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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ukraine-Krieg Die ganze Sinnlosigkeit
Putin macht, was Putin machen will: Diese bittere Erkenntnis bedeutet auch, dass all die diplomatischen Bemühungen vergebens waren, wohl von Anfang an. Die Folgen sind unabsehbar.
Olaf Scholz presst das Wort geradezu heraus, so als brauche er jetzt ein Ventil für seine Bestürzung, für seine Wut. "Dieser 24. Februar ist ein fuchtbarer Tag für die Ukraine", sagt der Bundeskanzler, das "r" geht unterwegs verloren. Fuchtbar. "Und ein düsterer Tag für Europa."
Wladimir Putin breche "abermals eklatant das Völkerrecht", bringe "Leid und Zerstörung" über seine Nachbarn und stelle die "Friedensordnung unseres Kontinents infrage", sagt Scholz, als er an diesem historischen Donnerstag kurz vor Mittag erstmals vor die Presse tritt. "Für all das gibt es keine Rechtfertigung. Das ist Putins Krieg."
Am Morgen ist schon die Außenministerin aufgetreten, Annalena Baerbock. Sie ist in schwarz gekleidet, wie Scholz auch, und spricht sichtlich angefasst noch düsterere Worte. "Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht", sagt sie, in den paar freien Minuten zwischen Krisenstab und Sicherheitskabinett. Sie spricht von einem nicht zu rechtfertigenden "Blutvergießen", ja sogar von "skrupellosem Mord".
Rhetorische Eskalation – und Selbstbeschwörung
Es ist eine rhetorische Eskalation, die sich in den vergangenen Tagen und Wochen schon aufgebaut hatte. Eine Deutlichkeit, die eher ungewöhnlich ist in der deutschen Diplomatie. Die jedoch angesichts der militärischen Eskalation Putins schlicht die Realität beschreibt, schonungslos offen.
"Wir sind fassungslos", sagt Baerbock dann noch, "aber wir sind nicht hilflos". Und das ist der Punkt, an dem ihre Ansprache doch eher zur Selbstbeschwörung gerät. Denn wenn die vergangenen Tage und Wochen eines gezeigt haben, dann ist es doch leider das: Selbst ein geeinter Westen, gut abgestimmt und überdeutlich in seinen Botschaften, hat Putin nicht von einem Krieg abgehalten.
Putin macht, was Putin machen will.
Es sind deshalb auch Tage der großen Vergeblichkeit, der ganzen Sinnlosigkeit des Diplomaten-Seins. Im Wissen, dass man es natürlich versuchen muss, immer und immer wieder. Besonders, wenn man nicht viel anderes in der Hand hat.
Wir kennen ihn doch
"On le connaît, huh?", hatte Jean-Yves Le Drian noch am Mittwoch gesagt. Wir kennen ihn doch. Es war die Antwort des französischen Außenministers auf die Frage, ob man Putin eigentlich noch vertrauen könne, weil er doch vergangene Woche gesagt habe, er wolle keinen Krieg. Wir kennen ihn doch. Natürlich nicht.
Annalena Baerbock, die dort in Berlin neben ihrem Besucher aus Frankreich stand, buchstabierte es anschließend aus: "Wenn man vor einer Woche A gesagt hat und jetzt das Gegenteil tut, dann hat man nicht die Wahrheit gesagt. Oder auf Deutsch: Dann hat man gelogen."
Wohlgemerkt, alles noch am Tag, bevor Putin seine Truppen offiziell losschickt.
Es hat eine Phase gegeben in dieser Konfrontation, da haben westliche Partner mit dem Kopf geschüttelt, wenn Olaf Scholz etwas zu Russland gesagt hat. Viel zu weich, viel zu leise. Und in welcher Welt ist Nord Stream 2 bloß ein "privatwirtschaftliches Projekt", über das "ganz unpolitisch" entschieden wird?
Diese Phase ist jedoch schon seit Wochen vorbei. Nach der nur halb scherzhaften Frage "Wo ist Olaf?" flog Olaf nach Washington, in die Ukraine, nach Russland. Baerbock war da ohnehin schon überall gewesen, und hatte selbst ihrem berüchtigten Amtskollegen Sergej Lawrow getrotzt. Da schau mal einer an, so ungefähr klang das bei manchem Beobachter anschließend.
Schau her, Wladimir
Und wer diese Klarheit beim Kanzler vermisst hatte, für den war spätestens bei dessen Besuch im Kreml etwas dabei. Am Ende erlaubte sich Scholz sogar eine kalkulierte Unverschämtheit. Die Ukraine werde der Nato in ihrer beider Amtszeiten doch sowieso nicht mehr beitreten, sagte Scholz. Wobei er ja nicht wisse, "wie lange der Präsident vorhat, im Amt zu sein". Und dann lächelte Scholz ihn verschmitzt an: Putin, den ewigen Herrscher.
Als dieser ewige Herrscher dann am Montag die sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk als unabhängig anerkannte, sie also rhetorisch endgültig von der Ukraine abtrennte, überraschte Scholz die Weltöffentlichkeit ein weiteres Mal.
Der Kanzler stoppte Nord Stream 2, zumindest vorübergehend. Als erste Sanktion überhaupt, noch bevor die EU ihre Sanktionen beschließen konnte. Und damit ausgerechnet die Pipeline, deren Namen er vorher wochenlang nicht mal aussprechen wollte. Jetzt kann man sich vorstellen, warum wohl: für den Knalleffekt. Schau her, Wladimir. Paff.
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Putin ist nicht beeindruckt
Doch so überraschend deutlich und einhellig die Reaktionen in den vergangenen Tagen auch gewesen sein mögen. Der Haken ist: Sie haben Putin nicht beeindruckt. Von den ersten Sanktionen bis zum Einmarsch sind kaum zwei Tage vergangen.
Es werden jetzt natürlich noch weitere Sanktionen in Kraft treten, härtere Sanktionen. Aber werden sie hart genug sein? Das Problem ist ja, dass die wirklich schmerzhaften meist auch schmerzhaft für den Westen sind. Oder sogar schmerzhafter für den Westen. Wenn Russland weniger Gas nach Europa verkauft, steigen hier die Preise. Putin aber findet wohl andere Abnehmer.
Ein Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungssystem Swift wäre wohl folgenreich für Putin. Aber eben auch für seine westlichen Handelspartner, Russland ist der fünftgrößte der EU.
Kein Wunder also, dass die deutsche Politik die Menschen schon darauf vorbereitet, dass der Krieg auch für sie einen Preis haben wird. Einen Preis in Euro und Cent.
Putin wird das für sich alles durchgerechnet haben, da gibt sich die westliche Politik eigentlich keinen Illusionen hin. Die Frage ist, wie viel er bereit ist zu zahlen. Das weiß aber eben mal wieder nur er selbst. Putin macht, was Putin machen will.
"Mehr oder weniger blank"
Denn dass der Westen Putin in der Ukraine stoppt, also wirklich stoppt – militärisch: das haben bislang alle ausgeschlossen. Die USA, die Nato, und Deutschland sowieso. Das ist Putins Krieg. Auch da stimmt, was Scholz sagt.
Die Bundeswehr stehe "mehr oder weniger blank da", schreibt der Heeresinspekteur am Donnerstag ins Internet. Ungewöhnlich genug. Fast so ungewöhnlich wie der Wutausbruch Annegret Kramp-Karrenbauers, der früheren Verteidigungsministerin. "Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben", schreibt sie bei Twitter. Erst auf Deutsch, dann auf Englisch.
"Wir haben die Lehre von Schmidt und Kohl vergessen, dass Verhandlungen immer den Vorrang haben, aber man militärisch so stark sein muss, dass Nichtverhandeln für die andere Seite keine Option sein kann."
Abschreckung also, militärische Abschreckung.
In einer anderen Welt
Man kann das aus guten Gründen ganz anders sehen, denn glaubwürdig wird Abschreckung nur, wenn man im Zweifel auch zum Kämpfen bereit ist. Und wer will sich schon an einem Krieg beteiligen, in welcher Form auch immer. Aber die Alternativen, um einen Wladimir Wladimirowitsch Putin zu beeindrucken, sind eben offensichtlich auch sehr begrenzt.
Was kann, was will Deutschland? Können wir uns militärisch noch immer weitgehend raushalten? Aber eben auch: Was kann Deutschland wirtschaftlich verkraften, ohne dass Gelbwesten auf den Straßen wegen der Benzinpreise randalieren? Oder ist das eben der Preis, den man zahlen will, zahlen muss?
Und was bedeutet das eigentlich alles für die gewaltige ökologische Transformation Deutschlands, bei der zumindest das Ziel wirklich alternativlos ist. Was, wenn das Vertrauen der Menschen schwindet, dass das schon irgendwie klappt?
"Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht", hat Annalena Baerbock gesagt. Wir alle. Was das genau bedeutet? Noch gar nicht abzusehen.
- Eigene Recherchen