Kaum im Amt Umfrage: Hälfte der Briten wollen Rücktritt von Truss
Kaum im Amt muss sich die britische Premierministerin schon scharfer Kritik stellen. Nun rudert sie in einem Punkt zurück.
Noch keinen Monat im Amt steht die neue Premierministerin von Großbritannien, Liz Truss, massiv in der Kritik: In einer aktuellen Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Opinium für den "Observer" durchgeführt hat, sind die Zustimmungswerte für Truss unter den Briten innerhalb einer Woche von -9 auf einen Wert von -37 gefallen – nach Angaben des Instituts tiefer als der Wert von Ex-Premier Boris Johnson kurz vor dessen erzwungenem Rücktritt (-28).
Opinium-Experte James Crouch bezeichnete das Meinungsbild als "schlechtestes Umfrageergebnis für einen konservativen Premierminister seit 2010". Truss habe innerhalb weniger Wochen so wenig Zustimmung wie Johnson oder auch Ex-Premierministerin Theresa May zum Ende ihrer Amtszeit. Eine andere Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab, dass mehr als die Hälfte der Briten (51 Prozent) sich einen Rücktritt von Truss wünschen.
Kritik auf Parteitag
Auf dem viertägigen Parteitag in Birmingham muss Truss die Mitglieder ihrer eigenen Partei von ihren Plänen überzeugen, denn auch dort bildet sich Widerstand. Ex-Minister Michael Gove kritisierte in der BBC die Steuerpläne der Truss-Regierung, die im Laufe der Woche Schockwellen an den britischen Finanzmärkten auslösten. Berichten zufolge sollen einige Torys erwägen, im Parlament gegen die Pläne zu stimmen – etwa gegen die Abschaffung des Spitzensteuersatzes für Topverdiener. Partei-Generalsekretär Jake Berry drohte solchen Rebellen jedoch im Sky-News-Interview mit dem Parteiausschluss.
Truss hatte zuvor Fehler bei der Einführung ihrer umstrittenen Steuersenkungen eingeräumt. "Ich stehe zu dem angekündigten Paket", sagte Truss dem Fernsehsender BBC am Sonntag zum Start des Tory-Parteitags in Birmingham. "Ich sehe aber ein, dass wir es besser hätten vorbereiten sollen", gab sie zu. Ihre Regierung habe einen "klaren Plan", um mit der Energiekrise und der Inflation fertigzuwerden und die Wirtschaft wieder anzukurbeln, bekräftigte die Regierungschefin.
Ihr vor rund einer Woche vorgelegter "Wachstumsplan" wird von Investoren und Ökonomen kritisiert, weil er zusätzliche Ausgaben in Milliardenhöhe vorsieht – aber kaum Details dazu, wie diese kurzfristig finanziert werden sollen. Experten zufolge könnten die Maßnahmen umgerechnet bis zu knapp 230 Milliarden Euro kosten.
Finanzminister fordert Plan zum Schuldenabbau
Auch Finanzminister Kwasi Kwarteng hatte sich bereits am Samstag erneut geäußert, Details aber weiter offengelassen. Er bekräftigte in einem Beitrag für die Zeitung "Telegraph" lediglich, im November einen "glaubwürdigen Plan" zum Schuldenabbau vorzulegen. Dabei werde man sich auch verpflichten, die öffentlichen Ausgaben unter Kontrolle zu bringen. Es sei klar, dass die angekündigten Maßnahmen nicht überall auf Gegenliebe stießen. Man habe aber keine Wahl gehabt.
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Zuletzt hatte sich die Rating-Agentur S&P dem skeptischen Blick anderer Institutionen angeschlossen und den Ausblick für britische Staatsschulden von "stabil" auf "negativ" gesenkt. Auch die Agentur Moody's und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben Bedenken. Ein schlechteres Rating kann dazu führen, dass für die Aufnahme neuer Schulden höhere Zinsen gezahlt werden müssen – was die Handlungsspielräume einengt.
Offen ist, ob durch die Pläne die Verschuldung weiter ansteigt oder sich die Maßnahmen allein tragen, wie es die Regierung hofft. Am Devisenmarkt war das Pfund vergangene Woche zum Dollar auf den niedrigsten Stand seit 37 Jahren abgestürzt. Auch am Anleihe-Markt ging es bergab. Letztlich griff die britische Notenbank ein, um die Verwerfungen abzumildern.
Höchster Einkommenssteuersatz soll abgeschafft werden
Das Vorhaben ist auch in der konservativen Partei von Truss umstritten. Dabei geht es vor allem um die geplante Abschaffung des höchsten Einkommensteuersatzes von 45 Prozent. Einige Konservative sorgen sich, als die Partei angesehen zu werden, die Steuern für die Reichsten senkt, während sie wenig für die Schwächsten tut.
Truss sagte, sie unterstütze die Abschaffung des Spitzensteuersatzes. Die Entscheidung sei aber von Kwarteng getroffen worden. Die Frage, ob die Abschaffung einiger Steuern mit Kürzungen bei öffentlichen Dienstleistungen bezahlt werden müsste, ließ Truss offen.
Großbritannien leidet unter der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten und einer hohen Inflation. Die Strom- und Gaspreise für die Verbraucher werden im Oktober vermutlich um 80 Prozent steigen, viele Firmen stehen wegen der hohen Energiekosten vor dem Aus.
Die Opposition führt den Absturz der Währung auf die Haushaltspläne der neuen Regierung zurück. Diese sehen Steuersenkungen – auch für die Spitzenverdiener – und eine höhere Staatsverschuldung vor.
- Nachrichtenagenturen Reuters und dpa