Keir Starmer Favorit Neuer Labour-Chef: Kann Keir Starmer die Partei einen?
London (dpa) - Er machte sich einen Namen als Verteidiger von Menschenrechten und leitender Staatsanwalt - jetzt soll Keir Starmer als neuer Oppositionsführer in Großbritannien die tief zerstrittene Labour-Partei einen.
Wie die britischen Sozialdemokraten am Samstag mitteilten, wurde der 57-Jährige zum neuen Labour-Chef gewählt. Er tritt die Nachfolge von Jeremy Corbyn an. Unter dessen Führung hatte Labour bei der Parlamentswahl im vergangenen Dezember die schwerste Niederlage seit 1935 eingefahren. Zur Vizechefin wurde die bisherige bildungspolitische Sprecherin Angela Rayner gewählt.
Der ehemalige Menschenrechtsanwalt Starmer setzte sich bereits nach der ersten Auszählungsrunde gegen seine Konkurrentinnen Rebecca Long-Bailey und Lisa Nandy mit rund 56 Prozent der Stimmen durch. Seine Wahl gilt als Abkehr von dem stramm linksgerichteten Kurs der britischen Sozialdemokraten in den vergangenen Jahren, der für die Partei zur Zerreißprobe wurde. Der 70-Jährige Altlinke Corbyn und seine Mitstreiter standen immer wieder in der Kritik, antisemitische Tendenzen in ihrer Partei zu dulden. Auch hier dürfte Starmer auf einen Neustart hinarbeiten.
Doch Starmer ist kein zweiter Tony Blair. Er hat angekündigt, den linken und den pragmatischen Flügel der Partei miteinander versöhnen zu wollen. Ob ihm das gelingt, dürfte maßgeblich über seine Chancen entscheiden, den Tories von Premierminister Boris Johnson gefährlich zu werden.
Auf einem Sonderparteitag feiern lassen, wie ursprünglich geplant, konnte sich Starmer wegen der Coronavirus-Pandemie nicht. In einer Videobotschaft bezeichnete er seine Wahl zum Parteichef als "größte Ehre und Privileg" seines Lebens. "Es kommt zu einer Zeit wie keiner anderen in unserem Leben", so der Abgeordnete für den Londoner Wahlkreis Holborn and St. Pancras. "Das Coronavirus hat unser normales Leben zu einem Halt gebracht. Unsere Großstädte, Städte und Dörfer sind still geworden, unsere Straßen verwaist. Das öffentliche Leben ist fast völlig zum Erliegen gekommen und wir vermissen einander."
Wie erwartet, hielt sich Starmer aber mit allzu harscher Kritik an der chaotischen Reaktion der Regierung auf die Coronavirus-Pandemie zurück. Zu groß dürfte die Angst sein, den Eindruck zu erwecken, politisches Kapital aus der Krise schlagen zu wollen. Es werde keine "Opposition um der Opposition Willen" geben, sondern eine konstruktive Zusammenarbeit, sagte der Politiker. Trotzdem werde Labour die Argumente der Regierung hinterfragen und ein Schlaglicht auf kritische Themen werfen, beispielsweise, wo die Regierung versage oder nicht schnell genug handle.
Die konservative Regierung von Johnson steht angesichts der rapide wachsenden Zahl von Corona-Todesfällen unter großem Druck. Sie hat angekündigt, die Coronavirus-Tests erheblich auszuweiten sowie Beatmungsgeräte und Schutzkleidung für Krankenhausmitarbeiter zu beschaffen. Doch die Fortschritte sind bislang mäßig. Die Zahl der Toten durch die Lungenkrankheit Covid-19 in Großbritannien stieg am Samstag um 708 - ein neuer Tagesrekord - auf 4313.
Johnson gratulierte Starmer zu seinem Wahlsieg und rief die Chefs aller Oppositionsparteien zur Zusammenarbeit im Kampf gegen die Corona-Krise auf. "Wir haben die Pflicht, in dieser Zeit des nationalen Notstands zusammenzuarbeiten", schrieb der Premier. Die Parteichefs der Opposition lud er zu einem gemeinsamen Briefing mit Regierungsexperten in der kommenden Woche ein.
Glückwünsche kamen auch aus Deutschland. Labour habe mit dem neuen Parteichef "einen profilierten Kämpfer für Gerechtigkeit und einen engagierten Vertreter der Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern" an seiner Spitze, teilte das SPD-Spitzenduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans mit.
Zum Thema EU-Austritt verlor Starmer in seiner Rede kein einziges Wort. Er fungierte im Schattenkabinett Corbyns als Brexit-Experte und gilt als Gegner des EU-Austritts. Noch im vergangenen Jahr setzte er sich vehement dafür ein, ein zweites Referendum auf die Agenda der Labour-Partei zu bringen. Corbyn hingegen hatte das nur sehr zögerlich akzeptiert.
Die widersprüchliche Haltung Labours zum Brexit gilt als einer der Gründe, warum die Partei einen Großteil ihrer Stammwähler in den ehemaligen Industrie- und Bergbauregionen im Norden Englands und den Midlands verloren hat. Starmer wird sich daher wohl hüten, allzu laut nach einer Verlängerung der Brexit-Übergangsphase zu rufen. "Der Streit um Verbleib oder Austritt ist vorbei", sagte er bei einer Podiumsdebatte mit seinen Konkurrentinnen im Februar. Trotzdem glaubt der EU-Abgeordnete und Europabeauftragte des SPD-Parteivorstandes, Udo Bullmann, dass Starmer Druck auf Johnson ausüben könnte: "Wegen seiner klaren Haltung zum Brexit wird Keir Starmer eine härtere Nuss für Johnson in der Frage - er ist der härtere Punching-Partner als Corbyn", teilte Bullmann der Deutschen Presse-Agentur mit.
Ob es Starmer gelingen wird, die Arbeiterschaft wieder zurückzugewinnen, bleibt abzuwarten. Der gebürtige Londoner stammt als Sohn eines Werkzeugmachers und einer Krankenschwester zwar selbst aus einfachen Verhältnissen, kann aber auf eine beeindruckende Karriere als Jurist zurückblicken. Als Menschenrechtsanwalt war er ein Mitbegründer der Kanzlei Doughty Street Chambers, für die auch Staranwältin Amal Clooney, die Frau des Hollywood-Schauspielers George Clooney, tätig ist. Später leitete er die Ermittlungsbehörde Crown Prosecution Service.
Starmer selbst ist, anders als sein Vorgänger Corbyn, stets makellos gekleidet und achtet auf ein gepflegtes Äußeres. Zusammen mit einem messerscharfen Verstand und rhetorischen Qualitäten werden dem verheirateten Vater von zwei Kindern daher selbst gewisse Starqualitäten nachgesagt.