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Die französische Impfpflicht – ein Vorbild für Deutschland?


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Plötzlich herrscht Impfpflicht
Frankreichs Corona-Kehrtwende – ein Vorbild für Deutschland?


Aktualisiert am 27.07.2021Lesedauer: 4 Min.
Impfzentrum in Cannes: Die Impfzahlen haben in Frankreich zuletzt deutlich zugenommen.Vergrößern des Bildes
Impfzentrum in Cannes: Die Impfzahlen haben in Frankreich zuletzt deutlich zugenommen. (Quelle: Lionel Urman/imago-images-bilder)
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Während Deutschland noch darüber streitet, wie die Impfquote gesteigert werden kann, hat Frankreich für erste Berufsgruppen eine Impfpflicht verhängt. Ist das auch in Deutschland denkbar?

Die Wortwahl von Emmanuel Macron hat sich drastisch geändert. Im Dezember, als auch Frankreich mit den ersten Impfungen begann, lehnte er eine Impfpflicht vehement ab. Stattdessen müsse man Vertrauen in die Forschung und die Medizin haben. Schließlich sei man das Land der Aufklärung und Heimat von Louis Pasteur, einem der Väter der heutigen Impfungen. "Vernunft und Wissenschaft müssen uns leiten", twitterte der französische Präsident.

Rund sieben Monate später nutzte Macron ähnliche Worte in einer Rede an die Nation: Auch hier sprach er von Vertrauen, Vernunft, Aufklärung – und von Pasteur. Nur seine Schlussfolgerung hat sich geändert: Um mehr Menschen zu schützen, müsse es eine Impfpflicht für das Gesundheitswesen geben. Doch damit nicht genug: "Je nachdem, wie sich die Situation entwickelt, werden wir uns zweifellos die Frage nach einer obligatorischen Impfung für alle Franzosen stellen müssen."

"Unverantwortlichkeit oder Egoismus"

Noch deutlicher wurde der Präsident dann am vergangenen Wochenende, als er den ungeimpften Teil der Bevölkerung mit folgenden Worten angriff: "Was ist Ihre Freiheit wert, wenn Sie mir sagen: 'Ich will mich nicht impfen lassen?' Wenn Sie morgen Ihren Vater oder Ihre Mutter oder mich anstecken, bin ich Opfer Ihrer Freiheit. Weil Sie die Möglichkeit hatten, sich und mich zu beschützen. Das nennt man Unverantwortlichkeit oder Egoismus."

Ein entsprechendes Gesetzespaket verabschiedete das Parlament am Montag: Alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen müssen bis zum 15. September eine erste Impfung gegen das Coronavirus nachweisen, einen Monat später muss dann die zweite erfolgt sein. Wer dem nicht nachkommt, wird zwar nicht dauerhaft entlassen, darf seinen Job aber nicht mehr ausüben und erhält kein Gehalt mehr.

Castex: "Sind in der vierten Welle"

Gleichzeitig schärfte Macron auch an anderen Stellen nach. Wer nicht geimpft oder genesen ist, muss künftig nahezu überall ein negatives Testergebnis nachweisen. Bereits seit vergangener Woche gilt die Bestimmung für alle Franzosen ab zwölf Jahren in Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Ab August gilt die Regelung dann auch für Einkaufszentren, Cafés und Restaurants oder Züge und Flugzeuge.

Ab Herbst müssen die Franzosen auch noch jeden Test selbst bezahlen. "Was Frankreich beschlossen hat ist eine indirekte Impfpflicht, mehr oder weniger mit Zwang durchgesetzt", sagte Volker Boehme-Neßler t-online, der Öffentliches Recht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg lehrt.

Gründe für die Kehrtwende Macrons gibt es einige. Seit Beginn des Monats sind die Neuinfektionen in dem Land wieder deutlich nach oben geschnellt. Auch in Frankreich ist die Delta-Mutation mittlerweile die beherrschende Variante. Am Dienstag lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 179, mehr als 21.000 Neuinfektionen wurden an dem Tag vermeldet. "Wir sind in der vierten Welle", sagte Premierminister Jean Castex bereits in der vergangenen Woche.

Impfzahlen ziehen an

Gleichzeitig hat man auch mit einer schleppenden Impfkampagne zu kämpfen. Deutlich länger als in Deutschland hat es etwa gedauert, eine Infrastruktur mit Impfzentren aufzubauen. Zudem gilt die Impfskepsis in Frankreich als besonders hoch: In einer Studie unter 67 Ländern aus dem Jahr 2016 zweifelten 41 Prozent der Franzosen die Wirkung von Impfungen an. Damit führte das Land die Statistik deutlich an.

Die neuen Regelungen zeigen bereits Wirkung. Nur einen Tag nach der Ankündigung der Maßnahmen durch Macron vor rund zwei Wochen wurden mehr als 900.000 Anmeldungen für neue Impftermine registriert. In der vergangenen Woche erhielten rund 4,7 Millionen Franzosen eine Spritze gegen das Coronavirus. Deutschland kam im gleichen Zeitraum nur auf etwa 3,2 Millionen.

Mehrheit steht hinter Impfpflicht

Geräuschlos traten die Maßnahmen allerdings nicht in Kraft. Premierminister Castex will das Gesetz vom französischen Verfassungsrat prüfen lassen. Gleichzeitig kam es landesweit schon mehrfach zu gewaltsamen Protesten. Am vergangenen Wochenende demonstrierten 160.000 Franzosen gegen die "Gesundheitsdiktatur". Macron wurde unter anderem als "Tyrann" beschimpft, teilweise trugen die Protestler gelbe Sterne auf ihrer Kleidung und verharmlosten damit den Holocaust.

Bisher handelt es sich bei der Gruppe noch um eine laute Minderheit: Laut einer Umfrage des Instituts Elabe sprechen sich 76 Prozent für eine Impfpflicht im Gesundheitswesen aus. Damit liegt die Zustimmung in Frankreich noch höher als in Deutschland. Laut einer Civey-Umfrage im Auftrag von t-online sind 65 Prozent hierzulande für eine verpflichtende Impfung in bestimmten Berufsgruppen.

Hürden in Deutschland hoch

Wären ähnliche Bestimmungen auch in Deutschland juristisch möglich? Volker Boehme-Neßler hat große Zweifel. Generell sei eine Impfpflicht ein deutlicher Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger. Ein entsprechendes Gesetz sei zwar nicht völlig ausgeschlossen und könne formal mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag verabschiedet werden. Juristisch sei es aber nur als letzter Ausweg denkbar: "Eine Impfpflicht lässt sich nur in einer Extremsituation einführen, wenn alle anderen vorherigen Maßnahmen nicht funktioniert haben. Dort sind wir noch längst nicht."

Soll heißen: Solange die Regierung mit weniger harten Maßnahmen nicht alles versucht hat, um die Impfquote zu erhöhen, bleibt eine Impfpflicht nach französischem Vorbild wohl unrealistisch. Auch Bundeskanzlerin Merkel hat bisher immer wieder versichert, die Bundesregierung wolle keine Impfpflicht einführen. Einzelne Maßnahmen des französischem Modells haben aber auch in Deutschland Unterstützer, wie etwa Markus Söder. "Wer ein Impfangebot hatte und es bewusst ausschlägt, kann auf Dauer nicht mehr kostenlos getestet werden", betonte der CSU-Chef am Dienstag auf Twitter.

Boehme-Neßler sieht allerdings auch dort noch keinen Spielraum: Allein in der Kommunikation mit der Bevölkerung habe die Bundesregierung längst nicht alle Mittel ausgereizt: "Man müsste als Regierung reden, aufklären, informieren." Auch sei es noch möglich, die Impfung leichter zugänglich zu machen, etwa durch mehr mobile Teams oder Impfungen in Drogerien oder Supermärkten.

Gerät die Pandemie allerdings trotz zusätzlicher Bemühungen erneut außer Kontrolle, könne die Impfpflicht ein Thema werden. "Der Fall sähe anders aus, sollte im Winter die Frage lauten: Impfpflicht oder neuer Lockdown?", meint Boehme-Neßler.

Die aktuell schon geltende Impfpflicht gegen Masern sei übrigens kein Argument für eine Corona-Impfpflicht, denn die Regelung sei umstritten. Aktuell überprüft das Bundesverfassungsgericht deren Rechtmäßigkeit. Dort würde laut Boehme-Neßler auch eine Impfpflicht gegen das Coronavirus mit hoher Wahrscheinlichkeit landen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Interview mit Volker Boehme-Neßler am 27.7.2021
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