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Verschwörungstheorien: Der Krieg um die Wahrheit von 9/11


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Terrorismus
Der Krieg um die Wahrheit von 9/11

Von Lukas Martin

Aktualisiert am 30.09.2011Lesedauer: 6 Min.
Ein Feuerwehrmann vor der Ruine des World Trade CentersVergrößern des Bildes
Ein Feuerwehrmann vor der Ruine des World Trade Centers (Quelle: Reuters)
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Sie glauben, dass arabische Terroristen die Anschläge vom 11. September 2001 verübt haben, indem sie ohne das Wissen der CIA Flugzeuge auf New York und Washington abstürzen ließen? Diese Version halten hunderte Millionen von Menschen weltweit für eine Lüge – und ihre Zahl steigt. Ist doch etwas dran an den Verschwörungstheorien? Und was macht sie von Bagdad über Boston bis Berlin so ungeheuer erfolgreich?

Die fünf populärsten Veschwörungstheorien

Die aufwändigste Umfrage zum Thema Verschwörungstheorien hat WorldPublicOpinion.org im Jahr 2008 durchgeführt und 16.063 Personen aus 17 Staaten befragt. Lediglich in neun Ländern glaubte die Mehrheit, dass Al-Kaida die Anschläge begangen hat, in Deutschland 64 Prozent. Fast ein Viertel der Deutschen verdächtigt die USA, den Terror selbst verübt zu haben, zusammen mit einem Drittel der Türken und 27 Prozent der Mexikaner. 43 Prozent der Ägypter glauben sogar, dass es die Israelis waren. Die Zahlen schwanken, doch selbst wenn man in Deutschland den unteren Wert von 15 Prozent ansetzt, glauben immer noch 12 Millionen Menschen an eine Verschwörung.

Aber auch der Normalbürger, der von den Al-Kaida-Anschlägen überzeugt ist, glaubt, dass der 11. September noch Geheimnisse birgt: In den USA ist inzwischen eine Mehrheit überzeugt, dass der Geheimdienst CIA zuvor von den Anschlägen gewusst hat. Und im Dezember 2010 waren 90 Prozent der Deutschen der Auffassung, dass die US-Regierung nicht die ganze Wahrheit über den 11. September preisgibt. Obwohl das Ereignis in immer weitere Ferne rückt, glauben immer mehr Menschen, getäuscht zu werden: Der Zugriff auf populäre Internet-Verschwörungsseiten zu 9/11 hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdreifacht. "Die Theorien sind in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen, es sind nicht nur die Außenseiter, die so etwas glauben“, sagt John Seidler, Medienwissenschaftler an der Universität Rostock, der über Verschwörungstheorien forscht.

Was lässt die Menschen nach zehntausenden von Seiten an Untersuchungsberichten, nach tausenden von Artikeln unabhängiger investigativer Journalisten immer noch an der "offiziellen Version“ zweifeln?

"Es gibt Theorien, die plausibel klingen"

"Die Leute möchten mit Verschwörungstheorien erklären, warum guten Menschen böse Dinge passieren“, sagt Professor Dieter Groh, Historiker an der Universität Konstanz und eine der profiliertesten Stimmen im Streit um die Wahrheit vom 11. September 2001. "Natürlich gibt es Verschwörungen, aber Verschwörungstheorien sind ein Netz, das über die Welt geworfen wird, um Leuten das zu erklären, was sie nicht verstehen – denn diese Theorien sind einfacher als die Realität. Das ist die Voraussetzung für ihren Erfolg.“

Andreas Anton sieht die Sache differenzierter: "Es gibt durchaus Theorien, die plausibel klingen“, sagt der Soziologe, "man kann nicht immer auf Anhieb sagen, dass das Unsinn ist.“ Er hat das Phänomen wissenschaftlich untersucht und ein Buch über Verschwörungstheorien geschrieben, mit dem Titel "Unwirkliche Wirklichkeiten“.

Experten sprechen von Sprengstoffspuren im World Trade Center

Die komplexesten Theorien zum 11. September können auch dem skeptischen Betrachter einen Schauer über den Rücken jagen. Sie werden von Akademikern gestützt, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigt haben und oft absolute Fachleute auf ihrem Gebiet sind. Auf der Internetseite "Architects and Engineers for 9/11 Truth“ zeigen über 1500 Experten aus der Baubranche auf, was sie für Lücken in der offiziellen Darstellung halten – Punkt für Punkt. Ein Ereignis bildet den Kern ihrer Argumentation: Der Einsturz von World Trade Center 7, dem kleineren Nebengebäude der Türme, weist alle Merkmale einer kontrollierten Sprengung auf, wie sie sie selbst viele Male durchgeführt haben. Diesen Verdacht belegen sie mit Dutzenden von Zeugenaussagen, die Explosionen gehört haben wollen. In einem Bericht des Funkverkehrs scheint der Leiter des Feuerwehreinsatzes tatsächlich den Befehl zu geben, das Hochhaus in die Luft zu jagen. Und Experten sind sich sicher, im Staub der Ruine Spuren von Sprengstoff gefunden zu haben. Darüber hinaus meldet eine BBC-Reporterin den Zusammenbruch des Gebäudes – etliche Minuten, bevor er tatsächlich passiert. Alles klingt vernünftig und schlüssig, jeder kann sich die Aufnahmen selbst ansehen und anhören.

Die Antwort vieler Medien auf diese ausgefeilten Verschwörungstheorien ist überraschend plump, beklagt Anton: "Es ist irritierend, wie leichtfertig diese Theorien abgetan werden. Journalisten überprüfen die Argumente nur selten wirklich, tun sie ab und erheben sich über sie. Das beruhigt – denn wenn die Theorien sich als wahr herausstellen würden, würde einiges ins Wanken geraten“. Es gebe zwei beliebte Methoden, das zu tun: Sich die absurdesten Beispiele heraussuchen, die sehr leicht zu widerlegen sind und sie dann stellvertretend für alle Verschwörungstheorien lächerlich zu machen. Oder besonders promintente Verschwörungstheoretiker herauszupicken – in Deutschland sind Mathias Bröckers und Andreas von Bülow mit ihren Publikationen besonders erfolgreich - und sie durch Schwächen in den Lebensläufen zu diskreditieren und als leicht verrückt hinzustellen. Dabei seien die oft äußerst intelligent und nicht paranoid, so kehrt sich diese Methode um: "Je mehr man Andersdenkende als paranoid bezeichnet, desto mehr Menschen werden an die Theorien glauben.“ Auch Seidler stimmt in die Medienkritik ein: "Wir haben in den 90er Jahren einen sehr starken Verlust von Vertrauen in die Medien gemessen, vor allem wie sie mit dem ersten Golfkrieg umgegangen sind. 2001 haben dann viele Menschen den Massenmedien einfach nicht mehr getraut – eine der Voraussetzungen für Verschwörungstheorien. Dann kam noch das Internet dazu, wo die Theorien entstehen konnten und so war ein einzigartiges Klima gegeben.“

Auch Deutschland hat seine Verschwörungstheorien

Dennoch ist für die meisten, die sich mit dem Thema beschäftigen, sehr schnell klar: Die Verbreiter von Verschwörungstheorien tendieren dazu, Zitate und Zeugenaussagen aus dem Zusammenhang zu reißen. Man bekommt den Eindruck, sie wollten auch wirklich jede normale Aussage missverstehen. "Manche der Verschwörungstheoretiker sind resistent in ihrer Meinung. Wenn eines ihrer Argumente widerlegt ist, gehen sie darauf überhaupt nicht ein, sondern verbreiten es weiter“, bestätigt Anton.

Und warum? "Wenn ein Ereignis nicht so ganz in sein eigenes Weltbild passt, dann will man an eine Verschwörung glauben“, begründet das Anton. Deshalb misstrauen so viele Menschen in arabischen Ländern, wo der Anti-Amerikanismus stark verbreitet ist, der von der westlichen Presse verbreiteten Version. "Die Amerikaner kommen plötzlich in eine Opferrolle, da sagen sich viele, da kann doch etwas nicht stimmen.“ Genauso stellten die Kritiker der Regierung Bush sehr früh eine große Gruppe der Zweifler - "gewisse Theorien docken eben genau an bestimmte Weltbilder an. Und einige werden dann besonders populär.“ Die Menschen finden sich auf den einschlägigen Seiten im Internet und bestätigen sich gegenseitig: "Das Internet ist der ideale Nährboden für Verschwörungstheorien. Die Anziehungskraft einer Theorie erhöht sich mit der Zahl der Menschen, die daran glauben.“

Alle Anhänger der "alternativen" Erklärungen hoffen darauf, schließlich Recht zu behalten. Dafür gibt es durchaus Beispiele: Die Regierung Nixon versuchte die Watergate-Affäre als wirre Verschwörungstheorie abzutun, bis sie sich als wahr herausstellte. "In Deutschland glaubten in der Nazizeit die meisten Menschen an die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung. Auch an die Rechtmäßigkeit der Hexenverbrennung im Mittelalter glaubten die Menschen.“

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Ringen um die Deutung

Der Kampf um die Wahrheit vom 11. September ist aber nicht nur ein Kampf der Argumente, sondern auch ein Kampf der Emotionen: "Die Bilder von den einstürzenden Twin Towers wecken so starke Gefühle von Angst und Bedrohung, dass die offizielle Erklärung den aufgewühlten Menschen nicht mehr ausreicht und sie denken: 'das ist so schlimm, da muss noch mehr dahinter stecken'.“ Die relativ simple Erklärung kann die Gefühle nicht mehr auffangen. "Die umfassende Erklärung, dass es die Amerikaner selbst waren und das eingeflochten ist in den Versuch, eine neue Weltordnung zu schaffen, befriedigt viel mehr, als die triviale Erklärung mit den 20 Attentätern aus der arabischen Welt.“

Das ist für Experten auch wiederum ein Grund, warum viele Amerikaner die offizielle Fassung bezweifeln: 19 Araber mit Teppichmessern haben die mächtigen Vereinigten Staaten verwundet und die große CIA aufs Kreuz gelegt – das passt nicht in das Weltbild vieler Amerikaner.

Nur eines ist sicher: Verschwörungstheorien liegen im Trend und Dieter Groh hat auch einen Grund dafür ausgemacht: Die Unsicherheit der Menschen. "Es gibt Konjunkturen von Verschwörungstheorien. Sie kommen dann, wenn Menschen besonders viel Böses passiert. Verschwörungstheorien sind Krücken, damit mein Weltbild nicht fällt. Im Moment haben wir wieder eine Konjunktur, die durch das Internet noch verstärkt worden ist“, hat Groh herausgefunden. Welches Weltbild bricht dann gerade zusammen? "Vor allem die Illusion der materiellen Sicherheit, das ist ganz entscheidend. Verschwörungstheorien waren schon immer stark an ökonomische Krisen gebunden. Krisen sind Wegbereiter für Verschwörungstheorien.“

Das Schöne ist: Auch die offizielle Version ist die Geschichte der Verschwörung einiger Al-Kaida-Mitglieder um Osama bin Laden – und damit wissenschaftlich gesehen eine lupenreine Verschwörungstheorie.

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