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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Attentat in Haiti Experte über Präsidentenmord: "Diese Aussage birgt Sprengstoff"
In der Nacht auf Mittwoch haben Unbekannte den haitianischen Präsidenten Jovenes Moïse erschossen. Was steckt dahinter? Ein Experte beantwortet die wichtigsten Fragen.
Der haitianische Präsident Jovenes Moïse ist in der Nacht auf Mittwoch in seinem Haus am Rande der Hauptstadt Port-au-Prince getötet worden. Die Hintergründe der Tat sind noch unklar.
Prof. Dr. Günther Maihold, stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit und Professor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin, liefert im Gespräch mit t-online eine erste Einschätzung.
t-online: Herr Maihold, wer könnte hinter dem Anschlag auf Moïse stecken?
Günther Maihold: Zum jetzigen Zeitpunkt sind alle Interpretationen offen. Der Ministerpräsident spricht von spanischsprechenden Angreifern. Die Aussage lässt sich nicht vom Tisch nehmen, allerdings ist es natürlich immer einfach zu sagen, dass es 'die bösen Ausländer' waren.
Die Aussage birgt aber auch reichlich Sprengstoff, denn die Beziehungen zum spanischsprachigen Nachbarland, der Dominikanischen Republik, sind schwierig: Erst kürzlich hat das Land einen Grenzzaun zu Haiti errichtet, die Grenzen wurden jetzt geschlossen und die militärischen Kontrollen verstärkt. Viele Haitianer fühlen sich abgewiesen und schlecht behandelt. Sollten Personen aus der Dominikanische Republik aber tatsächlich etwas mit dem Anschlag zu tun haben, würde das als Einmischung in innere Angelegenheiten interpretiert werden.
Viel wahrscheinlicher für den Anschlag auf den Präsidenten sind jedoch interne Machtkonflikte im Land. Außerdem hat Moïse während seiner Amtszeit mehrfach den Ministerpräsidenten ausgetauscht – auch deren Machtambitionen gilt es zu berücksichtigen.
Was war Moïse für ein Präsident?
Moïse war ein Präsident, der sehr stark auf die Absicherung seiner eigenen Macht bedacht war. Er war keine Figur, die in der Lage gewesen ist, verschiedene Parteien zusammenzuführen, um ein gemeinsames Handeln zu ermöglichen. Das Präsidentenamt diente in erster Linie seiner eigenen Bereicherung – es gab mehrere Korruptionsverfahren gegen ihn.
Wie ist die politische Lage im Land?
Das Parteienlandschaft in Haiti ist extrem hoch fragmentiert, sodass es kaum Mehrheitspositionen gibt. Die meisten Parteien sind zudem personalistische Vereinigungen und um Familienclans gebildet, damit ist eine Links-Rechts-Zuordnung gar nicht möglich.
In der Stadt und auf dem Land teilen sich bewaffnete Banden die Gebiete auf. In der Bevölkerung herrscht eine große Unsicherheit, denn immer wieder kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen und Entführungen. Hinzu kommen die hohe Armut, die Corona-Krise und die Tatsache, dass kein Impfstoff vorhanden ist.
Wie geht es nun weiter?
Eine geordnete Nachfolge ist nicht zu erwarten. Die Sorge ist groß, dass das Land noch mehr im Chaos versinkt. Vermutlich werden nun die De-Facto-Mächte – das sind die militärische Führung, der Rest der politischen Führung und die bewaffneten Banden im Land – die Kontrolle unter sich aufteilen. Der notwendige nationale Konsens zur Überwindung der Krise ist bislang noch nicht zu erkennen.
- Telefoninterview mit Günther Maihold