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Lockdown-Ende bis Juni in Großbritannien – kein Grund zum Neid


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Lockdown-Ende im Juni?
Warum die Lockerungen der Briten kein Grund zum Neid sind


Aktualisiert am 25.02.2021Lesedauer: 6 Min.
Boris Johnson: Der britische Premierminister will bis zum 21. Juni alle Beschränkungen aufheben.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson: Der britische Premierminister will bis zum 21. Juni alle Beschränkungen aufheben. (Quelle: Leon Neal/PA Wire/dpa)

Die Ankündigung Boris Johnsons sorgte für Aufsehen: Bis zum 21. Juni will er sein Land vollständig aus dem Lockdown führen. Doch die Sache hat nicht nur einen Haken, sondern gleich mehrere.

Großbritannien lockert bis zum 21. Juni alle Corona-Beschränkungen – diese Schlagzeile sorgte am Montag für Aufsehen. Prompt gibt es im Königreich Forderungen nach einem Extra-Feiertag und die Urlaubsbuchungen schießen in die Höhe. Hierzulande schaut nun wohl so mancher nach Großbritannien und fürchtet, den Sommer wieder nur auf Balkonien zu verbringen, während die Briten auf Mallorca Partys feiern. Doch dieser Neid ist unbegründet.

Boris Johnson sagte am Montag, man befinde sich nach dem wochenlangen strikten Lockdown nun "auf einer Einbahnstraße in die Freiheit". Schrittweise wolle er die Beschränkungen nun aufheben, beginnend mit der Öffnung der Schulen über die Lockerung der Kontaktbeschränkungen, bis im Sommer dann alle Maßnahmen enden sollen. Dafür schlug er mehrere Daten vor, als Termin für den letzten Schritt den 21. Juni.

Johnson machte allerdings deutlich: Die von ihm genannten Daten sind an Bedingungen geknüpft. Die Infektionszahlen müssten unter Kontrolle bleiben, die Impfungen weiter voranschreiten. Und: Es dürfe keine neue Virusvariante auftreten, die wieder neue Probleme bereitet. Die Termine sind also keineswegs sicher, sondern als frühestmögliche Option zu interpretieren – auch wenn der politische Druck, sie einzuhalten, in den nächsten Wochen wohl deutlich steigen wird.

Das sind die Pläne von Boris Johnson:
Am 8. März sollen alle Schulen wieder öffnen, das Treffen einer haushaltsfremden Person draußen wird erlaubt, zu Hause darf wieder Besuch empfangen werden.
Am 29. März sollen die Kontaktbeschränkungen auf sechs Personen oder zwei Haushalte gelockert werden, die Öffnung von Sportstätten im Freien ist vorgesehen, zudem endet die "Stay at home"-Regel ("Bleibt zu Hause").
Frühestens am 12. April sollen dann auch Läden und öffentliche Einrichtungen wie Museen oder Büchereien wieder öffnen dürfen. Pubs und Restaurants sollen im Außenbereich wieder Gäste bewirten dürfen, auch Zoos und Themenparks sollen wieder Besucher empfangen können. Zudem soll der Gang ins Fitnessstudio allein wieder möglich werden.
Frühestens am 17. Mai sollen dann die Kontaktbeschränkungen auf 30 Personen draußen und sechs Personen oder zwei Haushalte in Innenräumen gelockert werden. Vereinssport in Innenräumen, Kinobesuche und Hotelübernachtungen sollen wieder möglich gemacht werden. Eventuell könnten hier auch internationale Reisen wieder erlaubt werden. Zudem gibt es Pläne, die Fußballstadien für bis zu 10.000 Fans wieder zu öffnen – rechtzeitig für den letzten Spieltag der Premier League am 23. Mai.
Frühestens am 21. Juni sollen dann alle verbleibenden Beschränkungen enden. Damit wären auch Großveranstaltungen wieder möglich, ebenso zum Beispiel der Betrieb von Nachtclubs.

Johnson entscheidet über England – nicht über das Vereinte Königreich

Zudem ist Johnson zwar Premierminister des Vereinigten Königreichs – doch fallen die Entscheidungen über Lockdown-Regeln nicht allgemein in seine Hand. Die Maßnahmen sind Sache der Länder: Johnson entscheidet in London über England, doch in Schottland, Wales und Nordirland machen die Regionalregierungen die Regeln. Und während zwar alle vier Länder aktuell im Lockdown sind, wenn auch nicht überall gleich streng, erfährt der Premier für seinen Lockerungskurs ordentlich Gegenwind.

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon sagte, derzeit gebe es nur "begrenzte Möglichkeiten" für Lockerungen. "Jetzt bestimmte Daten festzulegen, wäre unverantwortlich", so Sturgeon. "Es gibt zu viele Unsicherheiten, wie den Einfluss neuer Varianten und der Impfungen." Sturgeon stellte zugleich ein eigenes Konzept vor: Ab Ende April wolle man schrittweise lockern und so zum bekannten Stufenmodell der Maßnahmen zurückkehren.

"Wir können nicht in die Zukunft sehen"

Auch in Wales und Nordirland ist man nicht begeistert von Johnsons Vorhaben. Nordirland hat bereits beschlossen, den dortigen Lockdown mit minimalen Lockerungen bis zum ersten April zu verlängern. Und auch in Wales ist man skeptisch. Ähnlich wie in Schottland und Nordirland erhalten die jüngsten Grundschüler hier Priorität und sollen Mitte März zurück in die Schulen. Weitere Pläne gibt es jedoch noch nicht.

Der walisische Regierungschef Mark Drakeford grenzte sich am Montag noch vor Johnsons Verkündigungen von dessen Kurs ab. Und auch Gesundheitsminister Vaughan Gething kritisierte: "Wir können nicht Monate und Monate in die Zukunft sehen, welche Lage wir dann mit der Ausbreitung des Coronavirus haben werden." Die englischen Pläne könnten zu neuen Ausbrüchen führen.

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"Frühling und Sommer voller Hoffnung"

Das leugnet auch Boris Johnson nicht: Es werde wohl keine coronafreie Welt oder ein coronafreies Großbritannien geben können, so der Premier. "Jede Lockerung der Lockdown-Maßnahmen wird zu mehr Fällen und mehr Toten führen", sagte er im Parlament. Dennoch sei sein Kurs "vorsichtig, aber unumkehrbar". In Zukunft solle es keine Lockdowns mehr geben. Vor den Briten stünden "ein Frühling und ein Sommer voller Hoffnung".

Äußerungen wie diese scheinen viele Briten glauben zu lassen, dass sie den kommenden Sommer wieder am Mittelmeer oder Atlantik verbringen können: Die britischen Reiseveranstalter melden einen sprunghaften Anstieg der Nachfrage: Bei Easyjet sind die Urlaubsbuchungen um 630 Prozent angestiegen, die britische TUI berichtet von einer Versechsfachung der Buchungen. Besonders gefragt: die klassischen Urlaubsorte in Südeuropa – Spanien, Portugal, Griechenland.

Ausreise erlaubt, Einreise verboten?

Am Mittwoch trat Innenministerin Priti Patel auf die Bremse. Für solche Urlaubspläne sei es "viel zu früh", sagte sie. Man müsse die weiteren Entwicklungen abwarten. Denn die Ermöglichung internationaler Reisen ist bisher nur als Option vorgesehen, und das auch nur in England, eine tatsächliche Entscheidung stehe noch aus. Und selbst wenn die Briten ihr Land verlassen dürften: Viele der klassischen Urlaubsländer verbieten Menschen aus Großbritannien wegen des nach wie vor hohen Infektionsgeschehens und der Verbreitung der britischen Mutante die Einreise.

Johnson kündigte an, dass es "auf internationaler Bühne" Impfnachweise geben müsse, um Reisen wieder möglich zu machen. Doch während in Ländern wie Griechenland und Spanien, die vom Tourismus abhängig sind, bereits konkrete Schritte eingeleitet werden, beginnt die EU gerade erst mit der Arbeit. Die Erkenntnisse zu den Impfungen seien noch nicht ausreichend, hieß es bisher. Tourismus für Geimpfte dürfte so noch auf sich warten lassen.

Schnelles Impfen: Risiko- oder Erfolgsfaktor?

Sollten entsprechende Lockerungen exklusiv für Geimpfte jedoch kommen, könnte schon mit dem jetzigen Stand ein Drittel der Briten wieder auf Reisen gehen: Fast 18 Millionen Menschen sind im Vereinigten Königreich bereits mit der ersten Dosis geimpft – Zahlen, von denen Deutschland mit 3,5 Millionen verabreichten Erstdosen noch weit entfernt ist. Die Impfungen gelten als einer der wichtigsten Gründe für den schnellen Erfolg in Großbritannien. Doch der Weg dahin war risikoreich.

Großbritannien ist eines der am schlimmsten von der Pandemie betroffenen Länder und liegt im weltweiten Vergleich nach Fallzahlen derzeit auf Platz 5 (Quelle: Johns-Hopkins-Universität). Nach offiziellen Angaben haben sich bislang 4.134.630 Menschen mit dem Coronavirus infiziert, 121.305 Menschen starben an oder mit einer Covid-19-Erkrankung.

Schon Anfang Dezember fing man im Vereinigten Königreich an, die Menschen gegen das Coronavirus zu impfen. Die Strategie: So schnell wie möglich so viele Menschen wie möglich mit der ersten Dosis impfen. Dazu schloss man frühzeitig und umfangreich Verträge, die nun sichern, dass Großbritannien von den Lieferproblemen der Hersteller deutlich weniger betroffenen ist als die EU. Die Briten winkten den Wirkstoff von Biontech/Pfizer per Notzulassung durch und gewannen so im Vergleich zur EU, wo die Europäische Arzneimittelbehörde EMA länger prüfte, wertvolle Wochen.

Hierzulande gibt es Bedenken, den Impfstoff von Astrazeneca bei Menschen über 65 anzuwenden, da in dieser Altersgruppe nicht genügend Testdaten vorliegen. In Großbritannien hingegen hat man sich dazu entschieden, die verfügbaren Dosen an alle Bürger zu verimpfen. Außerdem wurde die Zweitimpfung nach hinten geschoben: Den empfohlenen Abstand von bis zu zwölf Wochen reizt man aus. Dies soll nach neusten Daten die Wirksamkeit sogar erhöhen. Doch das war zum Zeitpunkt der strategischen Entscheidung noch nicht bekannt.

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Ziel: Impfangebot für alle bis Juli

Durch diese Strategie kann die britische Regierung das Ziel aussprechen, bis Ende Juli allen Erwachsenen ein Impfangebot gemacht haben zu wollen. Schon bis Mitte April sollen alle Über-50-Jährigen die Möglichkeit zur Impfung erhalten haben.

Als es in der letzten Woche einen Dämpfer bei der Impfgeschwindigkeit gab, war die öffentliche Aufregung groß. Doch das Gesundheitsministerium beschwichtigte: Zum einen seien für diese Woche weniger Lieferungen erwartet worden, zum anderen müsse man nun Dosen für die Zweitimpfung derer zurückhalten, die bereits im Dezember ihre erste Dosis erhalten hatten. Im März werde wieder eine Steigerung des Impftempos erwartet.

Eine Bevölkerungsgruppe fällt durch das Raster

Das schnelle Impftempo kann die britische Regierung auch deswegen einhalten, weil die Bevölkerung die Impfungen gut annimmt: Nur etwa 15 Prozent lehnten bisher das Angebot ab. Für Deutschland wurde die Quote zuletzt mit rund 30 Prozent angegeben. Doch auch hier gibt es ein "Aber": Die Impfbereitschaft ist vor allem bei Angehörigen ethnischer Minderheiten deutlich geringer, so das nationale Statistikamt ONS.


Dabei ist für die sogenannte BAME-Gruppe (Black, Asian and minority ethnic – Schwarze, Asiatische und ethnische Minderheiten) auch das Risiko, an Covid-19 zu erkranken und daran zu sterben, deutlich höher. Auch treten in dieser Gruppe nach Beobachtungen von Medizinern bei Kindern deutlich häufiger gefährliche Spätfolgen, das sogenannte PIMS-Syndrom, auf. Der zuständige Staatssekretär Nadhim Zahawi warnte daher: "Wenn eine Gruppe nicht geimpft ist, wird das Virus sie aufspüren und wie ein Flächenbrand wüten". Die Lockerung der Corona-Maßnahmen könnte dies noch deutlich beschleunigen.

Mutation ließ den Lockdown unvermeidbar werden

Die Sorge vor dem "Flächenbrand" begründet sich vor allem durch die ansteckendere Corona-Variante, die Mitte Dezember in Großbritannien entdeckt wurde und den erneuten Lockdown erst ausgelöst hatte. Johnson wollte ihn eigentlich um jeden Preis vermeiden. Schon am 14. Dezember 2020 empfahlen Experten der Regierung, angesichts rasant steigender Fallzahlen in Südengland die Maßnahmen zu verschärfen. Der Premier jedoch wollte den Briten ihr Weihnachtsfest nicht verderben, reagierte zögerlich.

Fünf Tage später konnte er die Verschärfung in London und dem Süden und Osten Englands dann aber nicht mehr aufschieben, am zweiten Weihnachtsfeiertag kam der Lockdown für Gesamt-England. Die anderen Landesteile entschieden kurz zuvor oder danach genauso.

Seitdem gelten in England strengere Beschränkungen als in Deutschland, es sind beispielsweise außerhalb des eigenen Haushalts abgesehen von Ausnahmen quasi keine weiteren Kontaktpersonen erlaubt. In Wales, Schottland und Nordirland gelten bis auf einige Details ähnliche Regeln.

Lockdown mit Erfolg – aber immer noch hohe Zahlen

Der Lockdown zeigt Erfolg: Auf dem Höhepunkt Anfang Januar wurden 68.053 Neuinfektionen an einem Tag gemeldet, zuletzt waren es täglich nur noch etwa 10.000. Ebenso dramatisch sind die Zahlen der Corona-Toten gesunken: Am Dienstag waren es nur noch 93 neue Todesfälle, in der Woche zuvor noch 476. Als Corona-Toter wird im Vereinigten Königreich jeder gezählt, der in den vier Wochen vor dem Tod positiv auf das Coronavirus getestet wurde.

Dennoch sind die Gesamtzahlen nach wie vor hoch: Während das Land über die Lockerungspläne des Premierministers spricht, liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei 119. Derweil berät man in Deutschland bei einer Inzidenz von etwa 60, ob man überhaupt lockern dürfe. Denn befürchtet wird, dass Großbritannien uns beim Ausbruch der Virus-Mutante entscheidende Wochen voraus ist: Während hier nach Ansicht der Experten die dritte Welle zu beginnen scheint, ist diese in Großbritannien schon vorbei. Ob ihr nach den Lockerungen eine vierte Welle folgt, bleibt abzuwarten.

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