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Presse zum Bundestag nach Selenskyj-Rede: "Bodenloses, beschämendes Trauerspiel"


Presse zum Bundestags-Eklat
"Ein bodenloses, beschämendes Trauerspiel"

Von dpa, t-online, sje

Aktualisiert am 18.03.2022Lesedauer: 4 Min.
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"Deutschland hat einen Anspruch darauf": Das Vorgehen des Bundestags nach der Rede von Selenskyj sorgte für viel Wirbel – auch im Plenarsaal. (Quelle: t-online)
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Von "entlarvend" bis "menschenverachtend": Die Empörung über den Umgang mit der Rede Selenskyjs im Bundestag schlägt sich auch in der Presse nieder. Ein Überblick.

Am gestrigen Donnerstag hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Bundestag zu den Abgeordneten gesprochen. In einer Rede per Video-Schalte bat er eindringlich um mehr Hilfe für sein Land. Hier können Sie die Rede im Wortlaut nachlesen. Doch nach dem Termin folgte keine Debatte über das Gesagte. Stattdessen ging der Bundestag zur Tagesordnung über und befasste sich mit der Impfpflicht gegen das Coronavirus. Es hagelte Kritik für dieses Vorgehen – auch aus der deutschen Presse:

"Kölner Stadt-Anzeiger": "An Peinlichkeit nicht zu überbieten"

"Die Rede von Wolodymyr Selenskyj vor dem Bundestag geht tief ins Herz, und zugleich spricht sie für eine herausragende Fähigkeit des politischen Kalküls. Bei seinen Video-Auftritten vor westlichen Parlamenten steuert der Präsident gezielt wundeste historische Punkte der einzelnen Länder an – und leitet daraus einen Anspruch an Hilfe zur Rettung der Ukraine ab. Und er bittet flehentlich. Doch der Westen hält seine Forderungen für unerfüllbar, was nur zum Teil stimmt. Wie aber das deutsche Parlament auf Selenskyj reagiert hat, ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Einfach würdelos."

"Frankfurter Rundschau": "Eine schwarze Stunde des deutschen Parlamentarismus"

"Wolodymyr Selenskyj ist ein großer Redner. Langer Beifall folgte seinem Wunsch, dass sich die Deutschen im Rückblick 'nicht schämen' müssten, wenn sie der "historischen Verantwortung" angesichts von Putins Krieg nicht gerecht würden. Doch was folgte, war eine schwarze Stunde des deutschen Parlamentarismus. Die Unionsfraktion vergriff sich unfassbar im Ton, der Kanzler blieb sprachlos und die Ampel-Fraktionen verhedderten sich in einer unwürdigen Geschäftsführungsdebatte. Hätte Selenskyj das Wort "schämen" nicht gerade in einen weltpolitischen Zusammenhang gehoben – für dieses Verhalten des Parlaments bliebe nur die Hinterhofbedeutung von Scham. Olaf Scholz ließ diesen Moment regungslos vorübergehen. Wie kann er nach so einer Rede schweigen? Wie kann er diese aufwühlenden Worte unkommentiert lassen? Wenn Du geredet hättest, Olaf Scholz, hätte ich Dich für einen Kanzler gehalten."

"Nordbayerischer Kurier": "Ein bodenloses, beschämendes Trauerspiel"

"Nein, es war keine große Rede, die Wolodymyr Selenskyj gehalten hat. Dennoch rannte er gegen eine Mauer; die Mauer, die er in seiner Rede als neu erwachsend bezeichnete. Der deutschen Politik gehe es um 'Wirtschaft, Wirtschaft, Wirtschaft', sagte Selenskyj. Mag sein, dass er in seiner emotionalen Darstellung überzeichnete. Doch wer – wie das deutsche Parlament – nach einem Hilferuf kommentarlos zur Geschäftsordnung übergeht, der wie Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Geburtstagswünsche an Parlamentarier anhängt, zeigt, dass er nicht einen Hauch von Empathie besitzt. Die Deutschen erlebten keine Sternstunde des Parlaments. Es war ein bodenloses, beschämendes Trauerspiel."

"Heilbronner Stimme": "Wie menschenverachtend kann man sein?"

"Was ist Deutschlands historische Verantwortung wert, diese Gewissensfrage stellte der Präsident. Keine Antwort aus Berlin, keine Debatte über das Thema, das nun wirklich wichtiger ist als das Impfen. Wie klein, wie provinziell, wie menschenverachtend und wie unsensibel kann man sein? Dazu also brauchen wir das zahlenmäßig größte Parlament aller Zeiten. Aber numerische Größe sagt nichts über wahre Größe aus. Ein Trauerspiel, ein Wegschauen. So wie Deutschland die Gefahren für die Ukraine jahrelang kleingeredet hat. Ein paar Gesten und wohlfeile Aussagen. Sie helfen einem sterbenden Volk genauso wenig wie stehende Ovationen für einen Präsidenten. Der musste sich anschließend wieder um Krieg, Luftangriffe und die Verteidigung seines Volkes kümmern. Die deutsche Politik kümmerte sich um sich selbst."

"Augsburger Allgemeine": "Weniger Sinn für Empathie kann man nicht haben"

"Wenn die Ukrainer einer Bestätigung für ihre Enttäuschung über Deutschland bedurften, dann haben sie diese im Bundestag bekommen. Ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Abgeordneten und der Bundesregierung geschildert, was Krieg ist. Er hat den Politikern des mächtigsten Landes der EU ins Gewissen geredet und sie auch hart kritisiert. Nach dieser historischen Bitte um Beistand ging das Parlament zur Tagesordnung über. (...) Kanzler Scholz (SPD) hielt es nicht für nötig, auf Selenskyj zu antworten, der eine weitere Bombennacht hinter sich hatte. Weniger Taktgefühl, weniger Empathie, weniger Sinn für Symbolik kann man nicht haben."

"Südkurier": "Sehr entlarvend"

"Eindringlicher kann eine Rede vor dem Bundestag kaum sein, auch wenn der Gastredner nur per Video zugeschaltet ist. 'Bitte helfen Sie uns': Wolodymyr Selenskyj hat den Deutschen mit aufrüttelnden Worten ins Gewissen geredet und die wunden Punkte ihrer Ukraine-Politik offengelegt. Die Bundesrepublik zeigt sich enorm hilfsbereit, wenn es um Flüchtlinge und die Linderung von Not geht. Aber Putin stoppen, wie der ukrainische Präsident es fordert? So weit geht die Unterstützung nicht. Zu groß ist die Angst, in den Krieg hineinzogen zu werden. Für diese Haltung gibt es gute und nachvollziehbare Gründe. Es wäre angebracht gewesen, Bundeskanzler Scholz hätte sie erläutert und dem Gast erklärt, in welchem Dilemma sich seine Regierung befindet. Stattdessen ging der Bundestag nach Selenskyjs Rede zum Tagesprogramm über und leistete sich eine Debatte über die Geschäftsordnung. Das ist allemal leichter, als sich mit den Forderungen aus Kiew auseinanderzusetzen. Sehr entlarvend.

"Hannoversche Allgemeine Zeitung": "Sie hätten wenigstens schweigen können"

"Selenskyj bittet Kanzler Olaf Scholz persönlich, diese neue Mauer einzureißen. Und was macht der Bundestag? Er hält nicht inne, er redet auch nicht darüber, was Selenskyj gesagt hat. Das deutsche Parlament geht einfach zur Tagesordnung über. (...) Ihr Applaus im Stehen für den ukrainischen Präsidenten, der vielleicht sein Leben in diesem Krieg geben wird, ist schon verhallt. Beschämend. Sie hätten wenigstens schweigen können – vor und nach seiner Rede."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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