Eine Woche Premier "Hass, Spaltung, Niedertracht" – das sagt die Presse zu Boris Johnson
Seit einer Woche ist Boris Johnson britischer Premierminister. Sein politischer Kurs unterscheidet sich deutlich von dem seiner Vorgängerin May. Europa ist in Sorge.
"The Observer" aus London kommentiert den Brexit-Kurs des neuen britischen Premierministers Johnson so: "Obwohl er kein Mandat hat – abgesehen von seinem Sieg in einem Wettbewerb, über den lediglich die Mitglieder der Tory-Partei entschieden haben – hat er keinen versöhnlichen Versuch unternommen, das Land zu einen. Und auch keinen Versuch, das EU-Referendum im Kontext der nur schmalen Mehrheit zu interpretieren, die für den Austritt stimmte.
Er hat keinen Zweifel daran gelassen, dass er kein Premierminister für Schottland und Nordirland sein wird; nicht für jene, die für den Verbleib in der EU gestimmt hatten, und auch nicht für die am wenigsten wohlhabenden Regionen des Landes, die am härtesten getroffen werden, wenn Großbritannien ohne ein Abkommen aus der EU ausbricht. Er wird der Premierminister jener Minderheit von Wählern sein, die einen No-Deal-Brexit unterstützen – und der Rest von uns hat das Nachsehen."
"The Sunday Times" schreibt: "Donald Trump ist dafür kritisiert worden, dass er den Handel als Waffe gegen andere Länder einsetzt. Das hat sich jedoch als effektiv erwiesen. Wenn es um Großbritannien geht, will der Präsident Amerikas Handelsmacht auf andere Art und Weise nutzen.
Sichtlich zufriedener mit Premierminister Boris Johnson als mit Theresa May malt er die Aussicht auf den baldigen Abschluss eines ambitionierten Handelsabkommens zwischen den USA und Großbritannien aus. So ein Abkommen zu erreichen, wird nicht einfach sein. Noch bevor jemand das Wort 'Chlorhuhn" überhaupt ausgesprochen hat, werden bereits Einwände erhoben.
Viele misstrauen Trumps 'America First'-Motiven. Vielleicht sollten wir nicht ganz so zynisch sein. Er mag Großbritannien. Und seine Beziehung zu Johnson entwickelt sich zu einer feinen Männerfreundschaft. Wenn Europa nicht zugänglich sein möchte, sollten wir froh sein, dass Amerika es ist."
In der "Süddeutschen Zeitung" ist zu lesen: "Boris Johnson ist nicht Donald Trump, und Großbritannien ist nicht die USA. Und dennoch kann aufgeklärte und weniger aufgeklärte Demokraten angesichts des angelsächsischen Vorbilds ein Gefühl der Verzweiflung, der Lähmung beschleichen. Wie kann es sein, dass diese Mutterländer der Demokratie, die Gralshüter der Meinungsfreiheit, einen solchen Extremismus in ihrer Politik erleben? Wie kann es in liberalen, wohlhabenden Gesellschaften zu einem derartigen Exzess, zu so viel Hass, Spaltung, Niedertracht und Verrohung kommen?
Ob Johnson oder Trump – es wird gelogen, dass die Balken splittern, es wird verunglimpft, polarisiert, provoziert. Zwei Politiker entführen beachtliche Wählergruppen in eine Parallelwelt, sie lullen sie ein mit einem eigenwilligen Verständnis von Wahrheit, faszinieren sie mit ihrer Sprunghaftigkeit und Unberechenbarkeit. Trump und Johnson sind wie eine Massenkarambolage auf der Straße – niemand kann die Augen davon wenden, die Katastrophe entfaltet ihre hypnotische Kraft.
Ähnlich formuliert es "24 Tschassa" aus Bulgariens Hauptstadt Sofia: "Donald Trump und Boris Johnson sind (sich ähnlich) wie zwei Wassertropfen, was Probleme für die Zukunft erwarten lässt. Über die Ähnlichkeiten wird seit Langem gesprochen – nun aber, da Boris Johnson Großbritanniens Regierung übernimmt, ist der Vergleich mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump beängstigend.
Nicht nur, weil dies bedeutet, dass die Welle des Populismus auch die britische politische Spitze erfasst hat, sondern auch weil beide in der Lage sind, ein ziemlich großes Durcheinander anzurichten. Sie haben das schon mehrfach unter Beweis gestellt, und der ganze Wirbel darüber, wie sehr sie sich gegenseitig gefallen und schätzen, lässt darauf schließen, dass sie auf der politischen Bühne aktiv zusammenarbeiten werden."
"La Croix" aus Paris meint: "Boris Johnson ist ständig gezwungen, denen, die sich weigern, ihm zu folgen, alles Mögliche zu versprechen. Überall massive Investitionen. In Dublin soll es weder einen Backstop noch eine harte Grenze geben – allerdings gibt es keine Erklärung, wie das gehen soll. In Edinburgh konnte er die Schotten, die von der Unabhängigkeit träumen, nicht beruhigen, zu bleiben.
In diesem Machtkampf mit den Europäern bereitet Boris Johnson daher weiterhin einen 'No Deal'-Brexit vor und betet zweifellos, dass es nie zu diesem harten Brexit kommen wird. Im Falle einer Trennung mag der britische Premierminister mit der Europäischen Union fertig sein. Aber seine Probleme in Großbritannien würden erst anfangen."
"De Telegraaf" aus Amsterdam sieht es so: "Wie erwartet, hat sich der neue britische Premierminister Boris Johnson für einen harten Kurs in der Brexit-Seifenoper entschieden. Er fordert von der EU neue Verhandlungen über das Brexit-Abkommen. So soll der von den Brexit-Befürwortern gehasste 'Backstop' vom Tisch. Diese Regelung bedeutet, dass die Grenze zwischen Irland und Nordirland offen bleibt, solange es kein Handelsabkommen mit der EU gibt.
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Johnson will nun die Vorbereitungen für einen Austritt ohne Abkommen beschleunigen. Ganz offensichtlich sind die Briten dafür noch nicht bereit. Wenn die EU standhaft bleibt – und es gibt keinen Grund, es nicht zu tun –, sollten die Niederlande und der Rest der EU gut auf einen 'No-Deal'-Brexit vorbereitet sein."
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- sueddeutsche.de: "Niemand darf sich an den Politikstil von Johnson und Trump gewöhnen"