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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Regionalwahlen in Frankreich "Für Macron geht es nur um Schadensbegrenzung"
Die Regionalwahlen in Frankreich sind ein Stimmungstest für Emmanuel Macron vor den Präsidentschaftswahlen. Große Chancen hat seine Partei nicht – und die Debatten bestimmt seine größte Konkurrentin.
Eigentlich läuft es gerade gar nicht so schlecht für Emmanuel Macron. Während die Corona-Infektionszahlen fallen, steigen die Sympathiewerte des französischen Präsidenten: 40 Prozent der Franzosen sind laut einer Umfrage mit seiner Arbeit zufrieden. Und das nach Monaten mit strengen Ausgangsbeschränkungen, etwa 111.000 Corona-Toten und einer ähnlich mäßig angelaufenen Impfkampagne wie in Deutschland.
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Es sind Beliebtheitswerte, von denen seine beiden Vorgänger zum gleichen Zeitpunkt weit entfernt waren, ganz ohne Pandemie: Zehn Monate vor der Präsidentschaftswahl kam Nicolas Sarkozy auf 30 Prozent, Macrons direkter Vorgänger François Hollande nur auf 14 Prozent Zustimmung. Dennoch wird für Macron wohl ein Dämpfer folgen: Bei den am Sonntag beginnenden Regionalwahlen nimmt seine noch immer recht neue Präsidentenpartei "La République En Marche" (LREM) zum ersten Mal teil.
Präsidentschaftswahl bereits in den Köpfen
Große Siegeschancen hat die Partei wohl nicht. "Für Macron geht es nur um Schadensbegrenzung", sagt Dominik Grillmayer vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg t-online. Das sei dem Präsidenten und der Partei zwar bewusst, ein schlechtes Ergebnis sei für die kommende Präsidentschaftswahl dennoch nicht hilfreich. Denn die werfe bereits ihre Schatten voraus.
Gewählt werden die Regionalräte in den 13 Regionen Frankreichs. Dazu kommen die vier Überseeregionen Französisch-Guyana, Guadeloupe, Martinique und La Réunion. Die Wähler können aus mehreren Listen auswählen, die aus einer Partei, aber auch aus mehreren kombiniert werden können. Erringt keine der Listen im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent der Stimmen, folgt am kommenden Sonntag ein zweiter Wahlgang: Alle Listen unter der 5-Prozentmarke fallen raus. Alle anderen können sich zusammenschließen, um mehr Wähler hinter sich zu vereinigen. Anschließend wählen die Regionalräte ihren neuen Präsidenten für jede Region.
Inhalte losgelöst von Kompetenzen der Region
In deutschen Ohren klingt es fast so, als würde man in zwei Wahlgängen alle Landtagswahlen gleichzeitig abhalten. Der große Unterschied ist, dass die Regionalräte im Vergleich zur Hauptstadt Paris weniger Macht besitzen: Die Regionen haben keine Gesetzgebungshoheit, in ihren Aufgabenbereich fallen etwa Themen wie Nahverkehr, Verteilung von EU-Geldern oder die wirtschaftliche Entwicklung. Der föderale Flickenteppich, den Deutschland im Schulwesen oder bei den Corona-Maßnahmen pflegt, ist im zentralistischen Frankreich so nicht möglich.
Vor diesem Hintergrund verwundern die Debatten des Wahlkampfs: Fragen zur Sicherheit dominieren die Diskussion. Es ist nicht nur das wichtigste Thema für 47 Prozent der Franzosen, sondern auch die Kernkompetenz des rechtsextremen Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen, die sich im kommenden Jahr erneut um das Amt des Präsidenten bewerben will.
Le Pen dominiert die Debatte
Wie der RN, der bis vor drei Jahren noch Front National hieß, seine Themen in den Regionalwahlkampf bringt, zeigt Jordan Bardella: Der 25-Jährige kandidiert für die Le Pen-Partei in der Hauptstadtregion Île-de-France und setzt sich dafür ein, an jedem Nahverkehrsbahnhof zwei bewaffnete Polizisten aufzustellen. Insgesamt will er in seinem ersten Wahljahr für 1.000 neue Sicherheitskräfte sorgen.
Dass die Themen der Wahl an den Kernkompetenzen der Regionen vorbeiführen, zeige für Dominik Grillmayer zwei Dinge: Auf der einen Seite habe der Präsidentschaftswahlkampf längst begonnen. Auf der anderen Seite mache der Fokus auf innere Sicherheit deutlich, wie sehr es Marine Le Pen inzwischen gelungen ist, die politische Diskussion in Frankreich zu bestimmen.
Neues Auftreten nach Wahlniederlage
2015 hatte die Partei bei den letzten Regionalwahlen bereits viele Stimmen eingefahren: In den ersten Wahlgängen erzielte sie an vielen Orten starke Ergebnisse, verlor allerdings im zweiten Wahlgang überall die Mehrheit. Nun könnte es anders kommen: In der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur im Südosten war der RN traditionell stark, inzwischen scheint ein Sieg in der Region möglich.
Um Kräfte zu bündeln, schloss sich LREM von Macron schon vor dem ersten Wahlgang als Gegengewicht mit den konservativen Republikanern (LR) zusammen. Grillmayer rechnet dort mit einem knappen Ergebnis, ansonsten seien einige Überraschungen denkbar: "Der Rassemblement National wird an vielen Orten im ersten Wahlgang die meisten Stimmen holen."
Dass Marine Le Pen 2017 nach ihrer Niederlage in der Stichwahl um das Präsidentenamt gegen Macron nicht an Boden verloren hat, liegt auch an einem Strategiewechsel: Die Partei, gegründet in den Siebzigern durch ihren mehrfach wegen Verharmlosung von NS-Verbrechen verurteilten Vater Jean Marie Le Pen, erhielt nicht nur einen neuen Namen, sondern auch einen bürgerlichen Anstrich. Sie verabschiedete sich etwa von ihrem kritischen Kurs gegenüber der EU und dem Euro. Der Vater Le Pens wurde bereits 2015 aus der Partei ausgeschlossen. Mittlerweile glauben 51 Prozent der Franzosen, ein Wahlsieg des RN sei keine Gefahr für die Demokratie.
Wenig Unterstützung außerhalb von Paris
Dass der Partei Macrons kaum Chancen eingeräumt werden, habe laut Grillmayer mehrere Ursachen: Der erst fünf Jahre alten Partei sei es bisher nicht gelungen, über Paris hinaus populärer zu werden. In den Regionen seien traditionelle Parteien wie die konservativen Republikaner oder die Sozialisten dagegen noch immer stark verwurzelt. Hinzu komme ein Amtsbonus der amtierenden Regionalpräsidenten. Die Macron-Partei geht in jeder Wahl als Herausforderer ins Rennen. Grillmayer vergleicht die Situation mit den vergangenen deutschen Landtagswahlen. Wie in Deutschland gelinge es in Frankreich nur noch selten, die amtierenden Politiker aus dem Amt zu wählen.
Ohrfeige bei Frankreich-Tour
Gleichzeitig täuschen die stabilen persönlichen Umfragewerte Macrons nicht über einige Enttäuschungen seiner Amtszeit hinweg. "Es ist eine gewisse Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu spüren", sagt Grillmayer. Macron sei mit großen Erwartungen gestartet, zwischen islamistischen Terroranschlägen, Gelbwesten oder dem Brand von Notre Dame aber von Krise zu Krise geeilt. Die Ausbreitung des Coronavirus habe dann sein Programm noch stärker in den Hintergrund treten lassen: "Die Pandemie hat Macron völlig ausgebremst."
Für Macron geht es also darum, Schäden durch schwache Ergebnisse möglichst klein zu halten. Seit die Corona-Regeln zurückgefahren werden, versucht er, wieder näher an das Volk zu rücken. Er reist seit einigen Wochen durch ganz Frankreich, um "den Puls des Landes zu fühlen". Wie hoch dieser sein kann, spürte er zuletzt im Ort Tain-l'Hermitage: Dort wurde er von einem 28-Jährigen geohrfeigt. Vor Gericht sagte der Täter laut dem Sender BFM TV, Macron stehe für den Niedergang Frankreichs.
Andere sähen wohl eher einen solchen Niedergang durch eine Präsidentschaft Le Pens eingeleitet. Dominik Grillmayer möchte sich noch nicht festlegen, wer in einer erneuten Stichwahl der beiden gewinnen könnte. Allerdings seien sich alle Beobachter einig, dass das Ergebnis 2022 deutlich knapper ausfallen könnte. Für Macron werden bis dahin die Aufgaben nicht kleiner. Spätestens ab Herbst wird er auch auf EU-Ebene wohl eine noch größere Rolle spielen, wenn Angela Merkel das Kanzleramt verlässt.
- Eigene Recherchen
- Interview mit Dominik Grillmayer am 17.6.2021
- Nachrichtenagentur dpa und AFP
- Deutsch-Französisches Institut: "Das System zur Wahl der Regional- und Départementräte in Frankreich"
- Deutsch-Französisches Institut: "Ausgangssituation für die Regionalwahl in Frankreich"
- Deutsch-Französisches Institut: "Themen im Wahlkampf um die Regionalräte in Frankreich"
- Le Monde: "Le "pèlerinage laïque" de Macron, en précampagne présidentielle"