Kontrolle der EU-Hilfsgelder Corona-Krise: Merkel und Rutte rufen zu Reformen in Europa auf
Angela Merkel hat die Europäer zu einem mutigen Reformkurs aufgerufen. Die EU solle gestärkt aus der Corona-Krise hervorgehen. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte pflichtet ihr bei, doch er hat auch eine Forderung.
Der EU-Wiederaufbaufonds ist umstritten: Er soll geschwächten Ländern in Europa nach der Corona-Krise neuen Auftrieb verschaffen. Doch einige Experten meinen, dass der Fonds den falschen Ländern zugute kommen könnte. Am Donnerstagabend hat sich die deutsche Bundeskanzlerin mit dem niederländischen Ministerpräsidenten in Berlin getroffen, um über dieses Thema zu sprechen.
"Es gibt 27 Mitgliedstaaten, die müssen alle unter einen Hut gebracht werden", sagte Merkel vor einem gemeinsamen Abendessen in Berlin. "Wir müssen einstimmig entscheiden, und ich glaube, dass das Treffen heute Abend deshalb sehr wichtig ist." Die Niederlande stehen dem Vorschlag der EU-Kommission skeptisch gegenüber.
Merkel: "Die Welt schläft nicht"
Die 27 EU-Mitglieder beraten am Freitag und Samstag kommender Woche auf einem Sondergipfel über ein Konjunkturpaket im Umfang von 750 Milliarden Euro zum Wiederaufbau der Wirtschaft in den von der Pandemie besonders hart betroffenen Ländern. Davon sollen vor allem die schwer gebeutelten südlichen Länder profitieren.
"Die Welt schläft nicht. Und nach dieser Krise werden mit Sicherheit die Karten neu gemischt", warnte Merkel in einer Pressekonferenz. "Es wird geguckt, wer kann wirklich den Menschen in seinen Ländern Wohlstand garantieren. Und das geht nur mit einer wettbewerbsfähigen, zukunftsfähigen Wirtschaft." Eine große Rolle müsse zum Beispiel der Klimaschutz spielen, wo die Niederlande einen "sehr, sehr engagierten Weg" gingen, sagte Merkel.
Rutte: Fonds muss gemeinsam mit Reformen kommen
Rutte sagte, die Corona-Pandemie habe großen Schaden angerichtet. "Es ist jetzt ganz wichtig, dass wir diesen Schlag, den Europa erlitten hat, gemeinsam meistern." Deutschland und die Niederlande könnten nur gut weitermachen, wenn es der ganzen Europäischen Union gut gehe. Alle Wirtschaftssysteme seien ganz eng miteinander verbunden.
Rutte betonte, es sei ganz wichtig, dass der europäische Wiederaufbaufonds komme. "Aber es ist auch wichtig, dass ein solcher Fonds zusammen mit Reformen durchgeführt wird, damit alle EU-Mitgliedsstaaten auch stark sind, und damit bei einem folgenden Schlag ein solcher Fonds gar nicht notwendig ist."
Rutte will ein grünes und digitales Europa
Mit Blick auf den geplanten mittelfristigen Finanzrahmen der EU betonte Rutte, die EU müsse sparsam sein. "Wir wollen nicht, dass der Nettobeitrag in Folge des Brexit und der Corona-Krise nun steigt." Er wolle ein grünes und digitales Europa, aber auch eine EU, die fest hinter ihren rechtsstaatlichen Werten stehe, mit Regeln, die überall respektiert würden. Nur so könne die EU ihr Wachstumspotenzial wieder aufbauen.
Rutte wünschte Merkel viel Erfolg für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. "Wir haben sehr viel Vertrauen in Deine Person", versicherte er der Kanzlerin.
Was ist der EU-Wiederaufbaufonds?
Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, 500 Milliarden Euro als Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen, über das Krisenprogramm zu vergeben. Der Rest soll als Kredite fließen. Die Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark wehren sich bislang jedoch gegen die Zahlung von Zuschüssen.
Regierungssprecher Steffen Seibert zufolge geht es bei dem Abendessen um die Prioritäten der bis Ende der Jahres dauernden deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Im Mittelpunkt dürfte die Vorbereitung des am 17. und 18. Juli anstehenden EU-Sondergipfels zum Kampf gegen die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie stehen.
Was wollen die Niederlande erreichen?
Rutte ist erster Auslandsgast Merkels im Kanzleramt seit Beginn der Hochphase der Pandemie. Auch er ist sich darüber im Klaren, dass es am Ende einen Kompromiss geben muss. Doch er spielt auf Zeit. Nach seinen Worten ist eine Einigung bei dem bevorstehenden Gipfel am 17. Juli noch nicht unbedingt notwendig.
Rutte steht auch unter innenpolitischem Druck, denn er muss am Ende auch eine Mehrheit im Parlament von einem Kompromiss überzeugen. Seiner Mitte-Rechts-Koalition fehlt eine Stimme zur Mehrheit. Zudem steht im März die Parlamentswahl an. Auch wenn die Umfragewerte seiner rechtsliberalen VVD zur Zeit durch Erfolge bei der Bewältigung der Corona-Krise sehr hoch sind, muss Rutte die Konkurrenz der zwei euro-skeptischen Rechtspopulisten fürchten, Geert Wilders und Thierry Baudet.
- Mit Material der Nachrichtenagenturen AFP, dpa