Unterstützung für die Ukraine Das steckt hinter dem Streit um schwere Waffen
Seit Wochen fordert die Ukraine von Deutschland schwere Waffen. Olaf Scholz steht wegen seiner Haltung in der Kritik. Doch was sind schwere Waffen eigentlich – und könnte Deutschland sie liefern?
Seit Tagen wird Bundeskanzler Olaf Scholz auch aus der eigenen Koalition gedrängt, sich zur Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine zu positionieren.
Am Dienstagabend beantwortete er die Frage in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz mit einem "Ja, aber". Dass die Ukraine schwere Waffen von Nato-Ländern erhält, unterstützt der Kanzler. Direkt aus Deutschland sollen sie aber nicht kommen. Ein Überblick:
Was ist unter "schweren Waffen" zu verstehen?
Schwere Waffen sind zunächst einmal von Klein- und Leichtwaffen, aber auch von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen zu unterscheiden. Im Allgemeinen gibt es vier Kategorien von schweren Waffen:
- Gepanzerte Fahrzeuge: Darunter sind etwa Mannschaftstransportwagen, leichte Panzer oder Kampfpanzer zu verstehen.
- Artillerie: Darunter fallen alle großkalibrigen Geschütze mit einem Kaliber von mehr als 100 Millimetern und Raketenwaffen wie Mehrfachraketenwerfer, selbst fahrende und gezogene Geschütze.
- Kampfflugzeuge: Als schwere Waffen zählen außerdem Kampfflieger und -hubschrauber, aber auch Jagdflugzeuge.
- Großkampfschiffe: U-Boote und Überwasserkampfschiffe, die größer sind als eine Korvette, fallen ebenfalls unter die Rubrik Schwere Waffen.
Was hat der Kanzler der Ukraine zugesagt?
Scholz sagte der Ukraine zu, direkte Rüstungslieferungen der deutschen Industrie zu finanzieren. Die Ukraine habe sich von einer Angebotsliste Rüstungsgüter ausgesucht, die von der Bundesregierung finanziert würden. Darunter seien wie bisher Panzerabwehrwaffen, Luftabwehrgeräte, Munition "und auch das, was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann". Von Artilleriegeschützen selbst, und somit schweren Waffen, sprach Scholz allerdings nicht.
Nato-Partner, die Waffen sowjetischer Bauart in die Ukraine liefern, sollen allerdings einen Ausgleich aus Deutschland erhalten. Da die ukrainische Armee zum großen Teil noch mit Waffen aus Sowjetzeiten kämpft, gelten diese als am leichtesten handhabbar für die Soldaten – ohne längere Ausbildung. Diese Waffen, darunter auch schwere, sind vor allem in osteuropäischen Staaten vorhanden. So soll Tschechien bereits Panzer geliefert haben. Estland hat – mit deutscher Zustimmung – Artilleriegeschütze geliefert, die ursprünglich aus DDR-Beständen stammen.
Scholz deutete außerdem eine mögliche Beteiligung an der Lieferung von Artillerie aus den USA oder den Niederlanden in die Ukraine an. Es könnte um die Bereitstellung von Munition oder die Ausbildung ukrainischer Soldaten gehen. Die USA haben die Lieferung von schweren Artilleriegeschützen bereits in der vergangenen Woche angekündigt und auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Dienstag die Lieferung schwerer Waffen zu.
Liefert Deutschland auch schwere Waffen aus Bundeswehrbeständen?
Generell werden kaum noch Waffen aus Beständen der Bundeswehr an die Ukraine geliefert. "Hier müssen wir inzwischen erkennen, dass die Möglichkeiten, die wir haben, an ihre Grenzen stoßen", sagt Scholz am Dienstag.
Hintergrund ist, dass die Bundeswehr ihre schweren Waffen selbst für sich beansprucht, um die Landes- und Bündnisverteidigung gewährleisten zu können. Das gilt beispielsweise für Marder-Schützenpanzer oder die Panzerhaubitze 2000, ein schweres Artilleriegeschütz.
Und selbst wenn: Könnten ukrainische Soldaten mit deutschen Leopard- und Marder-Panzern umgehen?
Dazu gibt es unterschiedliche Angaben. Von deutscher Seite wird auf umfangreiche Ausbildung für solche "Dienstposten" verwiesen. Die Ukraine aber lässt das nicht gelten und will möglichst zügig Training für ihre Soldaten erhalten und die notwendigen Zusagen, um in einigen Monaten Feuerkraft und geschützte Bewegung auf dem Gefechtsfeld zu haben. Es handele sich, so die Ukraine, um Soldaten der Panzertruppe, die ihre Kenntnisse auf das neue Gerät übertragen könnten.
Auch Militärexperte Carlo Masala sieht in der kurzfristigen Lieferung und Ausbildung kein Gegenargument, sagte er dem ZDF. Ein Problem sei jedoch der Aufbau einer Logistik-Kette, also einer Infrastruktur für die Wartung, Reparatur, Ersatzteile und um die Panzer mit Munition und Treibstoff zu versorgen. "Die meisten denken, man stellt den Ukrainern den Panzer in Kiew auf den Hof und dann ist es gut". So einfach sei es allerdings nicht, räumte der Experte ein.
Es könnten immer mal Probleme auf dem Gelände entstehen, die Ersatzteile oder eine schnelle Wartung der Panzer erforderten. "Das müssen sie organisieren, das ist die weitaus größere Herausforderung", sagte Masala. Sie sei aber zu bewältigen. Man könne etwa eine Logistik-Kette nach Polen aufbauen. Von dort könnte sich die Ukraine die notwendigen Ersatzteile dann abholen.
Wird sich die Ukraine mit den Zusagen des Kanzlers zufriedengeben?
Das ist schwer vorstellbar. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat der Bundesregierung bereits im Februar eine Wunschliste vorgelegt, auf der fast alle schweren Waffensysteme stehen, die es gibt – vom Kriegsschiff über den Kampfpanzer bis hin zum Kampfflugzeug. Es ist also möglich, dass er weiter darauf dringt, dass Deutschland direkt schwere Waffen liefert.
Welche Argumente sprechen gegen die Lieferung schwerer Waffen?
Das wohl gewichtigste sicherheitspolitische Argument ist die Befürchtung, Deutschland und die Nato könnten zur Kriegspartei werden. Diese Sorge ist mehrfach laut geworden und gipfelt in Warnungen, dass ein solcher Konflikt in einen Atomkrieg eskalieren könnte, denn Russlands Präsident Wladimir Putin droht schon seit den ersten Tagen des Krieges damit, nukleare Waffen einzusetzen.
Welche Argumente sprechen dafür?
In der Nato warnen Experten davor, dass der russische Präsident Wladimir Putin nach einem Sieg in der Ukraine auch andere Staaten in der Nachbarschaft angreifen könnte, darunter Moldau und die baltischen Staaten.
Daraus folgt die Logik, dass die Ukraine mit dem Widerstand gegen den russischen Angriff "auch für uns" kämpft. Ähnlich argumentierte auch Selenskyj für mehr Waffenlieferungen. Das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung wird dabei uneingeschränkt anerkannt.
Wie ist der Diskussionsstand in der Koalition?
Die Grünen und die FDP haben sich für die Lieferung schwerer Waffen ausgesprochen. Die SPD war bisher uneins. Politiker des linken Flügels haben sich dagegen ausgesprochen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), zählt zu den Befürwortern.
Woher kommt das Geld für die Finanzierung der Rüstungslieferungen der deutschen Industrie?
Dafür hat Scholz schon vorletzte Woche den Geldtopf für Rüstungshilfe im Ausland von 225 Millionen auf zwei Milliarden Euro in diesem Jahr aufgefüllt. Ein großer Teil davon ist für die Ukraine vorgesehen.
- Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Recherche
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