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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Polen unter der PiS-Regierung Wie eine Partei die Demokratie aushöhlt
Die PiS-Partei krempelt Polen um. Die Kontrollinstanzen werden ausgehebelt, die Menschen mit Geldgeschenken auf Kurs gebracht. Ist das Modell eine Blaupause für Populisten in anderen Ländern?
Wenn Polen am heutigen Sonntag ein neues Parlament wählt, dürfte sich der rechtsstaatliche Niedergang des Landes fortsetzen. In aktuellen Umfragen liegt die regierende PiS-Partei deutlich vorne, in manchen sogar bei knapp 50 Prozent, womit sie erneut die absolute Mehrheit hätte. Damit könnte die Partei den Staat weiter umbauen. Mit rechtlich fragwürdigen Mitteln besetzt sie Schlüsselpositionen in Medien, Justiz und Verwaltung mit ihr wohlgesonnenen Entscheidern. "Recht und Gerechtigkeit", so lautet der Name der Partei. Wie sie das Recht auslegt, folgt einer eigenen Logik – mit Nachahmerpotenzial für andere rechtskonservative Regierungen.
Teil eins: Die Medien
Einer der ersten Bereiche, die von der PiS-Regierung ab 2015 umgebaut wurden, sind die Medien. Die öffentliche Meinung soll gesteuert, Kritiker sollen mundtot gemacht werden. Da, wo die Regierung auf die Medien zugreifen konnte, nämlich im öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen, hat sie keine Zeit verschwendet: Seit der Medienreform von 2016 darf der Schatzmeister der Regierung Führungspositionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigenmächtig besetzen.
Seine erste Personalentscheidung: Der nationalkonservative Politiker und Journalist Jacek Kurski wurde noch am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes Chef des Fernsehsenders TVP. Die bisherigen Kontrollgremien wurden durch einen fünfköpfigen Medienrat mit Vertretern des nationalkonservativen Präsidenten und des Parlaments ersetzt. Eine neutrale Berichterstattung findet nicht mehr statt, die Gewichtung nach nationalkonservativen Kriterien prägt die Sendungen. Ein TV-Drama über einen Teenager, der mit seiner sexuellen Identität hadert, oder eine Komödie über ein homosexuelles Elternpaar wären in diesem Kosmos unvorstellbar.
Es ist eine Strategie, der auch andere rechtskonservative Politiker folgen könnten. Personelle Entscheidungen zugunsten des eigenen Kurses, Druck auf liberale Verlage und Medienhäuser, Ausschluss dieser Journalisten vom Diskurs: In Ansätzen macht US-Präsident Donald Trump das bereits jetzt, indem er einzig "Fox News" und Co. sowie Twitter für die Verbreitung seiner Botschaften nutzt und CNN und die "New York Times" diffamiert.
Liberale Tageszeitung wird in der Auslage versteckt
In Polen werden linksliberale Medien wie die Wochenzeitschrift "Polityka" oder die aus den frühen Tagen der Solidarnosc-Bewegung stammende Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" drangsaliert. Hintergrundgespräche finden ohne die kritischen Journalisten statt. Informationen werden nicht wie üblich weitergegeben. Am Mineralölkonzern Orlen hält der polnische Staat 27,52 Prozent der Anteile. An den Orlen-Tankstellen sollen Mitarbeiter die "Gazeta Wyborcza" hinter anderen Zeitungen verstecken.
Überhaupt steigt der finanzielle Druck: Regierungsnahe Unternehmen schalten Anzeigen nur noch in PiS-treuen Medien, generell nicht mehr in der "Gazeta Wyborcza". Für die kommende Legislaturperiode plant die Regierung eine neue Ethikbehörde für Journalisten, die die Moral der Journalisten überprüfen soll. Was die Behörde genau tun soll und ob Journalisten ihren Status verlieren könnten, geht aus dem Wahlprogramm der PiS nicht hervor. Vorhaben wie dieses im Unklaren zu lassen, das machten die Nationalkonservativen häufig, schreibt die konservative Tageszeitung "Rzeczpospolita". Redakteure zeigen sich alarmiert.
Schritte wie diese sind geeignet, die öffentliche Meinung in einem Land zu verändern. Doch die PiS beließ es nicht dabei. Journalisten, Medien- und Menschenrechtsorganisationen versuchen, gegen die Strategie vorzugehen. Der Aufschrei war zu Beginn der Reformen groß, aber mittlerweile ist die Empörung auf die wenigen Betroffenen abgeebbt. Die Opposition findet kein inhaltliches Rezept gegen die Pläne der PiS. Gleichzeitig baut die PiS das Justizwesen um, sodass die juristische Gegenwehr erschwert wird. Das ist die zweite wesentliche Säule für das, was Parteichef Jaroslaw Kaczynski "dobra zmiana" nennt, den "guten Wandel".
Teil zwei: Die Justiz
Gesetzgebende Gewalt, gesetzausführende Gewalt und rechtsprechende Gewalt: Das sind die drei Pfeiler eines Rechtsstaates. Sie ergänzen sich gegenseitig, sie arbeiten unabhängig voneinander. So sollte es sein. Die PiS-Partei hat erkannt, wie hinderlich das für einen radikalen Staatsumbau ist. Direkt nach den Parlamentswahlen 2015, aus denen die Partei mit einer absoluten Mehrheit im Sejm, dem polnischen Parlament, hervorgegangen ist, attackierte sie deshalb den Verfassungsgerichtshof – die Institution, die die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze kontrollieren soll.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Die zuvor regierende Koalition aus liberalkonservativer Bürgerplattform und Bauernpartei hatte einen Fehler gemacht. Sie wollte den auslaufenden Amtszeiten von fünf Richtern vorgreifen und noch in ihrer eigenen Legislaturperiode Nachfolger bestimmen, um die Personalentscheidung politisch beeinflussen zu können. Nur drei dieser Entscheidungen waren, wie sich später herausstellte, im Einklang mit der Verfassung.
Staatspräsident Andrzej Duda weigerte sich, die Ernannten zu vereidigen. Die PiS ernannte ihre eigenen Verfassungsrichter, die wiederum von den Altkollegen nicht zur Rechtssprechung zugelassen wurden. Am Obersten Gericht sollten Richter plötzlich nicht mehr bis zum 70. Lebensjahr amtieren, sondern mit 65 abtreten.
Eine willkürliche Altersgrenze mit Folgen: Die EU-Kommission leitete ein dreistufiges Sanktionsverfahren gegen Polen ein, das noch immer läuft. Theoretisch könnte das Land dabei seine Stimmrechte auf EU-Ebene verlieren. Weil dies aber alle Mitgliedsstaaten einstimmig beschließen müssten, gilt es als unwahrscheinlich. Ungarn hat bereits angekündigt, Sanktionen gegen Polen nicht mitzutragen. Allerdings hat das harte Auftreten der EU Polen ein Stück weit zum Einlenken bewegt: Die Altersgrenze wurde zurückgenommen, die Richter arbeiten weiter.
PiS-nahe Richter bestimmen das Geschehen
Inzwischen wird das Verfassungsgericht von PiS-nahen Richtern dominiert. Anträge werden chronologisch nach ihrem Eingang geprüft, nicht nach Relevanz. Der Justizminister fungiert in Personalunion als Generalstaatsanwalt. Er kann Gerichtsvorsitzende ohne Rücksprache mit dem Landesjustizrat abberufen. Er kann Richtern ein höheres Gehalt gewähren.
Die Richter im Landesjustizrat werden nun nicht mehr von anderen Richtern ernannt, sondern mit einer Dreifünftelmehrheit im Parlament bestimmt – eine unzulässige Politisierung, wie etwa die Venedig-Kommission der EU befand. Staatspräsident und Justizminister können Disziplinarverfahren gegen Richter einleiten - dies hat die EU-Kommission Anfang Oktober veranlasst, Polen vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. Der Schritt, so die Begründung, untergrabe die Unabhängigkeit der Richter. Justiz und Regierung verschränken sich miteinander, statt voneinander unabhängige Instanzen zu sein. Wer dagegen vorgehen will, scheitert an den linientreuen Richtern. Und davon gibt es immer mehr.
Wenn alles so klappt, wie sich die Partei unter Jaroslaw Kaczynski das offenbar vorstellt, nimmt der Widerspruch gegen den Staatsumbau in den kommenden Jahren ohnehin ab. Denn das mittelfristige Ziel, darauf deuten all diese Weichenstellungen hin, ist eine gesellschaftliche Veränderung, eine Bewusstseins-Verschiebung. Von einer aufstrebenden mitteleuropäischen Gesellschaft mit starker Wirtschaft und einem hohen Akademisierungsgrad hin zu einer nationalistisch-traditionalistischen Gemeinschaft mit Abschottungstendenzen, in der Minderheiten sich fürchten müssen. Das Wertegebilde dafür soll in den Schulen entstehen.
Teil drei: Die Schulen
"Die Ausgestaltung eines nationalen Identitätsgefühls wird ein ständiges und wichtiges Element im polnischen Lehrplan sein." So steht es im PiS-Wahlprogramm. Um das zu erreichen, sollen die Schüler eine "patriotische Erziehung" erfahren. Sie sollen die "Nationalhelden" kennenlernen und Orte besuchen wie das Museum des Warschauer Aufstands oder das Museum der Geschichte Polens.
Aus dem übergeordneten Ziel macht die Partei kein Geheimnis: Die polnische Jugend solle eine kritische Haltung gegenüber "gesellschaftlichen Moden und ideologischen Phänomenen" entwickeln. Gemeint sind klassische Hassthemen der Rechtskonservativen wie Gleichberechtigung von Mann und Frau, gleichgeschlechtliche Partnerschaften, unterschiedliche sexuelle Identitäten und die Integration von Zuwanderern.
"Wir stärken die Erziehungsfunktion der Schule", heißt es bei der PiS. Sexualkunde steht nicht auf dem Lehrplan, Religionsunterricht ist dagegen Pflicht. Eltern, die diesen Kurs nicht mittragen wollen, bleibt nicht viel übrig: Sie können ihre Kinder höchstens auf eine Privatschule schicken oder hoffen, dass die Lehrer es mit dem Kurs der Regierung nicht so genau nehmen.
Man könnte denken, dass der Widerstand gegen die PiS-Pläne groß ist. Doch das ist er nicht. Nicht groß genug, um weite Teile der Bevölkerung einzunehmen. Wie hat die PiS das geschafft?
Ihr Rezept sind Sozialgeschenke. So simpel die Methode erscheinen mag, so effektiv ist sie auch. Am erfolgreichsten ist das Kindergeld "500 plus", mit dem jedes verheiratete Elternpaar jeden Monat pro Kind rund 125 Euro bekommt. Der Mindestlohn soll schrittweise auf rund 950 Euro im Monat ansteigen. Das sind bedeutende Summen in einem Land, in dem das durchschnittliche Jahreseinkommen pro Kopf 2017 bei knapp 6.900 Euro lag. Ihr Programm, sagt die PiS, führe Familien aus der Armut.
Im selben Geist sieht sie ihre Wohltaten für Senioren: Das Rentenalter wurde auf 60 Jahre gesenkt, Senioren erhalten kostenlose Medikamente. Auch Schwangere sollen nach den Wahlen davon profitieren. Jeder Schüler erhält für den ersten Ranzen, Stifte und Hefte rund 75 Euro. Die Wähler honorieren das an der Urne – zu Ungunsten der Demokratie.
Außer einzelnen Maßnahmen kann nichts davon gerichtlich angefochten werden. Die Gerichtsverfahren, die zustande kommen, haben durch die PiS-loyalen Richter kaum Aussicht auf Erfolg. Polen wird sich weiter nach rechts verschieben. Deutschland, direkter Nachbar und einer der wichtigsten Handelspartner, kann nur zusehen.
Ein schmerzhafter Prozess, war Polen doch in den Achtzigerjahren ein Vorreiter der osteuropäischen Staaten gegen den Kommunismus. Nun geriert es sich zum Vorreiter von populistischen Parteien in anderen Ländern. Denn auch wenn die Bedingungen überall anders sind - mit ihren Methoden zeigt die PiS-Regierung, wie man ein Land im Sinne einer Ideologie nachhaltig verändert.
- Tageszeitung "Rzeczpospolita" über neue Behörde für Journalisten
- Wahlprogramm der PiS-Partei 2019
- Gespräch mit der Juristin und Polen-Expertin Tina de Vries
- Gespräche mit Journalisten der polnischen Zeitschrift "Polityka"
- Deutschlandfunk über Situation von Journalisten in Polen
- Eigene Recherchen