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Der Agrar-Krieg – Wie Putin Europas Kornkammer zerbombt


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Der Agrar-Krieg
Wie Putin Europas Kornkammer zerbombt


07.05.2022Lesedauer: 5 Min.
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Angriffe in der Ukraine: Die Ziele russischer Angriffe verändern sich. (Quelle: t-online)
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Minen, Plünderungen, Beschuss: Russische Truppen legen die Landwirtschaft in der Ukraine lahm. So treibt Putin nicht nur Bauern in den Ruin, sondern den Getreidepreis weltweit in die Höhe.

Eine Milchfarm mit 1.000 Kühen und 120.000 Hektar Land besitzt Alexander Lissitsa in der Nordukraine. Eigentlich bauen er und seine Mitarbeiter auf der Fläche Mais, Sonnenblumen, Weizen und Futterkulturen an. Doch Ende Februar startete Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Erst wurde die Region bei Tschernihiw bombardiert, dann rollten russische Panzer aus Belarus über die Grenze.

Wochenlang mussten sich Lissitsas Mitarbeiter in Kellern verstecken. Die Felder wurden nicht gedüngt, die Kühe kaum versorgt, die veterinärmedizinische Versorgung fiel aus. Inzwischen sind die russischen Truppen abgezogen, die Gefechte haben sich in den Osten und Süden des Landes verlagert. Doch an eine Rückkehr zur Normalität ist in dem Betrieb nicht zu denken.

Russen hinterlassen international geächtete Minen

Denn Putins Truppen haben auf vielen Feldern Minen hinterlassen. Perfide Waffen, die noch Tage und Wochen nach dem Abzug des Feindes Zivilisten töten und verstümmeln, mit dem Ziel, den Wiederaufbau zu verzögern. Verwendet werden nach Recherchen von Human Rights Watch (HRW) unter anderem der neu entwickelte Typ POM-3, Springminen aus russischer Produktion. Sie erkennen über Sensoren sich nähernde Personen, schleudern eine Sprengladung in die Luft und töten und verletzen durch Metallsplitter in einem Radius von 16 Metern. HRW bezeichnet sie als "tödliches Erbe" für die Regionen, in denen sie ausgelegt werden – auf Jahre.

Für Landwirt Lissitsa haben sie betriebswirtschaftlich gravierende Folgen: "20.000 Hektar unserer Fläche fallen für den Anbau weg – die müssen jetzt entmint werden", erzählt der 48-Jährige, der auch Chef des Ukrainischen Agrobusiness Klubs ist, t-online am Telefon. Er spricht schnell, es gibt viel zu tun, an diesem Tag inspiziert er seine Felder. Immer wieder bricht die Verbindung ab.

Noch schlechter als um die Äcker steht es um die Milchkühe in Lissitsas Ställen. Von 1.000 Tieren seien 100 bereits gestorben, von den verbliebenen seien wegen der mangelnden Versorgung während Bombardement und Besatzung nun 70 Prozent krank. "Wir müssen Hunderte Tiere notschlachten", sagt Lissitsa. "50 Mitarbeiter werden wir entlassen müssen, 4,5 Millionen Euro haben wir schon jetzt verloren."

Deutschland friert, Afrika hungert

Es ist eine verheerende Bilanz, nicht nur für den 48-Jährigen, sondern für die ganze Ukraine. Denn so wie Lissitsa geht es vielen Bauern im Norden des Landes. Im Osten und Süden hingegen ist wegen anhaltender Kämpfe in vielen Orten weiterhin gar nicht an das Bestellen der Felder zu denken. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Der Agrarsektor aber ist ein tragender Pfeiler der ukrainischen Wirtschaft. 14 Prozent der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft, rund zehn Prozent trägt sie zum Bruttoinlandsprodukt des Landes bei.

Und sie ernährt nicht nur die Ukraine: So wie Deutschland abhängig von russischem Gas ist, sind Dutzende Länder in Asien und Afrika abhängig von Weizenlieferungen aus Russland und der Ukraine, den Kornkammern der Welt. Nur friert man dort eben nicht, wenn Lieferungen ausbleiben – man hungert. Weil die Getreidepreise schon jetzt explodiert sind, erinnern Experten an den Arabischen Frühling, der Proteste auslöste und Regierungen stürzte: Die Menschen forderten damals nicht nur Freiheit auf den Straßen, sondern auch Brot.

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"Ausmaß der Plünderungen ist gewaltig"

Zurzeit aber sind Landwirtschaft und Ernährungssicherheit vor allem strategische Druckpunkte im Krieg zwischen Agrar-Supermächten, zwei der vielen Schlüssel für die Entscheidung über Sieg oder Niederlage. Die russischen Truppen legen die ukrainische Landwirtschaft in vielen Teilen des Landes lahm: Im Süden des Landes häufen sich seit Tagen Berichte, dass Putins Truppen Landmaschinen und Getreide stehlen und in Lastwagen nach Russland transportieren. Immer häufiger sollen in besetzten Gebieten wie Cherson und Saporischschja Getreidespeicher geplündert oder beschossen worden sein.

Der Bürgermeister von Melitopol beklagte im Gespräch mit dem US-Sender CNN, dass sich russische Soldaten "wie Kriminelle in den 90er-Jahren" verhielten. "Zuerst bieten sie an, Getreide zu einem lächerlich niedrigen Preis zu kaufen, aber wenn du nicht zustimmst, nehmen sie dir alles weg", sagte er. "Das Ausmaß der Plünderungen ist gewaltig."

Die UN-Agrarorganisation schätzt die Berichte als glaubwürdig ein, teilte sie am Freitag mit. Es gebe glaubhafte Berichte und "anekdotische Beweise", dass russische Streitkräfte Getreide sowie Agrargeräte stehlen, mit Lastwagen nach Russland schaffen und Lagerhäuser zerstören. Rund 700.000 Tonnen Getreide seien verschwunden.

Eines der größten Probleme der Ukraine aber ist der Export: Die Häfen am Schwarzen Meer, über die das Getreide normalerweise verschifft wird, sind blockiert, Bahnstrecken werden gezielt unter Beschuss genommen. Noch liegen Lieferungen bereit, können aber das Land nicht verlassen. Von einer "nahezu grotesken Situation" spricht UN-Experte Josef Schmidhuber.

Die Lage sei bereits jetzt angespannt, sagt Landwirt Lissitsa, die Lager voll. "Wenn wir nicht bald in größerem Umfang exportieren können, wird das zum Problem."

Experte: Putins Krieg schaltet Hauptkonkurrenten aus

Putin profitiert von den Attacken auf die ukrainische Landwirtschaft gleich zweifach: im Krieg und auf dem Weltmarkt. Denn liegt die angegriffene Ukraine mit neun Prozent Anteil am weltweiten Export von Weizen und Mehl unter den Top 7 auf der Länderliste, belegt Aggressor Russland Platz eins. Auf 29 Millionen Hektar wird in Russland Weizen angebaut – das ist mehr als in der gesamten Europäischen Union.

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"Es ist ein Nebeneffekt des Krieges, dass Russland einen seiner Hauptkonkurrenten auf dem Getreidemarkt loswird und eine stärkere Marktposition bekommt", sagt Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie an der Universität Rostock, zu t-online. Durch Handelsrestriktionen könne der russische Präsident das Angebot auf dem Weltmarkt so künstlich verknappen, den Preis im Ausland in die Höhe treiben, im eigenen Land aber niedrig halten.

Eine Beschränkung des Exports von Weizen, Roggen, Gerste, Mais und Mischgetreide bis Ende Juni hat Russland bereits vor Wochen bekannt gegeben. "Der hohe Getreidepreis weltweit geht gerade auf einen einzigen Spekulanten zurück: Wladimir Putin", so Lakner.

"Eigentlich muss die Ukraine den Krieg gewinnen"

Die Weltgemeinschaft steht diesem Spekulanten größtenteils machtlos gegenüber. Bundeswirtschaftsminister Cem Özdemir geißelt zwar, wie viele seiner Kollegen und Agrar-Experten, das Vorgehen des russischen Präsidenten scharf, spricht von "Putins Großmachtphantasien", gezielten Getreidediebstählen in der Ukraine durch "Putins Schergen" und davon, dass der russische Präsident Hunger als Waffe einsetze. "Seine grausame Rechnung: Wer keine Kraft hat, wehrt sich nicht", sagte Özdemir t-online.

Doch in der nächsten Woche findet in Stuttgart unter Özdemirs Leitung die Agrarministerkonferenz der G7 statt – und die Liste an Ideen, wie der Ukraine in dem Bereich zu helfen ist, ist kurz und unkonkret. Mehr Lebensmittellieferungen stehen darauf sowie Unterstützung mit Saatgut, Diesel und Landtechnik. Die internationale Staatengemeinde solle außerdem alles dafür tun, um "alternative, leistungsfähige Verkehrswege zu ermöglichen", damit die Ukraine exportieren könne, sagt Özdemir.

Wie das genau aussehen könnte? Das ist derzeit noch unklar. Die ukrainischen Züge laufen auf breiteren Schienen als in Deutschland und großen Teilen Europas, Ersatz kann hier nicht einfach geschickt werden, Lieferungen müssen aufwendig umgeladen werden. Der Transport per Lkw gilt als zu kleinteilig. Kaum lohnenswert.

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Für Agrarökonom Lakner ist die Lage klar: Die Probleme seien kaum zu lösen, die Gefahr für die weltweite Ernährungssicherheit nicht zu bannen, wenn der Krieg nicht beendet werde. "Eigentlich muss die Ukraine den Krieg gewinnen – Punkt", sagt er. "Andere Länder können am ehesten helfen, indem sie die Ukraine so ausstatten, dass sie erfolgreich Widerstand leisten kann."

Auch Landwirt Alexander Lissitsa sieht beim Export wenige Möglichkeiten für den Westen, der Ukraine zurzeit zu helfen. "Lkw", sagt er schließlich. Es ist ein verzweifelter Wunsch, Lissitsa weiß, dass Lastwagen im Vergleich zu Schiffen und Zügen nur einen Bruchteil der ukrainischen Ernteerträge transportieren können. Das aber, sagt er, sei immer noch besser als gar nichts. Jedes bisschen helfe, jeder Tag zähle.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Alexander Lissitsa
  • Gespräch mit Agrarökonom Sebastian Lakner
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