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Russische Invasion - Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage


Russische Invasion
Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Von dpa
Aktualisiert am 13.04.2022Lesedauer: 7 Min.
Eine Brücke in der Region Kiew, die während des Rückzugs des russischen Militärs zerstört worden ist.Vergrößern des Bildes
Eine Brücke in der Region Kiew, die während des Rückzugs des russischen Militärs zerstört worden ist. (Quelle: -/Ukrinform/dpa./dpa)

Kiew/Rom (dpa) - Die stellvertretende ukrainische Regierungschefin Olha Stefanischyna hat in einer Rede vor Parlamentsabgeordneten in Italien von schlimmsten Kriegsverbrechen in ihrem Land berichtet.

"Das ist so schockierend, das konnte ich mir davor alles nicht vorstellen", sagte die Politikerin in einer Videoschalte am Mittwoch. Sie erzählte zum Teil sehr detailliert davon, wie russische Soldaten ukrainische Frauen vor den Augen ihrer Kinder vergewaltigten und Kinder vor den Augen der oft gefesselten Mütter. "Es geht nicht nur darum, zu verletzten, sondern zu erniedrigen, um den Widerstand zu brechen", sagte Stefanischyna und meinte: "Das ist Russland."

In den vergangenen Wochen hatte es vor allem aus befreiten Gebieten Berichte von derartigen Gräueltaten durch die russischen Angreifer gegeben. Moskau streitet das ab und wirft der Ukraine vor, Falschinformationen zu verbreiten - jedoch ohne Beweise.

Stefanischyna sagte, dass nicht nur Russlands Präsident Wladimir Putin Verantwortung trage für die Menschenrechtsverletzungen. "Wir sehen das wahre Gesicht des russischen Militärs. Es ist nicht nur das wahre Gesicht Putins, sondern das Gesicht eines jeden einzelnen russischen Soldaten, der solche Verbrechen begeht." Zivilisten würden getötet und missbraucht, Kinder vielfach verschleppt.

"Das einzige, was die Russen nicht interessiert, sind Menschenleben", sagte sie laut Übersetzung vor Mitgliedern der Kommission für Menschenrechte des Senats, also der kleineren Parlamentskammer. Die Politikerin forderte die internationale Gemeinschaft zu noch mehr Härte gegen Moskau auf.

Hunderte Tote nach Abzug russischer Truppen gefunden

Nach dem Abzug russischer Truppen aus der Region Kiew sind in den ehemals besetzten und umkämpften ukrainischen Gebieten inzwischen Hunderte Leichen von Bewohnern gefunden worden. "Die Zahl der entdeckten und untersuchten Körper umgekommener ziviler Personen im Gebiet Kiew im Ergebnis der russischen Aggression beläuft sich bereits auf über 720 Personen", sagte der Polizeichef des Gebiets, Andrij Njebytow, einer Mitteilung zufolge. Weitere 200 Menschen gelten als vermisst.

Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa hatte am Sonntag in einem Interview von 1222 getöteten Zivilisten im Gebiet Kiew gesprochen. Polizeichef Njebytow zufolge sind 1463 Verfahren wegen Kriegsverbrechen eingeleitet worden. Daneben habe es 150 Plünderungen gegeben. 30 Fälle der Zusammenarbeit mit den russischen Besatzern wurden demnach registriert.

Im nordostukrainischen Gebiet Sumy wurden nach dem Abzug russischer Truppen nach offiziellen Angaben mehr als 100 Leichen gefunden. "Leider erhöht sich diese Zahl jeden Tag, denn es werden Körper gefunden - mit gefesselten Händen, mit Folterspuren, mit Kopfschüssen, das sind schreckliche Dinge", sagte der Gouverneur des Gebiets, Dmytro Schywyzkyj, am Mittwoch vor Journalisten. Viele Menschen seien noch vermisst oder in russischer Gefangenschaft.

Zudem würden in Krankenhäusern - auch in Nachbargebieten - noch viele Verletzte behandelt. Die russischen Soldaten hätten bei ihrem Einmarsch wild um sich geschossen, sagte Schywyzkyj. "Das war Terror und Schrecken, den die Russen bei uns in der Region verursachten", sagte der Gebietsvorsteher. Die Menschen hätten sich in Sümpfen, Bauernhöfen und selbst Futtersilos versteckt.

Selenskyj drängt EU zu russischem Öl-Embargo

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rief die EU-Staaten erneut zu einem entschlossenen Vorgehen gegen Russland auf. In einer Videoansprache im estnischen Parlament drängte er darauf, dem neuen Sanktionspaket ein Importverbot für russisches Öl hinzufügen. Es brauche ein europaweites Embargo, betonte Selenskyj. Sanktionen seien das einzige Instrument, das Russland zum Frieden zwingen könne. "Wenn Europa Zeit verschwendet, wird Russland dies nutzen, um das Kriegsgebiet auf weitere Länder auszudehnen", sagte Selenskyj. "Wir können Russland entweder aufhalten - oder ganz Osteuropa für sehr lange Zeit verlieren".

Estlands Regierungschefin Kaja Kallas stimmte Selenskyj in ihrer Reaktion auf seine Ansprache zu. "Wir brauchen jetzt harte Energiesanktionen gegen Russland. Wir können die Aggression nicht weiter finanzieren", twitterte sie nach der Rede des ukrainischen Präsidenten. Dafür sei schnellstmöglich ein Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs nötig.

Putin: Können Gas und Öl in andere Länder exportieren

Kremlchef Wladimir Putin zeigte sich derweil mit Blick auf Russlands Energiesektor zuversichtlich. "Was russisches Öl, Gas und Kohle angeht: Wir können ihren Bedarf auf dem heimischen Markt steigern, die Weiterverarbeitung von Rohstoffen stimulieren sowie die Lieferungen von Energieressourcen in andere Regionen der Welt erhöhen, wo sie wirklich gebraucht werden", sagte Putin der Agentur Interfax zufolge.

Um das zu realisieren, werde Russland "alle verfügbaren Möglichkeiten" nutzen, betonte der Kremlchef. Dazu gehöre auch der Ausbau innerrussischer Transportwege. Er ordnete an, noch in diesem Jahr mit dem Bau des sogenannten Nördlichen Breitenwegs zu beginnen - einer rund 700 Kilometer langen Eisenbahnstrecke südlich der Halbinsel Jamal.

Moskau: Hafen in Mariupol unter russischer Kontrolle

Russlands Armee hat nach eigenen Angaben den Hafen der schwer umkämpften ukrainischen Stadt Mariupol komplett unter ihre Kontrolle gebracht. Der Handelshafen sei von ukrainischen Asow-Kämpfern "befreit" worden, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Die verbliebenen ukrainischen Truppen seien "blockiert und der Möglichkeit beraubt, aus der Einkesselung zu entkommen". Von ukrainischer Seite gab es dafür zunächst keine Bestätigung.

Offizieller: Über 1500 Leichen von Russen geborgen

In der südostukrainischen Großstadt Dnipro sind nach ukrainischen Angaben die Leichen von mehr als 1500 russischen Soldaten geborgen worden. Sie seien in insgesamt vier verschiedene Leichenhallen gebracht worden, sagte der Vize-Bürgermeister der Industriestadt, Mychajlo Lyssenko, dem US-finanzierten Fernsehsender Nastojaschtscheje Wremja. Er forderte russische Mütter auf, ihre toten Söhne abzuholen. "Ich möchte sie nicht in Massengräbern beerdigen. Ich möchte sie nicht einäschern", meinte Lyssenko. "Wir sind keine Unmenschen."

Die Angaben konnten zunächst nicht überprüft werden. Nach Darstellung der ukrainischen Armee wurden seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor knapp sieben Wochen bereits knapp 20.000 russische Soldaten getötet. Moskau hingegen nennt deutlich geringere Verluste und nannte zuletzt 1351 tote Soldaten in den eigenen Reihen.

Neue Angriffe auf in Kiew angedroht

Russland droht mit neuen Angriffen auf die ukrainische Hauptstadt Kiew - für den Fall, dass die Ukraine weiter russisches Staatsgebiet attackiere. "Wir sehen Sabotageversuche und Angriffe ukrainischer Truppen auf Objekte auf dem Gebiet der Russischen Föderation", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. "Wenn solche Fälle andauern, werden die Streitkräfte der Russischen Föderation Entscheidungszentren angreifen, auch in Kiew, worauf die russische Armee bislang verzichtet hat."

OSZE: Anzeichen für systematische russische Verbrechen

Laut laut einer unabhängigen Untersuchungskommission haben russische Truppen nach ihrem Einmarsch in die Ukraine wahrscheinlich Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt. Der Bericht von drei Juristen aus Österreich, der Schweiz und der Tschechischen Republik war von 45 Staaten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Auftrag gegeben worden und wurde nun in Wien veröffentlicht.

Die drei Experten fällten kein abschließendes Urteil darüber, ob Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt wurden. Sie stellten jedoch fest, dass gewisse Muster russischer Gewalttaten "wahrscheinlich die Kriterien erfüllen". Dazu zählten gezielte Tötungen und Entführungen von Zivilisten, darunter auch Journalisten und Beamte. Laut gängiger Definition gelten breit angelegte oder systematische Angriffe gegen Zivilpersonen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

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Laut dem Bericht haben russische Einheiten zumindest klar ihre Pflichten zum Schutz der Zivilbevölkerung verletzt. Anderenfalls wären die Opferzahlen weit geringer ausgefallen, und weit weniger Wohnhäuser, Krankenhäuser und Schulen wären zerstört worden, hieß es. "Der Bericht dokumentiert eindringlich das enorme Ausmaß der Grausamkeit der russischen Regierung", sagte Michael Carpenter, der US-Vertreter bei der OSZE.

Biden spricht von Völkermord

US-Präsident Biden zeigte sich entsetzt über Kriegsgräuel in der Ukraine und warf Moskau erstmals "Völkermord" vor. Die Beweise dafür häuften sich, sagte Biden. "Ich habe es Völkermord genannt, denn es wird klarer und klarer, dass (der russische Präsident Wladimir) Putin einfach versucht, die Idee, überhaupt Ukrainer sein zu können, einfach auszuradieren", sagte Biden im Bundesstaat Iowa. Letztlich müssten aber Juristen auf internationaler Ebene entscheiden, ob es sich um Genozid handele. Russland wies den Vorwurf zurück. "Wir halten Versuche, die Situation so zu verdrehen, für inakzeptabel", meinte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Russland wies den US-Vorwurf eines Völkermordes in der Ukraine entschieden zurück. "Wir sind mit ihnen kategorisch nicht einverstanden", kommentierte Kremlsprecher Dmitri Peskow die Äußerungen Bidens. "Wir halten Versuche, die Situation so zu verdrehen, für inakzeptabel", meinte Peskow der Agentur Interfax zufolge. "Erst recht ist das - wie wir bereits gesagt haben - kaum akzeptabel für den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika."

EU-Mission soll Kriegsverbrechen mit aufklären

Eine seit 2014 laufende EU-Beratungsmission in der Ukraine soll ab sofort dabei helfen, Kriegsverbrechen in dem Land aufzuklären. Die EU-Länder beschlossen, das Mandat der sogenannten EU-Beratungsmission für die Reform des zivilen Sicherheitssektors in der Ukraine (EUAM) zu ändern. Die Mission werde die ukrainischen Behörden unterstützen, Straftaten während des russischen Angriffskriegs zu verfolgen, hieß es in einer Mitteilung.

Die Mission soll demnach eng mit dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) und der Behörde Eurojust zusammenarbeiten sowie den ukrainischen Behörden mit Schulungen und strategischer Beratung zur Seite stehen. EUAM ist bereits seit Dezember 2014 aktiv. Ziel war es bisher, den ukrainischen Sicherheitssektor zu unterstützen, um die Rechtsstaatlichkeit in dem Land zu stärken. Zuletzt waren laut der Webseite etwa 350 Mitarbeiter an der Mission beteiligt - ob nun alle an der Aufklärung der Kriegsverbrechen beteiligt sein sollen, ist noch unklar.

Medwedew beschimpft Kiew nach Festnahme von Putin-Verbündetem

Der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew reagierte erbost auf die Festnahme des prorussischen Politikers Viktor Medwedtschuk in der Ukraine und erhob schwere Vorwürfe gegen Kiew. "Vereinzelte Missgeburten, die sich selbst als "ukrainische Regierung" bezeichnen, erklären, dass sie ein Geständnis aus Viktor Medwedtschuk herausprügeln, ihn "schnell und gerecht" verurteilen und dann gegen Gefangene austauschen wollen", schrieb Medwedew auf seinem Telegram-Kanal. Auch die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, warf Kiew Foltermethoden vor - ohne dafür jedoch Beweise zu liefern.

Medwedtschuk war viele Jahre einer der einflussreichsten Politiker in der Ukraine gewesen und gilt zugleich als engster Verbündeter von Putin im Land. Putin ist auch Taufpate von Medwedtschuks Tochter. In der Ukraine werden Medwedtschuk Hochverrat und Unterschlagung vorgeworfen.

London verhängt neue Sanktionen

Wegen ihrer Unterstützung für die prorussischen Separatistengebiete in der Ostukraine sind 178 Menschen von Großbritannien mit Sanktionen belegt worden. "Nach den schrecklichen Raketenangriffen auf Zivilisten in der Ostukraine bestrafen wir heute diejenigen, die die illegalen abtrünnigen Regionen stützen und sich an Gräueltaten gegen das ukrainische Volk mitschuldig machen", sagte Außenministerin Liz Truss. Ihre Behörde betonte, dieser Schritt sei lange geplant gewesen. Nun habe der Raketenangriff auf den Bahnhof der Stadt Kramatorsk, bei dem am Freitag mehr als 50 Menschen getötet worden waren, die Regierung angespornt.

Die Maßnahmen würden mit der EU koordiniert, teilte das Außenministerium in London mit. Von diesem Donnerstag an werde zudem der Import von russischem Eisen und Stahl sowie der Export von Quantentechnologien verboten, die Kremlchef Putin dringend benötige. "Wir werden weiterhin all diejenigen ins Visier nehmen, die Putins Krieg unterstützen", sagte Truss.

Nach Angaben des Außenministeriums zielen die neuen Sanktionen unter anderem auf die Regierungschefs der selbst ernannten "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk, Sergej Koslow und Alexander Anantschenko. Zusätzlich zu zahlreichen führenden Separatisten treffen die Maßnahmen auch Familienmitglieder und Mitarbeiter der russischen Oligarchen Oleg Deripaska und Michail Fridman sowie die Ehefrau des russischen Außenministers Sergej Lawrow, Maria Lawrowa.

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