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Russland-Anklage: Deutsche Firma soll Gift-Chemikalien geliefert haben


Brisante Anklage in Deutschland
Gift für Russland


15.02.2025 - 09:54 UhrLesedauer: 3 Min.
Alexej Nawalny im Jahr 2017.Vergrößern des Bildes
Der russische Regierungskritiker Alexej Nawalny, 2017: Für den Anschlag auf ihn verwendeten die Täter das Nervengift Nowitschok. (Quelle: Anadolu/Getty)
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Eine deutsche Firma soll hochgiftige Stoffe nach Russland exportiert haben. Als Erstes stießen US-Ermittler auf das Unternehmen. Nun muss der Geschäftsführer wohl in Deutschland vor Gericht.

Als zwei FBI-Ermittler am 14. September 2018 an eine Tür im äußersten Nordosten der USA klopfen, ist noch nicht absehbar, dass die Spur nach Deutschland führen wird. Es ist aber schnell klar, dass in dem Büro etwas im Argen liegt. In dem Raum mit zwei Schreibtischen und einem Sofa stapeln sich geschlossene und geöffnete Pakete. Auf einigen erkennen die Agenten Gefahrensymbole. Auf ein Labor deutet hingegen nichts hin. Das Büro scheint eine Durchlaufstation für Chemikalien und Laborausrüstung zu sein, wie aus US-Gerichtsunterlagen hervorgeht, die t-online vorliegen.

Firmennetzwerk verschleierte Empfänger

Die Agenten kennen solche Fälle: Sie sind auf Spionage spezialisiert. In der kleinen Stadt Manchester nördlich von Boston gehen sie damals dem Verdacht nach, dass die brisanten Chemikalien, mit denen aus dem kleinen Büro heraus gehandelt wird, letztendlich in Russland landen. Später stellt sich heraus: Ein ganzes Firmennetzwerk dient dazu, die wahren Empfänger zu verschleiern. Eine dieser Firmen hat eine Adresse in Deutschland, genauer: in Lilienthal bei Bremen.

Über hundert Pakete aus dem Büro in Manchester werden bis Herbst 2020 an die unscheinbare, dort ansässige Riol-Chemie GmbH geliefert, wie das FBI Zoll- und Postunterlagen entnimmt. Als die Agenten den wenig aussagekräftigen Internetauftritt der Firma entdecken, schlussfolgern sie, er sei "nicht mit dem Betrieb eines kommerziellen Chemieunternehmens vereinbar". Tatsächlich werden die Rechnungen für die Lieferungen laut Kontodaten nicht von Riol-Chemie beglichen, sondern unter anderem aus Russland.

Nun hat die Staatsanwaltschaft Stade Anklage gegen einen Geschäftsführer der Riol-Chemie GmbH erhoben. Das sagte ein Sprecher der Behörde t-online, auch ein Sprecher des Landgerichts Verden bestätigte das auf Anfrage. Dem 63-jährigen Ukrainer werden demnach insgesamt 34 Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz zur Last gelegt. Dabei geht es um giftige Chemikalien und Laborausrüstung. Derzeit wird über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden. Sein Strafverteidiger lehnte eine Stellungnahme vorerst ab.

"Riol-Chemie GmbH ist unser Spediteur"

Über die deutschen Ermittlungen hatte im August 2022 zuerst der Rechercheverbund aus NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" berichtet, als die Polizei den Firmensitz in Lilienthal durchsuchte. Damals stellte sie umfangreiches Beweismaterial sicher, unter anderem Ausfuhranmeldungen und Rechnungsunterlagen. Ein Experte sagte dem NDR, bei den zum Teil in Kleinstmengen ausgeführten Waren handele es sich um sogenannte Dual-Use-Güter, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können.

Die mutmaßliche Empfängerin der Lieferungen, die nun in der Anklageschrift auftaucht, wurde schon Jahre zuvor in den FBI-Ermittlungen identifiziert: die russische Chimmed-Gruppe, die personelle Schnittstellen mit der deutschen GmbH aufweist. In E-Mails aus dem Jahr 2016, die die US-Behörde mit Gerichtsbeschluss sicherstellte, heißt es seitens Chimmed: "Die Riol-Chemie GmbH ist unser Spediteur, aber sie empfängt nur unsere Waren und leitet sie an uns weiter."

Endempfänger beliefert militärische Labore

Das macht die Anklage in Niedersachsen so brisant: Die Chimmed-Gruppe beliefert auch Speziallabore des russischen Militärs und des Innenministeriums, die am staatlichen Bio- und Chemiewaffenprogramm mitwirken. Deswegen landeten sowohl der russische Konzern als auch die deutsche GmbH im März 2021 auf einer Sanktionsliste der US-Regierung. Der Auslöser: das Attentat auf den russischen Regierungskritiker Alexej Nawalny ein halbes Jahr zuvor.

Nawalny war im August 2020 kurz vor einem Flug von Tomsk nach Moskau mutmaßlich vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB vergiftet worden. Nur eine Notlandung und eine lang andauernde Behandlung in Deutschland retteten sein Leben. Später starb er nach seiner freiwilligen Rückkehr unter ungeklärten Umständen in russischer Haft.

Als Tatwaffe des Anschlags identifizierte die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) eines der tödlichsten Gifte der Welt: das Nervengift Nowitschok, das unter Geheimhaltung in der Sowjetunion entwickelt wurde und weiterhin vom russischen Staat hergestellt wird. Es wurde auch im März 2018 in Großbritannien für den Anschlag auf den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal verwendet, für den mutmaßlich der russische Militärgeheimdienst GRU verantwortlich war.

Knapp zwei Wochen nach Anklageerhebung im Fall Skripal im September 2018 besuchten FBI-Agenten erstmals die ominöse Firma im US-amerikanischen Manchester. Noch bis mindestens September 2020 belieferte sie die Riol-Chemie GmbH in Deutschland. Ob aber ein formaler Zusammenhang zwischen den US-amerikanischen und den deutschen Ermittlungen besteht, bleibt vorerst unklar.

Verhandelt werden sollen laut Landgericht Verden mutmaßliche Straftaten im Zeitraum von Januar 2018 bis April 2021, also etwa aus jenem Zeitraum, in dem auch die US-Ermittlungen liefen. Wenig später bekannte sich die dortige Strohfrau schuldig, das FBI über die wahren Verantwortlichen belogen zu haben. Offiziell begann das Verfahren in Deutschland aber nach einer Außenwirtschaftsprüfung des Zollamts Hannover Ende März 2021 – rund vier Wochen, nachdem Riol-Chemie auf der US-Sanktionsliste gelandet war.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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