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Corona und Brexit-Folgen: 2021 könnte Großbritannien zerreißen


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Corona und Brexit-Folgen
2021 könnte das Vereinigte Königreich zerreißen

Eine Analyse von Stefan Rook

13.02.2021Lesedauer: 6 Min.
Boris Johnson bleibt gefordert: Nach dem Brexit und der Corona-Pandemie muss er nun um die Einheit Großbritanniens kämpfen.Vergrößern des Bildes
Boris Johnson bleibt gefordert: Nach dem Brexit und der Corona-Pandemie muss er nun um die Einheit Großbritanniens kämpfen. (Quelle: reuters)

Den Brexit hat Boris Johnson abgeliefert. Den größten Kampf seiner Amtszeit hat Johnson aber noch vor sich: Er muss das Vereinigte Königreich zusammenhalten.

Corona und seine wirtschaftlichen Folgen sind noch nicht bekämpft, da steht in Großbritannien bereits der nächste Showdown an: Mit den Wahlen in Schottland und Wales im Mai beginnt ein Jahr, dass über den weiteren Zusammenhalt des Königreichs entscheiden kann. Denn überall zwischen Schottland und Nordirland wächst die Unzufriedenheit mit der Regierung in London. Und noch viel schlimmer: Vielerorts bröckelt gar die Identifizierung mit dem Vereinigten Königreich. Eine Bestandsaufnahme:

Johnsons Schottland-Problem

Ende Januar und fast genau ein Jahr nach dem Brexit-Vollzug machte sich Premierminister Boris Johnson überraschend auf nach Schottland. In den Teil Großbritanniens, in dem der Widerstand gegen den EU-Austritt und die Abneigung gegen die Johnson-Regierung am heftigsten ist. Willkommen war er nicht.

Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon nahm sich keine Zeit für ein Treffen mit dem ungebetenen Gast und so drehte Johnson allein seine Werberunden. Sein Besuch sollte zeigen, dass sich Johnson um die Probleme und Wünsche der Schotten kümmert.

Doch genau das bezweifeln immer mehr Schotten. Ein Hauptgrund für die Unzufriedenheit ist die Zentralregierung in London. Schon beim Brexit-Votum 2016 war eine klare Mehrheit für den Verbleib in der EU (62 Prozent) und hadert seitdem mit dem EU-Ausstieg. Und nicht nur damit. "Schottland hat diese Tory-Regierung nicht gewählt, wir haben nicht für den Brexit gestimmt und sicherlich haben wir nicht Boris Johnson gewählt", stellte der Vize der Scottish National Party (SNP), Keith Brown, klar.

Auf seiner schottischen Werbetour hat Johnson auch mit der Bekämpfung der Corona-Pandemie für die Einheit des Königreichs geworden. "Die großartigen Vorteile der Kooperation des gesamten Vereinigten Königreichs sind niemals deutlicher geworden als seit Beginn der Pandemie", sagte Johnson. Doch ist nur ein geringer Teil der Schotten mit Johnsons Krisenmanagement in der Corona-Pandemie zufrieden, wie der Politikwissenschaftler John Curtice von der Glasgower Universität Strathclyde betont. Seine Widersacherin Sturgeon erhält indes Bestnoten.

Sturgeon ergreift zwar ähnliche Maßnahmen wie Johnson, kommuniziert diese aber viel offener, akkurater, einfühlsamer, schneller und häufiger. Sie hält seit März regelmäßig Briefings ab, bisher sind es über 150. Johnsons Pressekonferenzen zur Corona-Pandemie sind deutlich seltener, werden als weniger einfühlsam empfunden und sind häufig nicht ganz korrekt. Mehr als einmal musste sich Johnson nach seinen Auftritten bereits korrigieren.

Bei den Wahlen zum schottischen Nationalparlament im Mai sagen Umfragen einen Erdrutschsieg der SNP voraus, der auch eine Abrechnung mit dem ungeliebten Johnson wäre. Dann wird die SNP ihre Forderungen nach einem erneuten Referendum zur schottischen Unabhängigkeit noch vehementer vortragen. Johnson lehnt ein zweites Referendum ab. Doch Sturgeon will eine neue Volksabstimmung notfalls vor Gericht durchsetzen. 2014 hatte sich eine knappe Mehrheit für die Einheit ausgesprochen, damals war Großbritannien allerdings noch Mitglied der Europäischen Union. Laut einer Umfrage von "Savanta ComRes" von Mitte Januar sind inzwischen aber 57 Prozent der Schotten für die Unabhängigkeit.

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Und das, obwohl das Vereinigte Königreich bei Weitem der wichtigste Handelspartner Schottlands ist – etwa vier Mal so wichtig wie die EU-Staaten zusammen. So gehen 61 Prozent aller schottischen Exporte in den britischen Binnenmarkt, gleichzeitig kommen 67 Prozent aller nach Schottland importierten Waren aus England, Wales oder Nordirland.

Johnsons Nordirland-Problem

Die Situation in Nordirland spitzt sich seit dem Brexit-Deal zu. In den Supermärkten gibt es leere Regale und an den Häfen wurden wegen Gewaltdrohungen vorübergehend die Grenzkontrollen ausgesetzt. Es zeigt sich immer mehr, dass die Handelsvereinbarungen zwischen Großbritannien und der EU nur äußerst schwer umzusetzen sind. Nach diesen zählt Nordirland faktisch weiter zum EU-Binnenmarkt und daher müssen Warentransporte aus dem übrigen Vereinigten Königreich nach Nordirland zum Teil kontrolliert werden. In der Folge rücken Irland, das weiter der EU angehört und Nordirland, das als Teil Großbritanniens nicht mehr EU-Mitglied ist, enger zusammen.

Die Nordiren, die wie die Schotten den Brexit mit 55,8 zu 44,2 Prozent mehrheitlich abgelehnt haben, sind nicht zufrieden mit der Arbeit der Johnson-Regierung und auch hier suchen die Menschen nach einer Alternative zum derzeitigen Zustand. Wie die "Sunday Times" berichtete, wächst in Nordirland die Unterstützung für eine Wiedervereinigung mit Irland. Umfragen im Auftrag der Zeitung ergaben, dass das Gefühl einer britischen Identität geringer wird. Gründe für den Missmut sind der Brexit, die England-zentrierte Politik der Regierung in London und auch hier die Kritik am Corona-Krisenmanagement von Johnson.

Demnach wollen in Nordirland derzeit zwar mehr Menschen Mitglied des Vereinigten Königreichs bleiben, als dass sie eine Wiedervereinigung mit Irland befürworten (47 zu 42 Prozent). In den Altersgruppen unter 45 Jahren haben die Befürworter allerdings eine knappe Mehrheit. Insgesamt fordern 51 Prozent eine Volksbefragung darüber. Knapp die Hälfte (48 Prozent) rechnet innerhalb der nächsten zehn Jahre mit einer Wiedervereinigung.

Johnsons Wales-Problem

Wales galt bisher nicht als Austrittskandidat aus dem Vereinigten Königreich. Die Waliser haben sich im Referendum 2016 mit 52,5 Prozent für den Brexit ausgesprochen. Und so gibt es in Wales derzeit die mit Abstand geringsten Sezessionspläne. Dort fordert, Umfragen von "YouGov" zufolge, nur etwa jeder vierte (23 Prozent) die Loslösung von Großbritannien. Allerdings ist die Zahl damit deutlich höher als noch vor fünf Jahren. Und auch in Wales wird die Kritik an Johnsons Regierungsstil immer drastischer. Der walisische Regierungschef Mark Drakeford hat im letzten Jahr Johnson als Gefahr für den Zusammenhalt des Landes kritisiert: "Der Premierminister ist derjenige, der am meisten zum Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs beiträgt." Die Haltung von Johnsons konservativer Regierung zu starken Landesparlamenten in Wales, Schottland und Nordirland sei "feindlich und unterminierend", so Drakeford weiter.

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Drakeford gab zu, dass es in Wales im Gegensatz zu Schottland keine nennenswerten Unabhängigkeitsbestrebungen gebe. Es gebe aber eine starke Mehrheit, die für starke Machtbefugnisse des Regionalparlaments sei. Wenn Johnson die versprochene Dezentralisierung untergrabe, "verlieren die Menschen das Vertrauen, dass die Regierung des Vereinigten Königreichs eine Regierung ist, die eine Perspektive für das Vereinigte Königreich hat, die für Menschen in Wales attraktiv ist", sagte Drakeford. Auch in Wales wird im Mai eine neue Nationalversammlung gewählt. Es ist gut möglich, dass Johnsons Konservative auch da abgestraft werden.

Johnsons England-Problem

In England steht Johnson vor einer ganz anderen Aufgabe. Im bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich stärksten Teil von Großbritannien wächst der Unmut darüber, dass man die schwächeren Landesteile des Königsreichs finanziell unterstützen muss – und dann auch noch permanent kritisiert wird, weil viele England im Königreich bevorzugt sehen. Auch in England schwindet so die Identifizierung mit dem Vereinigten Königreich. Besonders erschreckend für Johnson dürfte sein: Weniger als die Hälfte der Menschen in England wären traurig über den Verlust von Schottland und Nordirland.

Für Johnson bedeutet das: Er muss mit ganz unterschiedlichen Argumenten in allen Landesteilen für die Einheit des Königreichs werben, um nicht als der Premierminister in die Geschichte einzugehen, in dessen Amtszeit das Land zerfiel.

Johnsons Horror: leere Supermarktregale und verrottender Fisch

Dazu muss Johnson auf den Erfolg an zwei Fronten hoffen: Der britische Premier setzt beim Kampf gegen Corona auf schnelles, umfassendes Impfen. Kein Land in Europa hat derzeit eine höhere Zahl an Geimpften als Großbritannien. Gelingt es, durch diese Strategie schneller als andere Länder zu einer Art von Normalität zurückzukehren, kann Johnson das als Erfolg seiner Politik verbuchen. Sein Zaudern bei der ersten und zweiten Welle der Pandemie dürfte dann schnell vergessen sein.

Zusätzlich muss Johnson hoffen, dass sich die wirtschaftlichen Verluste durch den Brexit in Grenzen halten. Leere Supermarktregale in Teilen Großbritanniens und verrottender britischer Fisch in den britischen Häfen dürften Johnsons Horrorszenarien sein. Johnson kann nur hoffen, dass mit einem Abflachen der Corona-Pandemie auch ein Aufschwung der britischen Wirtschaft einhergeht. Dann könnte er auch den als Erfolg seiner Brexit-Politik verkaufen.

Gelingt beides könnte er in die nächste Wahl – die nicht vor 2024 stattfinden wird – als der Mann gehen, der den Brexit abgeliefert, Corona in Großbritannien besiegt und das Königreich vor dem Zerfall bewahrt hat.

Auch wenn viele Gegenspieler Johnson für diese Aufgaben für ungeeignet halten, könnte ihm eine Fähigkeit enorm helfen: Johnson ist ein Meister der Verwandlung. Er hat sich vom Brexit-Skeptiker zum Brexit-Fanatiker gewandelt, vom Corona-Zauderer zu Europas Impfmeister. Ihm muss man auch zutrauen, dass er sich vom Spalter und Polarisierer zum großen Einiger verwandelt.

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