Regierungsbeben in London Zweikampf um die Downing Street: "Der Sieger heißt Labour"
Wer wird der nächste britische Premier? Liz Truss und Rishi Sunak ringen um die Stimmen der Tory-Mitglieder – die sich einen Neustart gewünscht hätten.
Der finale Zweikampf um die Nachfolge von Boris Johnson wird für die Konservative Partei zur Zerreißprobe. Im Duell zwischen Außenministerin Liz Truss und Ex-Finanzminister Rishi Sunak droht eine Schlammschlacht. "Nun werden die Waffen rausgeholt", zitiert die Zeitung "Times" einen Truss-Vertrauten. Die 46-Jährige werde Sunaks Finanzpolitik ins Visier nehmen. Die Gegenseite kontert: "Sie ist etwas sonderbar, und das wird sich zeigen." Dem politischen London steht ein schmutziger Sommer bevor.
Auf den ersten Blick haben die Tory-Parteimitglieder, die bis Anfang September die letzte Entscheidung fällen, die Wahl zwischen zwei Lagern. Die Außenministerin hat die Unterstützung des erzkonservativen Flügels sowie angeblich auch von Amtsinhaber Johnson – obwohl sie einst gegen den Brexit stimmte. Der Ex-Schatzkanzler, der stets den EU-Austritt unterstützte, gilt als deutlich liberaler. Doch der Graubereich ist groß, zumal beide Bewerber ähnliche Vorhaben ankündigen: Steuern runter, mögliche Brexit-Chancen nutzen, Grenzen dichtmachen.
Cummings: Truss ist "menschliche Handgranate"
Experten haben Truss als Favoritin ausgemacht, auch Umfragen legen dies nahe. "Vorteil Truss", titelte die konservative Zeitung "Telegraph" am Donnerstag. Begeisterung ist aber nicht zu spüren. Die Oxford-Absolventin ist vielen zu blass. Bei öffentlichen Auftritten, einer Stärke des Populisten Johnson, versprühe sie so viel Charme wie eine Raufasertapete, höhnen Kritiker.
Sunak müsse Truss in so viele TV-Duelle zwingen wie möglich, zitiert die Zeitung "Guardian" einen Tory. "Je mehr die Leute von ihr sehen, desto mehr werden sie Rishi unterstützen." Der einst enge Johnson-Berater und heutige Intimfeind Dominic Cummings verhöhnt Truss als "menschliche Handgranate": "Sie hat Chaos angerichtet, anstatt Dinge zu erledigen", ätzt Cummings. Und Truss habe alles an die Presse durchgestochen.
Die Außenministerin müsse sich vielen Fragen stellen, sagt der Politologe Mark Garnett im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. So sei unklar, wie sie ihre aggressiven Steuerversprechen finanzieren wolle, ohne künftige Generationen zu belasten. Zudem war Truss bei den Liberaldemokraten, bevor sie zu den Torys wechselte.
Torys machen Sunak für Johnson-Aus verantwortlich
Obwohl er in der Fraktion in jeder Wahlrunde die meisten Stimmen erhielt, liegt Sunak in Umfragen hinten. "Sein großes Problem ist, dass er als derjenige gesehen wird, der die Steuern erhöht hat", betont Ex-Justizminister David Gauke im Sender Sky News. Das sei zwar angesichts der Milliardenausgaben im Kampf gegen die Pandemie unumgänglich gewesen. "Aber das sind keine Argumente, um Tory-Mitglieder zu überzeugen." Zudem machen Johnson-Vertraute ihn für das Aus des Premiers verantwortlich. Sunak sei eine "Schlange" und habe mit seinem Rücktritt den Sturz Johnsons eingeleitet, heißt es unverhohlen. Das hinterlässt bei vielen Parteimitgliedern, die den Amtsinhaber am liebsten behalten würden, Wirkung.
Sunak setzt darauf, dass er deutlich energischer und charismatischer wirkt als seine Konkurrentin. Nur er könne die Labour-Partei, die in Umfragen deutlich führt, bei der für 2024 geplanten Parlamentswahl besiegen, behauptet der 42-Jährige. Lange galt der ehemalige Hedgefonds-Manager als Sonnyboy. Mit konsequenten Maßnahmen wie einem Kurzarbeitergeld konnte er die Wirtschaft in der Pandemie einigermaßen stabilisieren. "Ich weiß, wie man in der Regierung Ergebnisse erzielt, ich liefere", wirbt Sunak im "Telegraph".
Parteimitglieder hätten sich Neustart gewünscht
Hier liegt aber auch die Krux, warum die Parteimitglieder weder mit Sunak noch mit Truss zufrieden sind: Beide sind sehr eng mit der skandalumwitterten Johnson-Regierung verbunden. "Ich bin enttäuscht, dass wir keinen frischen Kandidaten aufstellen", kritisiert Tory-Gemeinderätin Liz Wardlaw aus Cheshire East im Sender ITV. Ähnlich äußert sich Rishi Fernando, konservativer Bürgermeister des südwestenglischen Örtchens Ware. Notwendig sei ein Neustart.
Auch deshalb geben Experten dem Sieger des Duells wenig Chancen, langfristig in der Downing Street zu residieren. Der heftige Streit innerhalb der Torys könne die Wahlchancen der Partei zunichtemachen, kommentiert die Zeitung "i". Politologe Garnett legt sich bereits fest: "So oder so ist es fast sicher, dass der Sieger dieses Kampfs letztlich die Labour-Partei sein wird."
- Nachrichtenagentur dpa