Nach YouTube-Dokumentation Missbrauchsskandal erschüttert Polens Politik
Eine Dokumentation bewegt Polen: Es geht um den Missbrauch an Kindern durch Priester. Der Skandal könnte Einfluss auf die Europawahl haben – denn in die Kritik gerät auch die Regierungspartei.
Die Schockwellen eines polnischen Dokumentationsfilms über Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche könnten auch die Politik ins Wanken bringen. Das Hauptaugenmerk ist dabei auf die rechtsnationalistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gerichtet, deren Nähe zur Kirche sie nun teuer zu stehen kommen könnte. In den Umfragen zur bevorstehenden Europawahl liegt die PiS von Parteichef Jaroslaw Kaczynski bisher Kopf an Kopf mit einem pro-europäischen Bündnis aus mehreren Oppositionsparteien – doch das könnte sich nun ändern.
Der polnische Politologe Stanislaw Mocek sagte der Nachrichtenagentur AFP, der Skandal "droht das Gleichgewicht zugunsten der Opposition zu kippen". In Polen gebe es ein Bündnis zwischen Thron und Altar, eine "Symbiose, die beiden Seiten gefällt". Der Forscher glaubt, dass eine Veränderung von ein oder zwei Prozentpunkten bei der Wahl am 26. Mai entscheidend sein könnte.
Priester gestehen Missbrauch
Die am Samstag vergangener Woche bei YouTube veröffentlichte Dokumentation hatte in Polen für große Empörung gesorgt. Der zweistündige Film des Journalisten Tomasz Sekielski mit dem Titel "Sag es niemandem" wurde mittlerweile fast 19 Millionen Mal angesehen.
Die Dokumentation, die teilweise mit versteckter Kamera gedreht wurde, zeigt Begegnungen von Opfern pädophiler Priester mit ihren einstigen Peinigern. Einige inzwischen sehr alte Priester gestehen den Missbrauch, bitten um Vergebung und bieten manchmal finanzielle Entschädigung an.
Bischöfe stehen für ihre unzureichenden Reaktionen auf die Missbrauchsfälle in der Kritik. Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchungskommission wurden laut.
Kirche am Rand fundamentaler Veränderungen
Der katholische Theologe Stanislaw Obirek aus Warschau sagte, dass sowohl die PiS als auch die Bischöfe "im Panikmodus" seien. Er geht davon aus, dass anlässlich des Besuchs vom Vatikanexperten für Kindesmissbrauch durch Priester, Charles Scicluna, am kommenden Montag eine Reihe polnischer Bischöfe zurücktreten könnte. Die Kirche stehe am Rand "fundamentaler Veränderungen".
Die rechtsnationale Regierung scheint jedenfalls keine Zeit bei der Schadensbegrenzung verlieren zu wollen: Sie brachte einen Gesetzentwurf ins Parlament ein, der eine Höchststrafe von 30 Jahren Gefängnis für Kindesmissbrauch vorsieht, in besonders schweren Fällen soll die Verjährungsfrist abgeschafft werden. Zudem soll das Schutzalter von 15 Jahre auf 16 Jahre angehoben werden. Das Parlament verabschiedete die Neuregelungen am Donnerstag mit großer Mehrheit.
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Regierungssprecherin Joanna Kopcinska wies einen Zusammenhang des Gesetzes mit dem Dokumentarfilm jedoch als absurd zurück. Die Neuregelungen seien bereits seit zehn Monaten in Arbeit. Dennoch räumte Vize-Regierungschef Jaroslaw Gowin ein, dass die öffentliche Debatte über Kindesmissbrauch "gewisse Wahlkonsequenzen haben könnte".
- Nachrichtenagentur dpa