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Globaler Impftstoff-Egoismus: Es droht eine zweite Pandemie


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Globaler Impfstoff-Egoismus
Es droht eine zweite Pandemie


12.02.2021Lesedauer: 5 Min.
Menschen mit Schutzmasken sitzen in Addis Ababa (Äthiopien) in einem Bus: In vielen Ländern auf dem afrikanischen Kontinent gibt es bislang keinen Impfstoff.Vergrößern des Bildes
Menschen mit Schutzmasken sitzen in Addis Ababa (Äthiopien) in einem Bus: In vielen Ländern auf dem afrikanischen Kontinent gibt es bislang keinen Impfstoff. (Quelle: imago-images-bilder)

Während Deutschland über das Tempo der Corona-Impfkampagne streitet, gehen viele Länder noch leer aus. Durch die globale Ungleichheit beim Impftempo droht eine neue Pandemie.

Bis zum Ende des Sommers sollen alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ein Impfangebot erhalten – zumindest verspricht das Kanzlerin Angela Merkel. Diese Hoffnung auf einen zeitnahen Schritt in eine neue Normalität nach der Corona-Pandemie ist für viele Entwicklungsländer eine Utopie, speziell der afrikanische Kontinent geht bei der Verteilung der Vakzine leer aus. Das Motto ist augenscheinlich: Reiche Länder zuerst, der nationale Egoismus triumphiert über die internationale Solidarität.

In einem globalen Konstrukt von Nationalstaaten ist das zwar keine große Überraschung, besonders in einer derartigen Krise. Doch besonders in dieser Pandemie sind die großen weißen Flecken auf der Impf-Weltkarte brandgefährlich – auch für Industriestaaten, in denen schon geimpft wird. Wenn sich das Tempo in der Corona-Bekämpfung nicht weltweit angleicht, drohen neue Mutationen und entwickelte Impfstoffe werden weniger wirksam. Durch den nationalen Egoismus droht im schlimmsten Fall eine neue Pandemie.

Ernüchternde Verteilung der Impfstoffe

Eigentlich hatte die internationale Gemeinschaft das anders geplant. Unter Führung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde die Initiative Covax ins Leben gerufen. Die Idee: Reichere Länder sollen Gelder zur Verfügung stellen, damit ärmere Staaten billiger Impfstoffdosen erwerben können. Aber das Verteilungsproblem kann Covax grundsätzlich nicht lösen, da das Angebot an Vakzinen noch viel zu gering ist.

Deshalb ist das Ergebnis von Covax bislang ernüchternd. Von den 54 Staaten Afrikas haben bislang nur sechs mit den Impfungen begonnen, in Asien sind es auch nur wenige. Immerhin verkündete Covax am Mittwoch, noch im Februar die ersten Impfdosen an Entwicklungs- und Schwellenländer abzuschicken. Doch bislang hat nur der Wirkstoff von Pfizer/ Biontech eine Notzulassung der WHO für die gesamte Welt bekommen – und die Impfdosen bekommen nur 18 Länder. Die wurden laut WHO unter anderem anhand ihrer Fähigkeit, das Mittel sehr kalt lagern zu können, ausgesucht. Die ärmsten Staaten der Welt sind nicht dabei.

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Außerdem: Einer Analyse der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC) zufolge wurden fast 70 Prozent der bislang verabreichten Impfungen in den 50 reichsten Ländern gespritzt. In den 50 ärmsten Ländern wurden dagegen nur 0,1 Prozent der Impfdosen verabreicht. "Das ist alarmierend, weil es unfair ist und weil es diese schlimme Pandemie verlängern oder gar verschlimmern könnte", sagt IFRC-Generalsekretär Jagan Chapagain.

Keine Impfungen, kaum Tests

Unterschiede beim Tempo werden vor allem zwischen dem globalen Süden und Norden deutlich. Beispiel: Die Europäische Union will bis Ende des Sommers 70 Prozent der Erwachsenen gegen Corona impfen, Kenia plant Ende Juli die Impfung von fünf Prozent der Über-18-Jährigen. Thailand hofft, bis Ende des Jahres die Hälfte der Bevölkerung geimpft zu haben, Vietnam hat bislang für 15 Millionen Menschen Astrazeneca-Impfdosen bestellt – bei einer Bevölkerung von rund 96 Millionen.

Auf dem afrikanischen Kontinent trägt außerdem eine unklare Datenlage dazu bei, die Verbreitung des Coronavirus zu unterschätzen. In vielen Ländern werden kaum Corona-Tests gemacht, das Virus wird kaum typisiert. In Nigeria fanden Wissenschaftler in einer Studie heraus, dass rund 20 Prozent der Probanden das Coronavirus bereits hatten. In manchen Townships in Südafrika gehen Experten davon aus, dass es bereits eine Herdenimmunität gibt.

Für ärmere Länder ist der Impfstoff teurer

Besonders ernüchternd ist ein nicht-öffentlicher Bericht an den Vorstand der internationalen Impfallianz Gavi, den die Nachrichtenagentur Reuters zitiert: Demnach könnten ärmere Staaten und somit Milliarden Menschen möglicherweise bis 2024 keinen Impfstoff erhalten haben. Gavi ist eine Stiftung, die seit ihrer Gründung im Jahr 2000 den allgemeinen Zugang zu Vakzinen ermöglichen soll. Laut der Hilfsorganisation Oxfam könnten zwei Drittel der Weltbevölkerung bis mindestens 2022 keinen Zugang zu einem Vakzin haben.

Aber woran liegt das? Es geht nicht nur um die Verfügbarkeit, sondern es geht – wie so oft – vor allem ums Geld. Viele der reicheren Länder hatten bei den Herstellern Millionen von Impfdosen für Milliardensummen vorbestellt und sich so die ersten Lieferungen gesichert – für die meisten Entwicklungsländer eine utopische Vorstellung. "Wir haben noch nicht begonnen, weil wir noch keine Impfungen haben", brachte es jüngst der Chef der panafrikanischen Gesundheitsbehörde Africa CDC, John Nkengasong, auf den Punkt.


Hinzu kommen Preisunterschiede, die unsolidarisch sind: Während die EU für eine Astrazeneca-Impfdosis 1,78 Euro zahlt, muss Uganda für eine Dosis 7 Dollar, also etwa 5,80 Euro auf den Tisch legen. "Wir erkennen an, dass dies die Realität globaler Märkte ist", sagte jüngst WHO-Afrika-Chefin Matshidiso Moeti. "Es ist natürlich bedauerlich, dass es ärmere Länder gibt, die mehr zahlen als reiche Länder." Mutmaßlich ergeben sich die Preisunterschiede daraus, dass einzelne Entwicklungsländer schlechtere Verhandlungspositionen in den Gesprächen mit den Impfherstellern haben. Außerdem hat die EU viel Geld als Vorschuss für die Unternehmen in die Entwicklung investiert und ordert größere Mengen.

"Lügen Sie mich nicht an"

Deshalb macht sich auch in vielen Entwicklungsländern Unmut über die internationale Impfstoffverteilung breit, da Zusagen nicht eingehalten werden. So wollte Cuvax im Februar erste Dosen an Entwicklungs- und Schwellenländer liefern, unklar ist bis heute in welchem Umfang. Die ehemalige ruandische Gesundheitsministerin Agnes Binagwaho kritisierte die EU deutlich: "Seien Sie offen und sagen Sie: 'Mein Volk zuerst.' Lügen Sie mich nicht an und behaupten, dass wir gleichberechtigt sind." Kenias Gesundheitsminister Mutahi Kagwe meinte, es wäre "töricht", sich von westlichen Nationen abhängig zu machen.

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Viele Entwicklungsländer suchen daher nach Alternativen und begeben sich stattdessen in eine Abhängigkeit gegenüber China oder Russland. "Europa und Amerika konzentrieren sich auf sich selbst, und China ist eingesprungen und hat viel investiert, um in den afrikanischen Impfmarkt einzusteigen", sagte Afrikawissenschaftler Robert Kappel von der Universität Leipzig der Deutschen Welle.

Dahinter steckt ein knallhartes politisches Kalkül: In vielen afrikanischen Ländern war in den letzten Jahren der Unmut über den wachsenden chinesischen Einfluss gewachsen. Peking hofft nun, dass man sich an Hilfen in der Pandemie erinnert, auch um den Einfluss Europas und der USA zu schmälern.

Die Pandemie kennt keine Landesgrenzen

"Die Europäer werden eines Tages nach Afrika zurückkommen und sagen: 'Wir sind ein besserer Partner für euch als die Chinesen'", erklärte Eric Olander vom "China-Africa-Project" der Deutschen Welle. "Und die Afrikaner werden sagen: 'Wo wart ihr, als wir euch gebraucht haben?'"

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Letztlich hat China den Vorteil, dass es mehr Impfstoff produzieren kann als beispielsweise die EU. Aber die Wirksamkeit des chinesischen Vakzins ist wissenschaftlich noch nicht ausreichend analysiert. Die EU stellt für die internationale Verteilung der Impfstoffe zwar viel Geld bereit, tut jedoch zu wenig für die globale Impfstoffverteilung. So könnten zum Beispiel – wie von der WHO vorgeschlagen – die Patente für die Impfstoffe ausgesetzt werden, sodass auch einige Entwicklungs- und Schwellenländer bei der Produktion helfen könnten.

Denn eines steht fest: Je ungehinderter sich das Virus verbreitet, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es erneut mutiert – und Impfstoffe nicht mehr wirken. Der Impfstoff-Nationalismus führt dazu, dass es noch ein weiter Weg bis zu einer globalen Herdenimmunität ist.

Die Pandemie kennt keine Landesgrenzen. Man müsse auch in Entwicklungsländern impfen, "sonst kommt das Virus im nächsten Flieger zu uns zurück", warnte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU). "Wir besiegen die Pandemie nur weltweit – oder gar nicht."

Vielen Entwicklungs- und Schwellenländern bleibt dabei momentan nur eines: abwarten, während andere schon impfen.

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