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Russlands Propaganda: Warum sich Menschen für Putin als Werbebanner hergeben


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Russen in Deutschland
Sie wissen selbst nicht, wer sie sind

MeinungVon Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 25.04.2022Lesedauer: 3 Min.
"Prorussischer Protest" in Hannover (Archivibild): Die Teilnehmer der sogenannten Russenkorsos sitzen Putins Propaganda auf, meint Wladimir Kaminer.Vergrößern des Bildes
"Prorussischer Protest" in Hannover (Archivibild): Die Teilnehmer der sogenannten Russenkorsos sitzen Putins Propaganda auf, meint Wladimir Kaminer. (Quelle: U. Stamm/imago-images-bilder)

Russlands Propaganda ist voller Lügen, geglaubt wird ihr aber trotzdem viel zu oft. Im Reich des Kremls selbst und auch in Deutschland, wo "Russenkorsos" irritieren. Das meint Wladimir Kaminer.

Jede neue Krise bereichert die deutsche Sprache. Die Flüchtlingskrise hat uns Pegida beschert, Corona gebar die Querdenker, und der Krieg in der Ukraine die "Russenkorsos". Manchmal denke ich, es sind die gleichen Leute, auch wenn sie nicht immer die gleiche Sprache sprechen.

(Quelle: Frank May)


Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Büchern gehört "Russendisko". Im Sommer 2021 erschien sein neuestes Buch "Die Wellenreiter. Geschichten aus dem neuen Deutschland".

Prorussische Autokorsos fanden an mehreren Orten in Deutschland statt, um gegen die sogenannte Russophobie zu protestieren, in Lörrach, in Hannover, bei Bonn. In Berlin haben fast 900 Fahrzeuge daran teilgenommen, alles teure und moderne Autos, mit großen russischen Flaggen dekoriert. Und niemand weiß, wo diese Menschen herkommen, wer sie organisiert und die Fahnen an sie verteilt.

Möglicherweise haben sie Tücher in den passenden Fahnen mitgebracht, aber für mich ist es eine abwegige Vorstellung, dass es Menschen gibt, die Staatsfahnen von der Größe einer Tischdecke im eigenen Haushalt besitzen. Das Medieninteresse war riesig, eine Menge Journalisten fuhren hin, wurden beschimpft und angespuckt, "Lügenpresse" wurde auch geschrien.

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"Wir leben in der Demokratie, ihr müsst uns aushalten", lachte eine Russlandfahnenbesitzerin in die Kamera. Erinnert das nicht an die Montagsdemos, an Querdenkerversammlungen, die alle Viren dieser Welt überleben werden? Die Medien schaffen sich eben gerne eine Sensation.

Tausende und Abertausende meiner russischen Landsleute hier in Deutschland nehmen ukrainische Geflüchtete bei sich auf, sie helfen, volontieren an den Bahnhöfen, spenden Geld und sammeln Kleidung. Doch mit diesen Menschen ist keine Sensation zu machen, sie sind zu normal. Nur die Versprengten und Verwirrten sorgen für hohe Einschaltquoten.

Die Diskussion wird breit geführt, gibt es die Russophobie wirklich, die die Teilnehmer der "Russenkorsos" beklagen? Eine verbreitete Einstellung, die Menschen aus einem anderen Volk aggressiv ablehnt? Sie existiert tatsächlich. Und zwar im russischen Propagandafernsehen, das in Deutschland problemlos zu empfangen ist. Und auch in den Tiraden des Botschafters.

Die russische Botschaft hat eine extra Seite geschaltet, auf der die russischsprachigen Bürger sich beschweren dürfen. Der eine schreibt, er habe eine Putin-Karikatur in einem Hotel an der Wand gesehen, das Bild habe ihn zutiefst gekränkt. Eine Dame erzählt, sie habe bei der Arbeit Putins Krieg verteidigt, dabei die russischen Fernsehnachrichten erwähnt und wurde daraufhin von den Kollegen beschimpft.

Lügen, Lügen, Lügen

Ein anderer hat angeblich eine russische Fahne in seinem Vorgarten gehisst und wäre dann vom Nachbarn als Faschist bezeichnet worden. Die Menschen, die sich beschweren, bleiben anonym. Aber weiter auf dieser Seite steht, der Inhaber des Berliner Restaurants "Pasternak" und der Inhaber des Geschäfts "Kasatschok" würden bedroht, weil sie mit Putin sympathisierten. Zufällig kenne ich beide Inhaber gut und lange.

Der eine ist Ukrainer und sehr gekränkt wegen des Angriffskriegs, den Russland gegen seine Heimat führt, der andere hat mehr Flüchtlingshilfe geleistet als das gesamte Auswärtige Amt, und beide wünschen sich, dass Putin in der Hölle schmort. Das russische Botschaftspersonal lügt, wie es atmet und wird dabei nicht einmal rot. Die russische Kultur werde ausgeschaltet, behaupten sie weiter.

Meine Mutter geht in Berlin jede Woche in die Philharmonie zu irgendeinem russischen Konzert, ich habe das Gefühl, die spielen fast nur noch Mussorgsky, Schostakowitsch und Tschaikowski. Gerade hatte dessen "Pique Dame" Premiere. Der Dirigent ist ein Russe, die besten Klavierspieler meiner Heimat gastieren ununterbrochen in den größten Konzertsälen des Landes. Die ganze russische Bestsellerliste.

Die Teilnehmer der Autokorsos leiden unter einer kognitiven Dissonanz, unter unvereinbaren mentalen Ereignissen, hervorgerufen durch die russische staatliche Fernsehpropaganda. Aus den russischen Nachrichten erfahren sie, dass die glorreiche russische Armee die Ukrainer aus den Kellern befreien würde, wo sie von den ukrainischen Nationalisten und ihren Befehlshabern in Europa vorgeblich gehalten werden.

Es geht auch um den Westen

Die Russen halten den Rest der Weltbevölkerung für Faschisten und wollen sie gleichzeitig befreien. Wer sind sie also, die russischen Zuschauer aus Deutschland? Sind sie die Befreier oder die im Keller, die befreit werden müssen? Und falls Letzteres der Fall ist: Von wem? Sie wissen selbst nicht, wer sie sind und werden von Putins Regime als fünfte Kolonne benutzt, um den Feind im Westen zu verunsichern.

Der russische Präsident und sein Außenminister haben schon mehrmals betont, in diesem Krieg gehe es nicht um die Ukraine. Sondern es geht um Europa und darum, Amerika zu blamieren. So werden die Menschen aus den "Russenkorsos", die selbst nicht mehr wissen, wer und wo sie sind, zu kostenlosen Werbeträgern für die russische Angriffspolitik.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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