Putin verkündet Waffenruhe Osterwunder – oder blankes Kalkül?

Bis Montagabend soll die russische Armee in der Ukraine die Waffen schweigen lassen. Was steckt hinter der überraschenden Ankündigung des Kremls?
Es wirkt zunächst wie ein kleines Osterwunder und kommt für viele Beobachter überraschend: Bis Montagnacht nach mitteleuropäischer Zeit soll die russische Armee ihre Feindseligkeiten entlang der gesamten Front in der Ukraine einstellen. So hat es Kremlchef Putin am Samstag verkündet. Doch selbst wenn die einseitig ausgerufene Waffenruhe über die Feiertage Bestand haben sollte, stellt sich die Frage: Was bezweckt Putin mit diesem Schritt gerade jetzt im Ukraine-Krieg?
Ukrainekrieg tobt trotz Friedensgesprächen weiter
Von Waffenstillstand im Ukrainekrieg war in jüngster Zeit schließlich häufiger die Rede. Nach einem Telefonat mit US-Präsident Donald Trump am 18. März ließ Putin wissen, in den kommenden 30 Tagen auf Angriffe gegen ukrainische Energieinfrastruktureinrichtungen zu verzichten. Die Ankündigung verpuffte jedoch, die wechselseitigen Angriffe auf Kraftwerke, Raffinerien und Treibstofflager gingen unvermindert weiter.
Auch die kurz darauf bei den Friedensgesprächen unter US-Führung in Saudi-Arabien ausgehandelte Waffenruhe im Schwarzen Meer kam über Absichtserklärungen nicht hinaus. Schon kurz nach den Gesprächen stellte der Kreml Forderungen, die weder für die Ukraine noch für die Europäer erfüllbar waren, wie beispielsweise die Rückkehr russischer Banken in das Swift-System zum internationalen Geldtransfer.
Was bezweckt Putin mit seiner Waffenruhe?
Erst am Freitag hatte Russland UN-Vertreter Wassilij Nebensja einen Waffenstillstand mit der Ukraine als unrealistisch abgetan. "Wir haben es mit einer begrenzten Waffenruhe zur Energieinfrastruktur versucht, die von der ukrainischen Seite nicht eingehalten wurde", erklärte Nebensja und verschwieg dabei, dass auch Russland sich nicht an die Abmachungen gehalten hatte. "Unter diesen Umständen ist es schlicht unrealistisch, jetzt über einen Waffenstillstand zu sprechen."
Warum kommt es also gerade jetzt zu dem scheinbaren Sinneswechsel im Kreml?
Spekulieren lässt sich darüber, dass Putin bei den Friedensbemühungen der US-Regierung nicht als Blockierer dastehen will. Im Gegensatz zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hatte Putin kürzlich eine von Trump vorgeschlagene vollständige Waffenruhe ohne Vorbedingungen abgelehnt. Zwar zählt der US-Präsident keineswegs zu den größten Kritikern Putins und hatte Russland auch von den gegen große Teile der Welt verhängten US-Zöllen ausgenommen; doch in diesem Fall richtete Trump ungewöhnlich deutliche Worte an Putin.
Waffenruhe im Ukrainekrieg: Moskau winkt diplomatischer Erfolg
Am Donnerstag sagte Trump, er erwarte von Russland noch in dieser Woche eine Antwort auf die Verhandlungsangebote für ein schnelles Ende des Ukrainekriegs. Verärgert zeigte sich Trump auch über Putins provokativen Vorschlag, die Ukraine unter UN-Verwaltung zu stellen – und drohte mit neuen Sanktionen gegen russisches Öl, wenn es keine Bewegung Richtung Frieden gebe. Am Freitag drohten dann erst US-Außenminister Marco Rubio und später Trump, "sich vollständig aus den Friedensbemühungen zurückzuziehen".
Vor diesem Hintergrund wirkt die nun verkündete Osterwaffenruhe im Krieg gegen die Ukraine wie der Versuch des Kremls, die US-Regierung bei Laune zu halten – und sich die Möglichkeit von Zugeständnissen der USA offen zu halten. Berichten zufolge hat Trumps Russland-Gesandter Steve Witkoff dem Kreml in Aussicht gestellt, die seit 2014 russisch besetzte, ukrainische Halbinsel Krim als russisches Staatsgebiet anzuerkennen. Für Moskau wäre das ein großer diplomatischer Erfolg, den Putin womöglich nicht gefährden will.
Zudem geht der Kremlchef mit der einseitig verkündeten Waffenruhe keinerlei Risiko ein. Vor dem heimischen Publikum kann sich Putin damit als guter Christenmensch inszenieren, ohne dass er schwach wirkt oder sich dem Vorwurf aussetzt, er sei unter dem Druck des Westens eingeknickt. Schließlich zählt Ostern auch in der russisch-orthodoxen Kirche zu den wichtigsten Feiertagen im Jahr.
Zugleich hat sich Putin aber die Möglichkeit offengehalten, die Kampfhandlungen in der Ukraine jederzeit wieder aufzunehmen.
Ukraine regiert skeptisch auf Putins Waffenruhe an Ostern
Er erwarte, dass die Ukraine dem russischen Beispiel folgen und die Waffen schweigen lassen werde, so Putin am Samstag: "Gleichzeitig müssen unsere Truppen bereit sein, auf mögliche Verstöße gegen die Waffenruhe und auf Provokationen des Feindes zu reagieren". Damit ist klar, dass die russische Armee auch den kleinsten Vorwand nutzen kann, um doch das Feuer zu eröffnen – und die Schuld dafür der Ukraine zu geben.
Entsprechend skeptisch fielen in Kiew die ersten Reaktionen auf die Ankündigung Putins zur Oster-Waffenruhe im Ukrainekrieg aus. 45 Minuten vor Inkrafttreten der Feuerpause seien russische Kampfdrohnen am Himmel über der Ukraine gesichtet worden. Die Flugabwehr habe bereits das Feuer eröffnet. "Shahed-Drohnen an unserem Himmel entlarven Putins wahre Einstellung zu Ostern und zu Menschenleben", kritisierte Präsident Selenskyj. Ob die ukrainische Armee ihrerseits das Feuer einstellt, ließ er zunächst offen.
Putins als Friedensengel oder Ukraine als Sündenbock?
Putin dürfte seinen Vorstoß so oder so als Erfolg verbuchen. Wenn die Waffen für zweieinhalb Tage schweigen, kann er sich als Friedensengel präsentieren und die Gunst der US-Regierung sichern. Gleichzeitig bringt er die Regierung von Selenskyj in eine schwierige Lage. Denn sollte die Ukraine der Waffenruhe nicht zustimmen und das Töten weitergehen, kann er die Schuld für die Kämpfe einfach Kiew zuschieben.
Wie sich das anfühlt, hatte Selenskyj erst Ende Februar beim Eklat im Weißen Haus erfahren müssen.
- Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
- Eigene Recherche