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Warnung vor der AfD: Weidel glaubt diesen Unsinn selbst nicht


Historiker Wagner
Diesen Unsinn glaubt Weidel nicht einmal selbst

MeinungEin Gastbeitrag von Jens-Christian Wagner

14.02.2025 - 08:27 UhrLesedauer: 5 Min.
Alice Weidel: Die AfD wirft geschichtspolitische Nebenkerzen, warnt Jens-Christian Wagner.Vergrößern des Bildes
Alice Weidel: Die AfD wirft geschichtspolitische Nebelkerzen, warnt Jens-Christian Wagner. (Quelle: Marco Bader/imago-images-bilder)
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Die AfD erstarkt – und sie verschiebt den politischen Diskurs nach rechts. Wie gelingt ihr das? Weil demokratische Parteien das mit sich machen lassen, warnt Historiker Jens-Christian Wagner.

Das Bild wird in die Geschichtsbücher eingehen: Feixend bejubelten die AfD-Abgeordneten des Bundestags am 29. Januar, dass der 5-Punkte-Plan der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik mit ihren Stimmen eine Mehrheit gefunden hat. Neben ihnen saßen reglos die Unionsabgeordneten, offenbar erschrocken und vielleicht auch beschämt über ihre eigene Unverfrorenheit: den Tabubruch zu begehen und die lange beschworene Brandmauer zu den Rechtsextremen einzureißen – und das ausgerechnet im Anschluss an die Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus.

Doch nicht nur darüber jubelte die Rechtsaußen-Fraktion, sondern auch über den Umstand, dass es ihr gelungen war, den anderen Parteien im Wahlkampf mit der Migration ihr eigenes Hauptthema aufzudrücken. Das zeigte sich etwa im TV-Duell zwischen Kanzler Olaf Scholz und seinem Herausforderer Friedrich Merz, als es in den ersten knapp 30 Minuten nahezu ausschließlich um das Thema ging, wie Migration und Asyl am besten zu begrenzen seien – ganz zur Freude des Ideengebers, der AfD.

Zur Person

Jens-Christian Wagner, Jahrgang 1966, ist Historiker und Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie Professor für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Nachdem sich bereits im August 2024 nach dem islamistischen Messerattentat von Solingen auch die demokratischen Parteien mit Rufen nach einer schärferen Migrationspolitik gegenseitig zu überbieten versucht hatten, sah sich die AfD ermuntert, ihrerseits ihre rassistischen migrationspolitischen Forderungen, die auf völkischen Vorstellungen basieren, zu radikalisieren. Noch vor einem Jahr versuchte die AfD nach den "correctiv"-Enthüllungen, ihre Remigrationspläne kleinzureden oder sogar zu leugnen. Der Thüringer AfD-Chef Höcke behauptete im Welt-TV-Duell mit Mario Voigt gar, mit Remigration sei nicht die Ausweisung von Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland gemeint, sondern die Rückkehr ins Ausland ausgewanderter Deutscher.

Von solchen Lügen oder taktischer Zurückhaltung war auf dem Parteitag der AfD in Riesa Mitte Januar 2025 keine Rede mehr. "Und wenn das dann Remigration heißt, dann heißt das eben Remigration", rief Parteichefin Alice Weidel, die den Begriff lange gemieden hatte, den jubelnden Delegierten zu – ein Paradebespiel für die fortschreitende Diskursverschiebung in Richtung immer radikalerer Forderungen.

Das steckt dahinter

Die Diskursverschiebung zeigt sich auch in der Geschichtspolitik. Dass die Nazis in Wirklichkeit Linke gewesen seien, weil sie ja NationalSOZIALISTEN hießen, verbreiten Rechtsextreme schon seit etlichen Jahren. Nun nahm das auch Alice Weidel auf. Im X-Talk mit Elon Musk Anfang Januar verstieg sie sich zu der Behauptung, Hitler sei ein Kommunist gewesen. Natürlich glaubt sie diesen Unsinn nicht selbst. Es ist begriffliches Nebelkerzenwerfen; es geht darum, extrem rechtes Denken vom Makel der NS-Verbrechen zu befreien und damit mehrheitsfähig zu machen.

Gauland machte das, indem er den Nationalsozialismus als einen "Vogelschiss" in einer ansonsten ruhmreichen deutschen Geschichte bezeichnete, und Weidel schiebt die NS-Verbrechen kurzerhand den Linken in die Schuhe. Beide versuchen, ihre rechtsextreme Ideologie von der Belastung durch den Holocaust reinzuwaschen und den "aufrechten Gang zu lernen", wie Björn Höcke am 11. Februar seinen jubelnden Anhängern in Suhl zurief.

Dieses Ziel zeigt sich auch im Wahlprogramm der AfD. Es macht keinen Hehl daraus, dass der Partei die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen ein Dorn im Auge ist. Der kritische Blick auf die Geschichte des Nationalsozialismus und des Kolonialismus, im Programm als "ideologisch geprägt" und "moralisierend" bezeichnet, bedeute die "Demontage unserer historisch-kulturellen Identität". In dieselbe Kerbe haut eine geschichtsrevisionistische Passage, die dem Wahlprogramm auf dem Parteitag in Riesa hinzugefügt wurde und das autoritäre Kaiserreich von 1871 bis 1918 rehabilitieren soll.

Ideologische sowie politik- und gesellschaftsgeschichtliche Verbindungslinien zum Nationalsozialismus, man denke an die autoritäre Prägung oder auch die Genese von Nationalismus, Militarismus, Antisemitismus und völkischem Denken im Kaiserreich, werden expliziert negiert. Die negative Beurteilung des Kaiserreichs richte sich gegen die "deutsche Nation an sich". Ein "Volk ohne Nationalbewusstsein", heißt es weiter, könne "auf Dauer nicht bestehen": Das alles entspricht der geschichtsrevisionistischen Ideologie der Neuen Rechten. Deren Vordenker Armin Mohler bezeichnete den kritischen Blick auf die NS-Verbrechen bereits in den 1960er-Jahren als "Nationalmasochismus". Dieser Begriff wird immer wieder von den von Björn Höcke und anderen AfD-Funktionär:innen hofierten Ideologen um Götz Kubitscheks "Institut für Sozialpolitik" in Schnellroda aufgewärmt. Mit dem "Schuldkult" hat er eine propagandistische Variante.

Desinformation mit Folgen

Dem wird im Programm positives "Brauchtum" entgegengestellt, das "identitätsstiftend und gemeinschaftsbildend" sei. Hier zeigt die AfD, wie sie geschichtspolitisch tickt. Das ist allerdings alles wenig überraschend; man hat sich bereits daran gewöhnt. Und das ist das eigentliche Gefährliche: Die Gewöhnung und die ständige Wiederholung geschichtsrevisionistischer Positionen führen dazu, dass sich entsprechende Diskurse immer mehr in die Mitte der Gesellschaft vorschieben.

Das zeigt sehr deutlich das Wahlprogramm von CDU/CSU, dessen geschichtspolitische Passagen sich nur unwesentlich von denen der AfD unterscheiden – bis in die Rhetorik hinein. So ist etwa von "Leitkultur", "Identität", "Nation", "Bräuchen" und "Traditionen" die Rede. Und der Nationalsozialismus und die Shoah werden in dem zwei Seiten umfassenden Abschnitt zur Erinnerungskultur nicht einmal namentlich erwähnt. Es ist nur nivellierend in einem Halbsatz von den "beiden totalitären Regime[n] in Deutschland" die Rede, womit wohl die NS-Verbrechen und das SED-Unrecht gemeint sein sollen. Zum "SED-Regime" gibt es dann noch weitere Ausführungen, nämlich die Forderung, Wissenschaft und Forschung dazu weiter zu fördern.

Eine analoge Forderung zur Geschichte des Nationalsozialismus fehlt. 90 Prozent der Ausführungen zur Erinnerungskultur gelten einem anderen Thema: der Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten und den Spätaussiedlern. Damit offenbart das Wahlprogramm der Union zwar noch nicht eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" à la Höcke, aber ein Rollback in die 1950er-Jahre, als sich die Deutschen als die eigentlichen Opfer des Krieges sahen. Mit einer aufgeklärten Geschichtskultur, für die nicht zuletzt auch die CDU-Politikerin und langjährige Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Monika Grütters, stand, hat das nicht mehr viel zu tun.

Die AfD drückt den anderen Parteien, insbesondere der Union und der FDP, zunehmend ihre Themen und ihre Positionen auf. Auch ihre Desinformation wirkt. "Recht und Ordnung wieder durchsetzen", lautet ein Wahlslogan der CDU, und wie die SPD beschwört sie auf Plakaten die angeblich bedrohte "Sicherheit". Dabei ist Deutschland derzeit so sicher wie noch nie, die Zahl von Mord- und anderen Gewaltdelikten ist seit Jahrzehnten rückläufig, auch wenn die Bluttaten von Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und nun München ein anderes Bild vermitteln. Von realen Problemen wie der Sicherung der Renten, den teils desaströsen Zuständen im Gesundheitswesen, dem Sanierungsstau in der Infrastruktur und den Herausforderungen der Digitalisierung, auch im Bildungsbereich, ist hingegen kaum die Rede – von der drohenden Klimakatastrophe ganz zu schweigen.

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Schuld an dieser Entwicklung ist nicht nur die AfD, sondern es sind auch jene Politikerinnen und Politiker, die glauben, den Rechtsextremen das Wasser abgraben zu können, indem sie ihre Themen und Parolen übernehmen. Dabei sollte ihnen klar sein: Am Ende wählen die Menschen das Original. Verlierer sind nicht nur die Menschlichkeit und die Demokratie, sondern auch die konservativen Parteien, die nach rechts rücken und dann implodieren. Dafür braucht man gar nicht in die Geschichte zu blicken, etwa auf das Deutschland der frühen 1930er-Jahre. Es reicht ein aktueller Blick in unsere Nachbarländer, nach Frankreich, Italien oder Ungarn etwa und demnächst vermutlich auch nach Österreich.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten spiegeln die Meinung der Autorinnen und Autoren wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

Verwendete Quellen
  • Meinungsbeitrag von Jens-Christian Wagner
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