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Angela Merkel spricht über Tod ihrer Mutter: "Zu wenig Zeit für Trauer"


Altkanzlerin gibt Einblicke in Privatleben
Merkel spricht über Tod ihrer Mutter: "Zu wenig Zeit für Trauer"

Von dpa, afp, lw

Aktualisiert am 18.06.2022Lesedauer: 4 Min.
Ehemalige Kanzlerin Angela Merkel (Archiv): Hat Putin bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Amt gewartet?Vergrößern des BildesEhemalige Kanzlerin Angela Merkel (Archiv): Hat Putin bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Amt gewartet? (Quelle: Belga/imago-images-bilder)

Nach Monaten des Abtauchens traut sich Angela Merkel aus der Deckung: erst ein Gespräch im Theater, jetzt ein langes Interview. Es geht um ihren schwindenden Einfluss auf Kremlchef Putin – und ihr Leben als "freier" Privatmensch.

Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich in einem Interview ausführlich zu ihren letzten Monaten im Amt und den aktuellen Konflikten mit Russland geäußert und gleichzeitig Freude über ihre neue Rolle als Privatmensch gezeigt.

"Ich war schon ganz schön geschafft", sagte Merkel Journalistinnen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND/Samstag). "Manchmal ist es noch ungewohnt, dass ich keinen Termindruck mehr habe." Doch die Vorteile würden überwiegen, sie fühle sich nun "frei", betonte die Altkanzlerin. Zehn Tage zuvor hatte sich Merkel im Berliner Ensemble erstmals nach ihrem Ausscheiden aus dem Kanzleramt den Fragen eines Journalisten gestellt. Lesen Sie hier mehr oder hören Sie in unserer Podcast-Folge dazu:

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Merkel rechtfertigt Nord-Stream-2-Entscheidung

Merkel verteidigte ihre Entscheidungen zum Bau der Ostsee-Gasleitung Nord Stream 2 nach Russland. "Ich habe nicht an Wandel durch Handel geglaubt, aber an Verbindung durch Handel, und zwar mit der zweitgrößten Atommacht der Welt", sagte die CDU-Politikerin, die von 2005 bis 2021 Bundeskanzlerin war. Es sei aber keine einfache Entscheidung gewesen.

"Die damalige These lautete: Wenn Nord Stream 2 in Betrieb ist, wird Putin durch die Ukraine kein Gas mehr liefern oder sie sogar angreifen." Der Westen habe aber dafür gesorgt, dass trotzdem Gas durch die Ukraine geleitet worden sei. Die deutsche Wirtschaft habe sich jedoch für den Gastransport aus Russland entschieden, da dies ökonomisch günstiger gewesen sei, als Flüssiggas aus arabischen Staaten oder aus den USA zu beziehen.

Gastransport war günstiger als Flüssiggas

Merkel verwies auf die damals schon hohen Energiepreise durch Förderung der erneuerbaren Energien, den Atomausstieg und den Beginn des Kohleausstiegs. "Die deutsche Wirtschaft hatte sich damals für den leitungsgebundenen Gastransport aus Russland entschieden, weil das ökonomisch billiger war als Flüssiggas aus Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten und später auch aus den USA."

Politisch sei es darum gegangen, ob anstelle russischen Gases das erheblich teurere und ökologisch umstrittene Flüssiggas "gegen den Wunsch der Wirtschaft, gegen die industrielle Stärke Deutschlands" gekauft werde.

"Wir waren bereit, den Bau von zwei LNG-Terminals in Deutschland mit Steuergeldern zu fördern", sagte Merkel. "Doch bis zum letzten Tag meiner Amtszeit baute kein Unternehmen einen LNG-Terminal in Deutschland, weil sich kein Importeur fand, der wegen des hohen Preises im Voraus langfristige Kapazitäten gebucht hätte."

"Es war ja klar, dass ich nicht mehr lange im Amt sein würde"

Merkel räumte ein, dass ihr Einfluss auf Kremlchef Wladimir Putin kurz vor ihrem Amtsende schwand. "Es war ja klar, dass ich nicht mehr lange im Amt sein würde, und so muss ich einfach feststellen, dass verschiedene Versuche im vorigen Jahr nichts mehr bewirkt haben", sagte sie in dem RND-Interview.

Putin sei nicht mehr zu einem Gipfeltreffen im sogenannten Normandie-Format mit Vertretern Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs bereit gewesen. "Andererseits gelang es mir auch nicht, neben dem Normandie-Format ein zusätzliches europäisch-russisches Gesprächsformat über eine europäische Sicherheitsordnung zu schaffen." Russland hatte sein Nachbarland Ukraine dann am 24. Februar überfallen. Seitdem gibt es dort einen verlustreichen Krieg, den der Kreml aber nur eine "militärische Spezialoperation" nennt.

Auf die Frage, ob sie als Vermittlerin für eine Lösung in dem Konflikt zur Verfügung stehen würde, sagte Merkel: "Diese Frage stellt sich derzeit nicht." Sie schloss nicht aus, dass Putin mit seinem Angriffskrieg möglicherweise bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Amt gewartet hat. "Mein Ausscheiden kann ein Beitrag gewesen sein wie zum Beispiel auch die Wahl in Frankreich, der Abzug der Truppen aus Afghanistan und das Stocken der Umsetzung des Minsker Abkommens", so die Altkanzlerin.

"Emotionalste Phase"

Die "emotionalste Phase" im Amt sei für sie rückblickend die Flüchtlingskrise gewesen, betonte Merkel. "2015/2016 war es eine extrem anstrengende Zeit, in der ich aber innerlich sehr gefestigt war." Ihr Handeln habe dem C im Namen ihrer Partei entsprochen sowie dem Artikel 1 des Grundgesetzes. Das C in der CDU steht für christlich. Der Grundgesetzartikel 1 verpflichtet zum Schutz der Würde des Menschen und enthält ein Bekenntnis zu den Menschenrechten.

Als im Spätsommer 2015 viele vor allem syrische Flüchtlinge über Ungarn und Österreich nach Deutschland kamen, entschied Merkel, die deutschen Grenzen nicht zu schließen. Einer ihrer bekanntesten Sätze fiel damals: "Wir schaffen das." Merkels Entscheidung war innerhalb der Union, aber auch in der Gesellschaft umstritten.

Ebenfalls in der Gesellschaft umstritten: die Dienstpflicht. Hören Sie hier unsere aktuelle Diskussion im Podcast "Tagesanbruch am Wochenende":

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"Ich bin selten zweckfrei in den alten Bundesländern gewesen"

Merkel hat einen ostdeutschen Hintergrund und wuchs in der DDR auf. Allerdings vermied sie es während ihrer Kanzlerschaft weitgehend, zu stark darauf Bezug zu nehmen. Nun will sie in ihrem neuen Lebensabschnitt aber auch den Westen Deutschlands näher kennenlernen. "Ich bin selten zweckfrei in den alten Bundesländern gewesen", sagte die frühere Kanzlerin. "Ich bin nie einfach so auf der Loreley gewesen oder an der Moselschleife oder alleine im Trierer Dom oder Speyerer Dom."

Für viele Anliegen sei während ihrer Kanzlerschaft einfach zu wenig Zeit geblieben – auch für die Trauer um ihre Mutter, die im April 2019 wenige Tage vor einem EU-Gipfel starb, räumte Merkel ein. "Das gehört zur Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit. Wenn EU-Rat ist, ist EU-Rat. Wenn Nachtsitzung ist, ist Nachtsitzung. Wenn ich nicht mit 40 Fieber im Bett liege, fahre ich eben zum EU-Rat." Das sei ihr Amtsverständnis gewesen. Beim Interview im Berliner Ensemble vor wenigen Wochen hatte Merkel im Zusammenhang mit dem Tod ihrer Mutter auch über ihre damaligen Zitteranfälle gesprochen. Hier lesen Sie mehr dazu.

Ihre politische Zeit über gut 30 Jahre habe sie aber nicht zuletzt als eine große Ehre empfunden. Darüber sowie über ihre Kindheit und Jugend in der DDR werde sie mit ihrer langjährigen Büroleiterin Beate Baumann nun ein Buch schreiben.

Merkel war im Dezember nach 16 Jahren als Bundeskanzlerin aus dem Amt geschieden. Sie hatte sich danach zunächst eine fünfwöchige Auszeit an der Ostsee genommen und ein halbes Jahr lang keine Interviews gegeben.

Verwendete Quellen
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