Russische Begründung "schlicht vorgeschoben" Habeck wirft Gazprom Verunsicherungs-Strategie vor
Gazprom hat angekündigt, die Gaslieferungen über Nord Stream 1 erneut zu vermindern und führt technische Gründe an. Der Bundeswirtschaftsminister vermutet dagegen andere Absichten dahinter.
Mit den aktuellen Gas-Lieferkürzungen will Russland nach Einschätzung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck Unruhe stiften. "Die Begründung der russischen Seite ist schlicht vorgeschoben. Es ist offenkundig die Strategie, zu verunsichern und die Preise hochzutreiben", sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch in Berlin.
"Aktuell können die Mengen am Markt beschafft werden, wenn auch zu hohen Preisen. Es wird aktuell noch eingespeichert", teilte Habeck mit. "Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet." Man beobachte die Lage aber sehr genau und sei über die Krisenstrukturen in engem Austausch. "Die aktuelle Lage zeigt aber auch: Energiesparen ist das Gebot der Stunde. Und natürlich werden wir auch staatliche Maßnahmen ergreifen, wenn dies nötig ist."
Erneute Reduzierung
Der russische Energiekonzern Gazprom reduziert die maximalen Gasliefermengen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Deutschland erneut deutlich. Von Donnerstagfrüh an werden täglich nur noch maximal 67 Millionen Kubikmeter durch die Leitung gepumpt, kündigte Gazprom am Mittwochnachmittag an.
Erneut begründete das russische Staatsunternehmen diesen Schritt mit Verzögerungen bei Reparaturen durch die "Firma Siemens" – gemeint ist hier allerdings der Energietechnikkonzern Siemens Energy. Deshalb müsse eine weitere Gasverdichtungsanlage abgestellt werden, hieß es in Moskau. Der Gas-Großhandelspreis legte deutlich zu.
Erste Gazprom-Ankündigung bereits am Dienstag
Gazprom hatte schon am Dienstag angekündigt, dass die Gaslieferungen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream deutlich gemindert werden. Es könne nur noch eine Durchleitung von 100 Millionen Kubikmetern Gas am Tag anstelle der üblichen 167 Millionen Kubikmeter sichergestellt werden.
Der Energiekonzern führte auch dort als Grund unter anderem an, dass derzeit nach Reparaturarbeiten mehrere Kompressoren des deutschen Siemens-Konzerns am Startpunkt der Pipeline fehlten.
Habeck betonte am Mittwoch allerdings, dass die Wartung der von Siemens hergestellten Verdichtungsanlagen nicht den europäischen Sanktionen gegen Russland unterliege. Die Wartung laufe über Kanada – sein Haus sei "mit den Kanadiern" im Gespräch über das Thema. Er sei der Auffassung, dass es sich bei der am Dienstag mitgeteilten Drosselung um eine "politische Entscheidung" handele, so Habeck. Das Vorgehen sei "nicht technisch begründbar".
Habeck: Keine Versorgungsprobleme
Die erste relevante "Wartungstranche" der Verdichter falle nach Kenntnis der Bundesregierung aber eigentlich erst in den Herbst, führte Habeck aus. Sie würde auch nicht zu einer Reduzierung der durchgeleiteten Gasmenge um 40 Prozent führen. Somit sei von einer politisch motivierten Entscheidung auszugehen.
Die 2011 in Betrieb genommene Nord-Stream-Leitung ist die Gaspipeline mit der höchsten Kapazität zwischen Russland und Deutschland. Sie verläuft vom russischen Wyborg nordwestlich von St. Petersburg bis nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern. Durch die Pipeline wurden 2021 nach Angaben der Betreibergesellschaft 59,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland nach Europa exportiert.
Die russischen Erdgaslieferungen nach Europa sind seit Inkrafttreten der europäischen Sanktionen gegen Moskau wegen der militärischen Intervention in der Ukraine deutlich gesunken. Gazprom unterbrach zudem die Belieferung mehrerer europäischer Kunden, darunter Polen und die Niederlande, weil diese sich weigerten, für das Gas in Rubel zu bezahlen. Für Deutschland galt dies nicht.
- Nachrichtenagentur AFP und dpa