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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Er war auch in Deutschland Christchurch-Attentäter reiste Kreuzrittern nach
Reisen des Attentäters von Christchurch geben Rätsel auf, doch eines ist sicher: Der Terrorist beschäftigte sich intensiv mit den Kreuzrittern – und er kam bei seinen Fahrten auch nach Deutschland.
Der rechtsextreme Attentäter von Christchurch ist nach Recherchen von t-online.de mittelalterlichen Kriegsherren nachgereist, die er für Retter des Abendlands hielt. Der 28-Jährige fuhr im vergangenen Jahr wochenlang auch durch abgelegene Gegenden Osteuropas zu Wurzeln mittelalterlicher Feldherren der Türkenkriege. Zugleich ermitteln in der Türkei die Behörden, wieso er sich auch in ihrem Land offenbar lange aufgehalten hat.
Bis vor wenigen Tagen ließ der Facebook-Account des Massenmörders Brenton Tarrant wenig erkennen von seinen Plänen und wahnhaften Ideen. Lediglich faszinierende Tierfotos und Motive von Sehenswürdigkeiten in aller Welt hatte er dort gepostet.
Nach dem Amoklauf wird klar, dass darunter Bilder sind, die mit seinem Hass in Verbindung stehen. Er hat sich intensiv mit den Türkenkriegen, Feldherren und Fürsten befasst, die gegen die Osmanen gekämpft haben.
Tarrants Facebook-Account ist mittlerweile gelöscht, genauso wie sein Instagram-Auftritt. In Internetarchiven lassen sich aber noch Fotos von seinen Reisen mindestens seit 2016 finden. Nach dem Krebstod seines Vaters 2010 hatte der Täter geerbt und nach eigenen Angaben erfolgreich in Krypto-Währungen investiert, berichtet "The Australian". Der junge Mann, der als Fitnesscoach im australischen Nest Grafton arbeitete, machte Reisen um die Welt zu seinem Lebensinhalt.
Nach einem Aufenthalt im Iran war der damals 25-Jährige vom 17. bis 20. März 2016 in der Türkei, erklärten türkische Behörden. Im September 2016, kurz nach dem gescheiterten Putsch von Teilen des Militärs in der Türkei, kehrte der Attentäter für gut einen Monat zurück in das Land.
In seinen Fotos findet sich die Blaue Moschee, er hielt auch die Hagia Sophia fest, einst eine der prachtvollsten christlichen Kathedralen. Seit 1935 dient der Bau als Museum, nachdem rund 500 Jahre dort Muslime gebetet hatten. Die Türken hatten 1453 Konstantinopel erobert, es war das Ende des byzantinischen Reichs und die Hagia Sophia wurde eine Moschee.
"Konstantinopel wird im Besitz von Christen sein"
Das muss eine Provokation sein für den rechtsextremen Attentäter. Er ist fixiert auf diese Feindschaften und Kriege. "Die Hagia Sophia wird von Minaretten befreit sein und Konstantinopel wird zu Recht noch einmal im Besitz von Christen sein", schrieb er in seinem Pamphlet zur Tat. Prompt demonstrierten am Wochenende Hunderte Türken dafür, die Hagia Sophia wieder zur Moschee zu machen.
Präsident Recep Tayyip Erdogan erteilte solchen Forderungen eine Absage, es gebe keinen Bedarf. Er sagte auch, er wolle "keinen neuen Konflikt zwischen Halbmond und Kreuz".
Kritik gab es daran, dass Erdogan bei einem im TV übertragenen Wahlkampfauftritt unscharf das Livevideo des Attentäters laufen ließ. Der türkische Präsident sprach von einem Angriff auf ihn und das türkische Volk. Tarrant hat auch Mordaufrufe gegen Erdogan gerichtet und die Vertreibung türkischer Bürger von der europäischen Seite von Istanbul gefordert.
Türkische Behörden gehen der Frage nach, ob der Australier Anschläge in der Türkei plante, berichten Medien in dem Land. Gesichert ist, dass er sich dort christliche Stätten angeschaut hat.
Erst Pakistan, dann Bulgarien
Kirchen und Klöster prägen auch seinen Facebook-Auftritt, wenn er in Europa unterwegs war. Im Herbst 2018 kommt er nach einem Trip durch Pakistan in Bulgarien an, einem Land, das rund fünf Jahrhunderte unter osmanischer Herrschaft stand.
Bulgariens Behörden gehen davon aus, dass der Australier vom 9. bis 15. November in dem Land war und überprüfen seine Reisen nun. Demnach betrat er das Land mit einem Flug aus Dubai am 9. November, lieh sich ein Auto und flog am 15.November weiter nach Bukarest.
In Bulgariens Hauptstadt Sofia fotografiert er zunächst die Alexander-Newski-Kathedrale in Sofia, die an rund 20.000 russische Soldaten erinnert, die bei der Befreiung Bulgariens im Russisch-Osmanischen Krieg 1877/78 starben. Sie ist ein sehr beliebtes Motiv.
Er fährt den Fotos zufolge weitere Schauplätze dieses Krieges an, etwa den Schipkapass, wo bei heftigen Kämpfen 24.000 türkische Soldaten getötet oder verletzt und die restliche Armee mit mehr als 30.000 Mann gefangen genommen wurde. Es gibt Fotos aus dem Ort Weliko Tarnowo, wo nach osmanischer Eroberung 1393 Teile der Bevölkerung massakriert und Kirchen zu Viehställen umgewandelt wurden.
Tarrant reiste weiter nach Rumänien, macht Bilder in der Stadt Ordea, die im Herbst 1598 von einer kleinen Besatzung gegenüber 100.000 Türken erfolgreich verteidigt wurde. In Siebenbürgen reist er zu Burg Hunedoara. Touristen kommen meist, weil sie als Dracula-Burg bekannt ist. Erbauer ist aber Johann Hunyadi, Heeresführer der 1441 einen wichtigen Sieg über die Türken erzielte und 1442 ein türkisches Heer bei Hermannstadt vernichtete.
Namen auf Waffen geschrieben
Unter den Namen und Orten, die Tarrant auf seine Waffen und Magazine geschrieben hatte, ist der von Hunyandi. Und auch der von Constantin Brancoveanu, Erbauer des Klosters Horezu in der Wallachei, das der Australier ebenfalls besuchte. Brancoveanu wurde 1714 in Istanbul hingerichtet, der Überlieferung nach, weil er nicht zum Islam übertreten wollte.
Der Mann, der 50 Männer, Frauen und Kinder niedergemetztelt hat, nimmt in seiner Ideologie und mit den Namen aber auch Bezug auf die ersten Kreuzritter und sogar auf Frankenkönig Karl Martell, der mit seinen Truppen im Oktober des Jahres 732 nach Gallien vorgestoßene Araber gestoppt hatte.
Ein weiteres Reiseziel, die Kathedrale von Curtea de Argeş, die Ruhestätte von acht Mitgliedern des rumänischen Königshauses, wurde von Șerban I. Cantacuzino wiederaufgebaut – einem weiteren Mann auf den Waffen des Attentäters.
Cantacuzino hatte auf osmanischer Seite 1683 bei der Belagerung Wiens teilnehmen müssen, aber heimlich Informationen zur Versorgungslage und den Plänen der Türken in die Stadt bringen lassen. Die 20.000 Verteidiger standen 120.000 Belagerern gegenüber, hielten aber durch.
Der Name des damaligen Stadtkommandanten Wiens, Ernst Rüdiger von Starhemberg, findet sich ebenfalls auf den Waffen – und Wien auf der Reiseroute des Australiers. Mindestens zwei Mal ist er in der Stadt, auch nach der Rumänien-Station in der Adventszeit 2018. Er besucht das Heeresgeschichtliche Museum*, das eine eigene Abteilung der Zeit der Türkenkriege widmet. Auch der Nationalbibliothek in der Hofburg stattet er eine Visite ab.
Abstecher zu Schloss Neuschwanstein
Sein Facebook-Auftritt zeigt zuvor Fotos aus dem im Mittelalter sehr bedeutenden Städtchen Friesach in Kärnten und dem Wappensaal des Landeshauses Klagenfurt. Tarrant macht aber auch Station an einem Naturschauspiel, den Krimmler Wasserfällen, den höchsten Österreichs, fährt zudem nach Salzburg und Innsbruck.
Offenbar macht er hier auch einen Abstecher zu Schloss Neuschwanstein. Das Foto ist das einzige aus Deutschland in seinem Account im Zeitraum seit 2016. Auch die Beneluxstaaten, Skandinavien und Großbritannien hat er offenbar links liegen lassen. Italien ließ sich bei den Recherchen auch kein Foto zuordnen. Allerdings konnte die Redaktion auch nicht bei allen Bildern den Aufnahmeort zweifelsfrei feststellen. Es gibt auch keine Bestätigung, dass er alle geposteten Fotos selbst gemacht hat.
Den Balkan besuchte er den Bildern zufolge in dem Zeitraum ebenso wie Frankreich, Portugal, Spanien, Tschechien, Slowakei und die baltischen Staaten. In Polen fotografiert er das frühere Stammhaus des Deutschen Ordens und eine Statue von Johann Sobienski, der 1683 vor Wien den entscheidenden Angriff auf die Türken anführte. Auch dessen Name findet sich auf den Waffen.
In den Tagen vor dem Amoklauf sieht der Facebook-Account plötzlich anders aus: Es werden keine Reisefotos mehr gepostet, sondern stattdessen vielfach rassistische Memes, Bilder mit Amokläufern und rechten Terroristen und glorifizierende Bilder von Kreuzrittern. Solche Bilder fanden sich zumindest öffentlich gepostet vorher nicht.
In der neuen Ausrichtung des Auftritts finden sich auch Bilder mit Bezug zu Deutschland. So postet er ein Foto eines Artikels zum Einfluss der Flüchtlinge auf die Bevölkerungsentwicklung, eine Bildkombination aus der Eroberung Konstantinopels und einer Menschenmenge mit einer Vielzahl deutscher und türkischer Flaggen.
Für Braunkohle aufgegebene Kirche ein Thema
Als eines der letzten Bilder postete der Attentäter ein Foto der Kirche St. Lambertus in Erkelenz bei Mönchengladbach. Der "Immerather Dom" ist im vergangenen Jahr dem Erdboden gleich gemacht worden. Das waren aber nicht "die Osmanen". Die Kirche ist dem Tagebau Garzweiler II vom Stromanbieter RWE zum Opfer gefallen.
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Religiöse Gefühle kann das eigentlich nicht verletzt haben bei dem heute 28-Jährigen. In einem Posting hatte er sich mit "see you in Valhalla" verabschiedet. Man sehe sich in der Walhalla. Das ist der Ort der Gefallenen – in der nordischen Mythologie.
*Anm. d. Red.: An dieser Stelle hatten wir vom "Militärhistorischen Museum" geschrieben. Es heißt aber Heeresgeschichtliches Museum.
- Eigene Recherchen
- The Australian: "I am a monster of willpower, I just need a goal"
- The Sofia Globe: Prosecutor-General: Suspect in Christchurch terrorist attack was in Bulgaria in November 2018
- TRTWorld: 'We know what to do' – Erdogan, on demands to open Hagia Sophia for prayers
- TRTWorld: Perpetrator of New Zealand terrorist attack visited Turkey 'twice'
- Washington Post: New Zealand scolds Turkey’s Erdogan over airing massacre footage