und leiten sie an entsprechende Organisationen weiter. Wir unterstützen unsere unabhängigen Medien. Wir setzen uns dafür ein, dass mehr Sanktionen verhängt werden. Seit mehr als einem Jahr schon gab es keine Sanktionen gegen Lukaschenko. Das führt natürlich dazu, dass er das Gefühl bekommt: Egal was er tut, es bleibt ungestraft.
Was sollte Deutschland tun?
Unsere Bitte ist, Belarus nicht zu vergessen. Sanktionen müssen gegen Einzelpersonen verhängt werden. Und der Westen sollte unseren Landsleuten mit Visaerleichterungen helfen. Bestraft nicht Menschen dafür, dass sie Belarussinnen oder Belarussen sind. Wir müssen unterscheiden zwischen dem Regime und den Menschen, die dieses Regime bekämpfen, die gegen den Krieg in der Ukraine sind und fliehen müssen.
Lukaschenko ist engster Verbündeter des Kreml-Diktators Wladimir Putin. Wird Putin Ihr Land, je schlechter es für ihn in der Ukraine läuft, noch tiefer in den Krieg hineinziehen? Sie sagten in der Vergangenheit, dass die Grenzregion seitens der Ukraine vermint sei – sehen Sie dennoch die Gefahr, dass belarussische Truppen die Grenze übertreten?
Russische militärische Einheiten sind in unserem Land präsent, es gibt gemeinsame Übungen mit belarussischen Truppen. Aber ich denke nicht, dass die belarussische Armee in diesem Krieg kämpfen wird. Was mir aber Sorgen macht: die geplante Stationierung russischer taktischer Nuklearwaffen in unserem Land zum 1. Juli. Das ist fatal, wir alle erinnern uns an das Desaster von Tschernobyl, den Atomunfall von 1986. Wir müssen diesen Plan stoppen. Russland will unser Land dadurch noch weiter unterwandern und Fakten schaffen. Denn sind die Waffen einmal stationiert, ist es schwierig, sie wieder loszuwerden.
Verschiedene Medien berichten über geheime Pläne Russlands, sich Belarus einzuverleiben. Wie realistisch ist das?
Unsere Unabhängigkeit steht jetzt auf dem Spiel. Lukaschenko verkauft gerade unsere Unabhängigkeit. Er ist der Kern des Problems. Aber wir haben ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Wie die Ukraine fühlen wir uns als europäisches Land und wollen Teil der europäischen Gemeinschaft sein. Putin aber will uns klein machen und zurück in die Vergangenheit zwingen.
Frau Tichanowskaja, vielen Dank für das Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Swjatlana Zichanouskaja am 24. April 2023