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Swetlana Tichanowskaja: "Jetzt geht es um Erpressung"


Beteiligung Belarus' am Ukraine-Krieg
Belarussische Oppositionsführerin: "Jetzt geht es um Erpressung"

Von t-online, jro

20.07.2022Lesedauer: 3 Min.
Swetlana Tichanowskaja (Archivbild): "Putin und Lukaschenko brauchen einander wie nie zuvor."Vergrößern des Bildes
Swetlana Tichanowskaja (Archivbild): "Putin und Lukaschenko brauchen einander wie nie zuvor." (Quelle: Metodi Popow/imago-images-bilder)

Über eine aktive Kriegsbeteiligung von Belarus entscheidet am Ende Putin, sagt die Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja. Die Abhängigkeit von Moskau sei zu groß.

Die belarussische Exil-Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja befürchtet, dass der Kreml ihr Heimatland weiter in den Krieg gegen die Ukraine hineinziehen könnte. "Putin und Lukaschenko brauchen einander wie nie zuvor. Sie sind die einzigen Verbündeten in diesem Krieg" sagte sie im Gespräch mit dem "Spiegel". Bei den Präsidentschaftswahlen 2020 stellte sie sich dem autoritären Herrscher Alexander Lukaschenko entgegen. Nach den Protesten in ihrem Land, die gewaltvoll niedergeschlagen wurden, ist sie ins Exil geflüchtet.

Tichanowskaja zufolge ist die Abhängigkeit des belarussischen Regimes von Moskau so groß, dass Lukaschenko keine unabhängige Entscheidung über eine aktive Kriegsbeteiligung seines Landes treffen könne. "Jetzt geht es um Erpressung. Wenn er keine Truppen schickt, könnte der Kreml ihn loswerden wollen", sagt Tichanowskaja. Bislang sind keine Einheiten unter Lukaschenkos Führung am Krieg gegen die Ukraine beteiligt. Belarussischer Boden und Luftraum werden dem russischen Militär aber für Angriffe auf die Ukraine bereitgestellt.

Putin könnte Einsatz nutzen, um Lukaschenko zu binden

Dass ihr Land dennoch am Krieg in der Ukraine beteiligt ist, steht für die Exil-Oppositionelle außer Frage. Die Minsker Führung stelle das Land dem Kreml zur Verfügung, um ukrainische Städte zu bombardieren – den Machthaber Lukaschenko bezeichnet sie im Gespräch mit dem "Spiegel" als Kollaborateur Putins.

Die letzte Entscheidungsgewalt über das Entsenden von Truppen aus Belarus liege in Moskau. Eine Beteiligung werde derzeit nach Einschätzung der Oppositionellen wahrscheinlicher. Aus Sicht Tichanowskajas spricht dabei weniger die Stärke der belarussischen Streitkräfte für eine Beteiligung – vielmehr könne der Kreml "ihren Einsatz nutzen, um Lukaschenko enger an Putin zu binden".

Der belarussische Machthaber sei auch deswegen so abhängig von Moskau, weil der russische Präsident seine Hand über den gefälschten Wahlsieg 2020 gehalten habe. Zu der Präsidentschaftswahl war auch Tichanowskaja angetreten. In der Folge brachen landesweit schwere Proteste aus, gegen die das Regime weiterhin mit aller Härte vorgeht. Laut der Minsker Menschenrechtsorganisation Wjasna sitzen in Belarus derzeit über 1.250 politische Gefangene in Haft – auch Tichanowskajas Ehemann Sergej Tichanowski ist seit 2020 inhaftiert.

"Soldaten könnten überlaufen"

Sollte Lukaschenko der belarussischen Armee tatsächlich befehlen, aktiv in den Krieg gegen die Ukraine einzugreifen, könnte er sich dem Gehorsam der Soldaten jedoch nicht sicher sein, sagt Tichanowskaja. "Selbst unter Androhung von Gefängnis oder Tod könnten Soldaten überlaufen oder die Seiten wechseln. Das würde ihn (Lukaschenko) schlecht aussehen lassen."

Auch die Unterstützung in der Bevölkerung für eine Kriegsbeteiligung sei gering. Hunderte Freiwillige haben sich dem "Kastus-Kalinouski-Bataillon" angeschlossen, das auf der Seite der ukrainischen Streitkräfte kämpft – Partisanen sabotieren auf belarussischem Boden das Gerät der russischen Einheiten.

Mit dem Zurückschlagen des russischen Angriffskrieges würden viele Exil-Belarussen auch die Hoffnung auf eine Rückkehr in ihr Heimatland verbinden. "Wenn Russland gewinnt, heißt das, der Kreml ist stark, und Lukaschenko wird sich noch stärker fühlen als zuvor. Ohne eine freie Ukraine gibt es kein freies Belarus", sagt Tichanowskaja.

"Ich kann niemandem etwas raten"

Auf die Frage, ob sie Oppositionellen, in Russland wie in Belarus, raten würde, ihr Land zu verlassen, antwortet die ehemalige Präsidentschaftskandidatin nachdenklich: "Ich bin gegangen, weil ich mich um meine Kinder kümmern musste. (...) Man kann nicht im Exil leben und anderen sagen, sie sollen bleiben. Ich kann niemandem etwas raten."

Tichanowskaja hatte das Land kurz nach der Präsidentschaftswahl 2020 verlassen. Aus dem Exil in der polnischen Hauptstadt Warschau organisiert die 40-Jährige mit 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiterhin Oppositionsarbeit gegen das autoritäre Regime Lukaschenkos.

Sie war am Mittwoch nach Berlin gekommen, um eine Rede beim Gedenken an den Widerstand in der Zeit des Nationalsozialismus zu halten. Neben einem Besuch der Gedenkstätte Deutscher Widerstand traf sich Tichanowskaja in Berlin auch mit Angehörigen der belarussischen Diaspora.

Verwendete Quellen
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