Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Attentat auf Ex-Premier Abe Eine Waffe von "bestialischer Verletzungswirkung"
Nach dem Tod des japanischen Ex-Premiers sind noch viele Fragen offen. In den Fokus ist neben der Trauer im Volk auch die Waffe des Attentäters gerückt.
Japan verharrt in Schockstarre: Am Freitag tötete ein 41-jähriger Mann Shinzo Abe auf einer Wahlkampfveranstaltung in Nara. Doch nicht nur der Tod des Ex-Premiers sorgt für Beunruhigung, sondern auch die Umstände des Attentats. Der ehemalige Marinesoldat erschoss Abe mit einem Gewehr, dabei herrschen in dem asiatischen Inselstaat strenge Gesetze zu Kauf und Haltung von Schusswaffen. Deshalb besitzen im Vergleich zu anderen Ländern nur wenige Bürgerinnen und Bürger eine Handfeuerwaffe.
Doch der Attentäter konnte die gesetzlichen Auflagen umgehen: Er baute seine Tatwaffe selbst. Nur wenige Minuten nach dem Anschlag kursierte in den Medien ein Foto der Waffe. Sie erinnert vage an eine Schrotflinte. Zwei Metallrohre wurden mit Klebeband auf einem Holzblock befestigt. Die Größe des Gewehrs bezifferte die japanische Polizei mit etwa 40 Zentimeter Länge und 20 Zentimeter Breite, wie der US-Nachrichtensender CNN berichtete. Das sei deutlich kleiner als eine industriell hergestellte Schrotflinte, die etwa 140 Zentimeter lang ist, erklärte der japanische Jägerverband dem Sender NHK.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
"Eine gewöhnliche Waffe würde niemals so viel Rauch erzeugen"
Dass der Täter die Waffe selbst herstellte, ist laut Experten außerdem an einem weiteren Detail zu erkennen: Nachdem er den ersten Schuss gelöst hatte, stieg Rauch auf. "Eine gewöhnliche Waffe würde niemals so viel Rauch erzeugen", so der Sprecher des Jagdverbandes weiter.
Der Waffenexperte Steve Gordon sagte der "Los Angeles Times", dass der Rauch zudem darauf hindeute, dass es sich um minderwertige Munition gehandelt habe. Der Polizei zufolge habe der Attentäter diese offenbar online gekauft, berichteten lokale Medien. Das Gewehr sei "eindeutig" nicht aus professioneller Herstellung.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
"Aus einer solchen Waffe kommt ein Splitterregen"
Auch der deutsche Waffenexperte Lars Winkelsdorf hat sich mit der selbst gebauten Mordwaffe befasst: "Bei der Waffe handelt es sich um eine Mischung aus Mine und Schrotflinte", erklärt er im Gespräch mit t-online. Die Sprengstoffladung sei elektrisch ausgelöst worden.
Besonders gefährlich: "Aus einer solchen Waffe kommt ein Splitterregen", sagt Winkelsdorf. "Abe haben vermutlich mehrere Dutzend Splitter getroffen." Die Zielgenauigkeit einer selbst gebauten Waffe sei meist gering. "Im Nahbereich sind sie unkontrollierbar", so der Schießlehrer. Wenn man sie aus drei Metern Entfernung auf eine Person richte, wie es der japanische Attentäter tat, treffe man "irgendwas zwischen Hals und Bauchnabel". Bei Waffen wie diesen brauche es nur einen geringen Gasdruck für eine "bestialische Verletzungswirkung", erläutert der Experte. Alles, was man zur Herstellung solcher "Höllengeräte" brauche, finde man im Baumarkt.
Lars Winkelsdorf (*1977) arbeitet als Schießlehrer und selbstständiger Fachdozent in der Sicherheitsbranche. Seit 2005 ist er zertifizierter Waffensachverständiger. Außerdem ist er Autor eines Fachbuches zur Schießausbildung. Seit 2003 arbeitet er als freier Journalist für Politmagazine, unter anderem für Frontal 21 (ZDF), Report München und die Tagesschau (ARD).
Attentäter baute mehrere Waffen
Die Tatwaffe des 41-jährigen Japaners ist nur eine von mehreren Geräten, die er selbst gebaut haben soll. Wenige Stunden nach dem Anschlag durchsuchte die Polizei die Wohnung des ehemaligen Marinesoldaten und fand ein kleines Arsenal selbst gebauter Waffen, wie mehrere Medien berichteten. Diese hatten drei, fünf und sechs Eisenrohre als Läufe. Die Bauweise soll dem Modell der Tatwaffe geähnelt haben.
Der Waffenexperte Steve Gordon warnte in der "Los Angeles Times", improvisierte Feuerwaffen seien kein neues Phänomen. Sie könnten mit ein wenig handwerklichem Geschick gebaut werden. Beim Material handle es sich lediglich um Metallteile und chemische Stoffe. 3D-Drucker und Onlineanleitungen würden Privatpersonen zusätzlich das Bauen von Waffen erleichtern.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Attentäter wollte Abe offenbar in die Luft sprengen
Laut dem Sender NHK hat der Täter gestanden, dass er mehrere Pistolen und Sprengstoffe hergestellt habe. Zudem soll er bei der Vernehmung ausgesagt haben, er habe ursprünglich geplant, Abe in die Luft zu sprengen. Dann habe er sich aber dazu entschieden, eine Schusswaffe zu basteln, da er befürchtete, eine Bombe sei weniger zuverlässig.
Die Polizei geht dem Bericht zufolge davon aus, dass der Mann die aus seiner Sicht stärkste Waffe verwendet habe. In seiner Wohnung wurde neben den Waffen auch ein Computer sichergestellt, der Ermittlern Aufschluss über die Tätigkeiten des 41-Jährigen geben soll. Es gilt als unwahrscheinlich, dass der Japaner eine Zulassung für den Besitz von Waffen hatte.
Debatte um Personenschutz
Experte Winkelsdorf schlussfolgert: "Solche improvisierten Waffen sind typisch für Kulturen mit umfangreichen Verboten." Es sollte jedoch keine Debatte über die Waffe geben, sondern vielmehr darüber, dass der Personenschutz offenkundig Lücken aufgewiesen habe. Das ermöglichte dem Attentäter, in unmittelbare Nähe Abes zu gelangen und ihn von hinten zu erschießen.
Ein Experte für Personenschutz sagte der japanischen Zeitung "Nikkei", dass es in Japan nicht genügend Vorsichtsmaßnahmen für Schusswaffen gebe – womöglich, weil Vorfälle dieser Art wegen der strikten Verbote sehr selten sind.
Der zuständige Polizeichef der Präfektur Nara, Tomoaki Onizuka, gab am Samstag Versäumnisse der Behörden zu. "Ich glaube, es ist nicht zu leugnen, dass es Probleme mit dem Schutz und den Sicherheitsmaßnahmen für den früheren Ministerpräsidenten Abe gab", sagte Onizuka vor Journalisten. Dringliche Aufgabe der Polizei sei es nun, "eine gründliche Untersuchung vorzunehmen, um zu klären, was geschehen ist". Das könnte auch Auswirkungen auf das Sicherheitsprotokoll der Polizei für den Schutz prominenter Persönlichkeiten haben.
Für den japanischen Ex-Premier Shinzo Abe kommt diese Überprüfung jedoch zu spät. Am Samstag wurde sein Leichnam in sein Tokioter Wohnhaus überführt. Mehr dazu lesen Sie hier.
- Telefoninterview mit Waffenexperte Lars Winkelsdorf am 9. Juli 2022
- twitter.com: Tweets von @winkelsdorf
- nhk.or.jp: "Hunters' association: Gun in Abe attack may have been modified" (englisch)
- nhk.or.jp: "Hunters' association: Gun in Abe attack could be self-modified" (englisch)
- cnn.com: "Live Updates: Assassination of Japan's Shinzo Abe" (englisch)
- latimes.com: "What we know about the crude, homemade gun used in Shinzo Abe’s assassination" (englisch)
- nypost.com: "Homemade gun used to kill Japan’s ex-PM Shinzo Abe" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur AFP