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Als Klimaretter kann Olaf Scholz noch immer nicht gelten. Dennoch bekommt er diese Woche kurz die Bühne beim wichtigsten Klimatreffen der Welt. Das erwartet ihn.
Langes Ausruhen ist keine Option. Kaum aus China zurück, ist Olaf Scholz bereits wieder unterwegs. In dieser Woche bringt ihn der Regierungsflieger nach Ägypten, genauer: nach Scharm el-Scheich, ein Urlaubsort, der sich auf 30 Kilometern am Roten Meer entlangschlängelt. Vorne Sandstrände, im Rücken die Wüste, dazwischen reihenweise Apartmenthotels der Oberklasse. Und ein Konferenzzentrum, das die Stadt für zwei Wochen zum Nabel der Welt macht.
Das Tagungsgelände ist nach dem Erben der Auto-Dynastie Lamborghini benannt, doch vom 6. bis 18. November geht es eher um das Gegenteil von hochtourigem Fahren: Ägypten richtet die 27. Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen (COP27) aus und hat dazu in den Süden der Sinai-Halbinsel geladen. Neben Bundeskanzler Scholz haben sich zahlreiche weitere Staats- und Regierungschefs angemeldet, insgesamt werden mehr als 30.000 Teilnehmer erwartet.
t-online ist für Sie vor Ort in Scharm el-Scheich und fasst zusammen, was den diesjährigen Gipfel von anderen unterscheidet, welche Kontroversen in der Luft liegen, warum besonders viele Lobbyisten anreisen und wieso Greta Thunberg das Ganze boykottiert.
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Wieso ist COP27 besonders?
Das Rote Meer mag in der Sonne glitzern, doch die internationale Kulisse des Klimagipfels war wohl nie so düster wie jetzt. Am Poolrand, in Reden und auf den Gängen des Konferenzzentrums hallt der Begriff "Polikrise" wider: Die Nachbeben der Covid-Pandemie sind weiterhin überall zu spüren, Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine zerrüttet die geopolitischen Beziehungen, die Energiekrise bringt die Wirtschaft vieler Länder ins Wanken und die Folgen der Klimakrise zeigen sich zunehmend heftig in allen Erdregionen.
"Die Staatengemeinschaft muss zeigen, dass sie trotz aller Spannungen bei der Überlebensaufgabe Klima zusammenrückt", sagt Christoph Bals, Geschäftsführer der Umweltorganisation Germanwatch. Nicht zuletzt deshalb, weil eine zügige Energiewende an allen Fronten Entlastung bringen könnte. Doch das Risiko, dass das Klima vor lauter Konkurrenzkrisen doch den Kürzeren zieht, scheint groß.
Kein Wunder, dass einige leidgeprüfte Klimaexperten ihre Erwartungen bereits vor Beginn des Gipfels gedrosselt haben. Hauptsache, die Konferenz findet statt – das allein sei in diesen Zeiten schon ein Erfolg, so der Tenor. Mit Blick auf die gebotene Eile ist das ernüchternd.
Zumal es der erste Gipfel ist, seitdem der renommierte Weltklimarat alle Teile seiner jüngsten Analyse zur Lage des Planeten veröffentlicht hat. In drei Sätzen zusammengefasst, steht in diesem Sachstandsbericht:
- Die Klimakrise ist unbestreitbar menschengemacht und führt zu zunehmender globaler Zerstörung.
- Sollte die globale Durchschnittstemperatur im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter um mehr als 1,5 Grad Celsius steigen, werden die Konsequenzen nicht mehr zu bewältigen sein.
- Es bleiben acht Jahre, um das zu verhindern.
Deutlicher kann der Aufruf an die UN-Staaten kaum sein, sich in Scharm el-Scheich zusammenzureißen.
Was kommt auf den Tisch?
Moos, Asche, Knete, Zaster, es geht vor allem ums Geld. War die große Aufgabe in den Konferenzen der jüngeren Zeit, auszuhandeln, wie die Details des Pariser Klimavertrags aussehen sollen, dreht sich nun fast alles um Klimafinanzierung. Und das aus gutem Grund.
Während für die Bewältigung der Pandemie und als Hilfe für die Ukraine jeweils dreistellige Milliardenbeträge mobilisiert worden sind, scheitern die Industriestaaten weiterhin an den jährlich 100 Milliarden, die sie ärmeren Staaten für Klimamaßnahmen schon ab 2020 versprochen hatten.
Als die OECD jüngst nachgezählt hat, waren es erst 83 Milliarden – und der größte Teil davon keine Zuschüsse, sondern Kredite, was den Schwellen- und teils höchst überschuldeten Entwicklungsländern ebenfalls übel aufstößt.
Ein besonderer Fokus liegt in diesem Jahr jedoch auf Geld, das noch nicht einmal fest versprochen ist: Entschädigungen der reichsten Staaten für Klimaschäden in den ärmsten. Die Logik dahinter: Wer es kaputt gemacht hat, muss es bezahlen. Denn auch, wenn zwei Drittel aller Treibhausgase inzwischen aus ärmeren Ländern stammen, die historisch größte CO₂-Last haben Europa und die USA zu verantworten. Und damit auch einen Großteil der Klimakrise.
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Im Gegenzug für mehr Geld verlangen die Industrieländer deutlich stärkere Emissionsminderungen im Globalen Süden. Das schmeckt vor allem Schwellenländern wie Indien und China nicht. Es wird spannend, wer bei diesem Armdrücken länger durchhält.
Auch andere wacklige Versprechen dürften für Diskussionsstoff sorgen. Allen voran das große Abschlusspapier aus dem vergangenen November: In Schottland unterschrieben knapp 200 Länder den "Glasgow Climate Pact". Damit wurde bei einer Klimakonferenz erstmals offiziell anerkannt, dass fossile Brennstoffe der Haupttreiber der Klimakrise sind – alle Unterzeichner versprachen Besserung. Ein Jahr später hat der Ausstoß von Treibhausgasen durch Kohle, Öl und Gas weltweit ein Rekordhoch erreicht.
Im selben Pakt sagten die Staaten außerdem zu, im Ausland keine Infrastrukturprojekte für Gas, Öl oder Kohle mehr zu finanzieren. Ein Schwur, an dem das Kanzleramt seit dem Frühjahr engagiert sägt. Dort möchte man gerne Geld in die Erschließung neuer Gasfelder im Senegal stecken. Das ist schlecht für Deutschlands Glaubwürdigkeit und noch schlechter für das Klima. Neue Gasprojekte und das 1,5-Grad-Ziel sind nicht vereinbar, heißt es von der Internationalen Energieagentur.
In Sachen Entwaldung und Methanemissionen läuft es ebenfalls nicht so rund, wie 2021 erhofft.
Wer ist da und wer nicht?
Auch bei der Klimakonferenz zählt die Gästeliste. Am Montag und Dienstag reisen rund 90 Staats- und Regierungschefs an, um den anstehenden Verhandlungen einen Schubs zu geben und die Klimaschutzbemühungen des eigenen Landes zu preisen. Der eine oder andere dürfte auch neue Klimaversprechen im Gepäck haben, um auf der internationalen Bühne zu glänzen.
Olaf Scholz spricht am Montagnachmittag und wird dabei unter anderem auf Frankreichs Präsidenten Macron, den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez, US-Präsident Biden und Italiens neue Ministerpräsidentin Georgia Meloni treffen, deren neofaschistische Partei Fratelli d'Italia jedoch eher ins Lager der Klimawandelleugner gehört. In Woche zwei will der frischgebackene Präsident Brasiliens, Luiz Lula, vorbeischauen; aktuell dürfte für ihn noch zu viel zu Hause zu tun sein.
Ebenfalls dabei ist Großbritanniens neuer Premier Rishi Sunak, der allerdings erst zugesagt hat, nachdem seine Absage ihm bereits in den ersten Tagen im Amt massive Kritik eingebracht hatte. Einen Flieger mit seinem mittelbaren Amtsvorgänger Boris Johnson wird er sich wohl nicht teilen, obwohl beide zur selben Partei gehören.
Johnson hatte im vergangenen Jahr die Konferenz in Glasgow ausrichten lassen und scheint in diesem Jahr zumindest von der Seitenlinie her mitmischen zu wollen. Ob König Charles sich, wie ursprünglich angedacht, auch auf den Weg macht, ist noch offen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan steht wieder auf der Liste und will dieses Mal auch tatsächlich anreisen. 2021 hatte er laut eigener Angaben wegen Sicherheitsbedenken in letzter Minute abgesagt. Die Plätze des chinesischen Präsidenten Xi Jinping und seines russischen Amtskollegen Wladimir Putin werden leer bleiben – dabei gehören ihre Länder zu den drei größten Treibhausgas-Emittenten der Welt.
Sowohl aus China als auch aus Russland sind jedoch Regierungsdelegationen für die Verhandlungen erwartet. Dasselbe gilt für rund 100 weitere Staaten, die Regierungsvertreter, nicht aber ihre Staats- oder Regierungsoberhäupter nach Scharm el-Scheich schicken.
Außerdem reisen Tausende Beobachter von Nichtregierungsorganisationen, Forschungsinstituten, Denkfabriken und Vertreter besonders schwer getroffener Bevölkerungen an. Dazu kommen zahlreiche Konzernvertreter und Lobbyisten. Vor allem die Gasindustrie wird in großer Zahl erwartet.
Die Branche wittert in der Energiekrise eine besondere Chance dafür, Erdgas als angebliche "Brückentechnologie" möglichst tief zu verankern. Aus wenigen Jahre, in denen russisches Gas kurzfristig aus anderen Quellen ersetzt werden muss, könnten so jedoch Jahrzehnten weiterer Abhängigkeit werden.
Obwohl Proteste in der ägyptischen Militärdiktatur normalerweise strafbar und selbst im Kontext des Klimagipfels nur bedingt geduldet sind, werden auch Klimaaktivisten aus vielen Ländern nach Scharm el-Scheich kommen. Lauter noch als ihre Teilnahme spricht aber der Boykott der weltweit bekanntesten Aktivistin: Greta Thunberg hat abgesagt.
Die Klimakonferenzen würden vor allem für Greenwashing genutzt, so Thunberg. "Ich fahre aus vielen Gründen nicht zur COP27, aber der Raum für die Zivilgesellschaft ist in diesem Jahr extrem begrenzt." Ohne Mobilisierung habe der Gipfel keinen Mehrwert. Außerdem wolle sie sich solidarisch mit den rund 60.000 politischen Gefangenen in Ägypten zeigen.
Warum Ägypten?
Die Ortswahl ist vor allem strategisch. In den vergangenen zehn Jahren haben die Klimakonferenzen sechsmal in Europa stattgefunden, nur einer der übrigen Gipfel wurde in Afrika veranstaltet. Dabei erleben viele Länder auf dem afrikanischen Kontinent im weltweiten Vergleich bereits jetzt die schlimmsten Wetterextreme in Folge der Klimakrise. Gleichzeitig gehören sie zu denen, die Dürre, Überschwemmungen und Co kaum etwas entgegenzusetzen haben.
Die COP27 ist auch deshalb an Ägypten gegangen, um auf einer "afrikanischen" Konferenz die Nöte und Bedürfnisse armer Staaten und die Verantwortung der reichen Industriestaaten zu unterstreichen. Das Motto, das die ägyptischen Gastgeber entsprechend gewählt haben, lautet: "Together for just, ambitious implementation NOW", zu Deutsch "Gemeinsam für eine gerechte, ambitionierte Umsetzung (der Klimaversprechen) JETZT". Kurz: Klimagerechtigkeit.
Gleichzeitig wirft diese Entscheidung auch ein Schlaglicht auf die verheerende Menschenrechtssituation im Land. Allein in den Tagen vor Beginn der Konferenz wurden laut Menschenrechtsorganisationen rund 70 Personen in Ägypten verhaftet, die rund um die Klimakonferenz zu Protesten aufgerufen hatten.
- Eigene Recherche
- Reuters (1.11.2022): "COP26 a year later: Where do last year's climate pledges stand?"
- Pressemitteilung Germanwatch (3.11.2022): "Weltklimakonferenz muss trotz großer geopolitischer Herausforderungen echte Fortschritte liefern"