Proteste nach İmamoğlu-Verhaftung "Gerechtigkeit kann nicht verboten werden"
In der Türkei gehen die Proteste weiter. Nach der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters gingen nun Hunderttausende auf die Straße.
Hunderttausende Menschen haben in Istanbul gegen die Regierung und die umstrittene Inhaftierung des abgesetzten Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu protestiert. Aufgerufen zu der Großkundgebung hatte die sozialdemokratische CHP-Partei des Oppositionspolitikers. Die Demonstranten warfen dem autoritären Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vor, İmamoğlu mithilfe der Justiz politisch kaltstellen zu wollen. CHP-Chef Özgür Özel sagte in seiner Rede, İmamoğlu sei in Haft, weil er sich dem "Diktator" widersetzt habe. Der Politiker sprach von mehr als zwei Millionen Teilnehmern.
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Auch İmamoğlu selbst attackierte Erdoğan. In einem Brief, der auf der Kundgebung im Stadtteil Maltepe auf der asiatischen Seite von Istanbul verlesen wurde, schrieb er, jeder Schritt Erdoğans zeige, dass er "vor Wahlen davonläuft und Angst vor seinem Gegner hat".
"Die Jugendlichen stehen in der vordersten Reihe, weil sie am meisten Angst um ihre Zukunft haben", hieß es weiter in dem Brief. "Es geht hier nicht um Ekrem İmamoğlu, sondern um unser Land, um Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit (...) Recht und Gesetz".
Die Behörden untersagten die Demonstrationen und gingen mit Tränengas, Pfefferspray und Gummigeschossen gegen die Menge vor. Es kam zu Straßenkämpfen zwischen Demonstrierenden und der Polizei.
İmamoğlu gilt als der wichtigste Herausforderer Erdoğans bei der für 2028 geplanten Präsidentschaftswahl. Er wurde am 19. März in Zusammenhang mit Korruptions- und Terrorvorwürfen festgenommen, später wegen ersterem in Untersuchungshaft genommen und als Bürgermeister abgesetzt.
"Gerechtigkeit kann nicht verboten werden"
Der 53-Jährige wird im Hochsicherheitsgefängnis Marmara in Istanbul festgehalten. Trotz seiner Verhaftung wurde er vergangene Woche als Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Volkspartei (CHP) nominiert.
An der friedlichen Demonstration am Vorabend des muslimischen Zuckerfests nahm auch İmamoğlus Familie teil. Seine Frau Dilek sagte der Menge: "Die Gerechtigkeit kann nicht verboten werden, das Gewissen kann nicht eingesperrt werden. Das ist erst der Anfang. Wir werden weiter kämpfen!"
Seine Partei fordert nun vorgezogene Neuwahlen. Diese können vom Parlament mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit beschlossen werden. In dem Fall könnte auch Erdoğan erneut kandidieren. Bei regulären Wahlen wäre das dagegen nicht möglich, weil die Verfassung in dem Fall maximal zwei Amtszeiten vorsieht. Dass Erdoğans Partei dem aktuell zustimmt, gilt angesichts der Stimmung im Land aber als unwahrscheinlich.
Laut türkischem Innenministerium wurden seit Beginn der Proteste fast 1.900 Menschen festgenommen, unter ihnen mehrere Journalisten. 260 Menschen wurden verhaftet. Der Polizei werden vonseiten der Opposition Foltervorwürfe gemacht. In einer ersten Anklageschrift fordert die Istanbuler Staatsanwaltschaft bis zu drei Jahre Haft für 74 der Demonstranten wegen der Teilnahme an verbotenen Versammlungen, wie der Staatssender TRT berichtet.
Erdogan behauptet, die Inhaftierung von İmamoğlu und mehreren seiner Mitarbeiter sei Teil einer unabhängigen Untersuchung und wirft der CHP vor, ein landesweites Korruptionsnetzwerk vertuschen zu wollen. Er drohte damit, weitere Korruption innerhalb der CHP aufzudecken, und kündigte ein hartes Vorgehen gegen Demonstranten an.
Innenminister Ali Yerlikaya schrieb auf der Plattform X, es seien Verbindungen zu zwölf verschiedenen Terrororganisationen bei den Festgenommenen festgestellt worden. Die meisten der Festgenommenen sind Anwälten zufolge Studenten.
- Nachrichtenagentur dpa