Verteidigung Exportgenehmigungen für Rüstungsindustrie eingebrochen
Berlin (dpa) - Die Exportgenehmigungen für deutsche Rüstungsgüter sind im ersten Halbjahr drastisch zurückgegangen.
Die Bundesregierung bewilligte nach Angaben des Wirtschaftsministeriums zwischen Januar und Juni Ausfuhren im Wert von 2,571 Milliarden Euro, fast ein Drittel weniger als im Vorjahreszeitraum mit rund 3,5 Milliarden Euro. Der Einbruch dürfte mit der langen Hängepartie bei der Regierungsbildung zusammenhängen. Die Rüstungsindustrie hatte sich in der halbjährigen Übergangszeit zwischen der Bundestagswahl im September und der Vereidigung des neuen Kabinetts am 14. März über schleppende Bearbeitung von Anträgen beklagt.
Das ist auch an den Zahlen ablesbar: Im ersten Quartal wurden nur Rüstungsexporte im Wert von 880 Millionen Euro genehmigt. Seit Amtsantritt der neuen Regierung schnellen die Genehmigungen zwar wieder in die Höhe. Für zwei wichtige Kunden der deutschen Rüstungsindustrie gilt das aber nicht: Die Ausfuhren in die Türkei und nach Saudi-Arabien wurden fast ganz gestoppt.
Die Zahlen gehen aus Antworten des Wirtschaftsministeriums auf parlamentarische Anfragen hervor, die der Deutschen Presse-Agentur und dem "Handelsblatt" vorliegen. Hauptempfängerland war danach wie im ersten Halbjahr 2017 Algerien mit Ausfuhren im Wert von rund 643 Millionen Euro. Von den Exporten in die 15 wichtigsten Empfängerstaaten gingen 52 Prozent in Länder außerhalb der Nato. 2,137 Milliarden Euro der Ausfuhren entfielen auf "sonstige Rüstungsgüter", rund 0,435 Milliarden Euro auf Kriegswaffen. Kleinwaffen und Kleinwaffenteile wurden im Wert von 15 Millionen Euro exportiert.
Fast leer gehen inzwischen die Türkei und Saudi-Arabien aus. Für den Nato-Partner Türkei erteilte die neue Regierung seit dem 14. März nur noch fünf Genehmigungen mit einem Wert von zusammen 418 279 Euro. Zum Vergleich: In dem deutlich kürzeren Zeitraum zwischen dem 1. Januar und 13. März 2018 waren noch 34 Exportgenehmigungen für die Türkei im Wert von 9,7 Millionen Euro erteilt worden. Im gesamten vergangenen Jahr waren es 138 im Wert von 34,2 Millionen Euro gewesen.
Von den Exportanträgen für Saudi-Arabien bewilligte die neue Regierung nur noch einen über 28 563 Euro. In den ersten zehn Wochen des Jahres waren es noch vier Rüstungsgeschäfte über 161,8 Millionen Euro gewesen.
Beide Länder sind strategisch wichtige Partner Deutschlands - aber auch problematische. Die Türkei gehört zwar wie Deutschland der Nato an. Seit dem Einmarsch türkischer Truppen in die nordsyrische Region Afrin zur Bekämpfung der Kurdenmiliz YPG im Januar hat die ohnehin schon massive Kritik an Rüstungsexporten in das von Präsident Recep Tayyip Erdogan mit harter Hand regierte Land aber noch einmal zugenommen. Bei der Offensive kamen auch deutsche "Leopard"-Panzer zum Einsatz.
Inzwischen sind die deutsch-türkischen Beziehungen nach einer tiefen Krise seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 allerdings wieder auf dem Weg der Entspannung. Der Ausnahmezustand in der Türkei wurde in der vergangenen Woche aufgehoben. Die Bundesregierung hat die Verschärfung der Reisehinweise für das beliebte Urlaubsziel wieder zurückgedreht und ein wichtiges wirtschaftliches Druckmittel, die Deckelung der Bürgschaften für deutsche Exporte, ganz aufgehoben. Auf die Rüstungsexporte hat sich der Annäherungskurs aber offensichtlich noch nicht ausgewirkt.
Noch heikler sind die Exportbeschränkungen für Saudi-Arabien. Im vergangenen Herbst hat die militärisch und wirtschaftlich stärkste Regionalmacht im Nahen Osten ihren Botschafter aus Berlin abgezogen, weil der damalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel ihr "Abenteurertum" vorgeworfen hatte. Das Königshaus in Riad ist aber auch über die kritische Haltung der Bundesregierung zur Intervention Saudi-Arabiens im Jemen verärgert. Riad führt eine Allianz von acht Ländern an, die im ärmsten Golfstaat Jemen gegen die schiitischen Huthi-Rebellen kämpft.
Union und SPD hatten sich in ihren Koalitionsverhandlungen auf einen Rüstungsexportstopp für alle Länder verständigt, die "unmittelbar" an diesem Krieg beteiligt sind. Benannt wurden diese Länder zwar nicht. Zu Beginn ihrer Amtszeit hat die neue Regierung von Kanzlerin Angela Merkel aber - abgesehen von zwei Ausnahmen - die saudische Kriegsallianz gar nicht mehr beliefert.
Für die acht beteiligten Staaten wurde in den ersten 15 Wochen nach der Vereidigung der neuen Regierung neben dem einen Export nach Saudi-Arabien nur noch ein weiterer nach Jordanien für 150 000 Euro genehmigt. Für die sechs anderen Länder Ägypten, Bahrain, Kuwait Marokko, Vereinigte Arabische Emirate und Senegal gab es gar keine Export-Bewilligungen mehr. Im vergangenen Jahr hatte der Gesamtwert der Ausfuhrerlaubnisse für die acht Länder noch rund 1,3 Milliarden Euro betragen.
Kurz vor der Vereidigung der neuen Regierung genehmigte das alte Kabinett noch den Export von acht Patrouillenbooten für einen dreistelligen Millionenbetrag nach Saudi-Arabien. Der Linken-Außenpolitiker Stefan Liebich nennt das "skandalös", da die Regierung zu diesem Zeitpunkt nur noch geschäftsführend im Amt war. Für die Türkei forderte er einen kompletten Exportstopp: "Spätestens jetzt, wo Erdogan unumschränkt herrscht, muss die Bundesregierung Schluss machen mit den Rüstungsverkäufen an die Türkei."
Auch der Grünen-Außenexperte Omid Nouripour zeigte sich enttäuscht, dass die Bundesregierung nicht früher gehandelt hat. "Afrin ist von der türkischen Armee erobert, Jemen von Saudi-Arabien längst in die Steinzeit gebombt. Da kommt der Rüstungsexportestopp der großen Koalition extrem spät - für die zahlreichen zivilen Opfer zu spät".
Die Grünen-Rüstungsexpertin Katja Keul äußerte sich skeptisch, dass es eine Trendwende gibt. "Es ist albern, sich jetzt damit zu brüsten, die Ausfuhrgenehmigungen an Saudi-Arabien zurückgefahren zu haben", sagte sie der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Dienstag). "Der Grundsatz, dass Rüstungsgüter grundsätzlich nicht in Drittstaaten außerhalb von Nato und EU exportiert werden sollen, muss wieder die Regel werden", forderte Keul.