Angeblich als Druckmittel Putins Strohmann? US-Investor greift nach Nord Stream 2
Am 1. Januar geht die Betreiberfirma der Nord-Stream-2-Pipeline in Insolvenz. Ein US-Investor will ein Angebot machen – doch welches Interesse verfolgt er?
Ein amerikanischer Geschäftsmann hat Interesse an der Übernahme der Nord-Stream-2-Gaspipeline gezeigt. Die derzeitige russische Betreiberfirma in der Schweiz ist pleite, am 1. Januar 2025 soll das Insolvenzverfahren beginnen. Der US-Unternehmer Stephen Lynch will dem zuvorkommen und hat nach einem Bericht der "Washington Post" an der Gasleitung Interesse gezeigt. Er versuchte bereits im Februar, eine Genehmigung der amerikanischen Behörden zu bekommen, um in Verhandlungen einzutreten. Die bisherige Betreiberfirma, Nord Stream 2 AG, eine Tochter der russischen Gazprom, ist mit Sanktionen belegt. Amerikanische Staatsbürger dürfen ohne Ausnahmegenehmigung keine Geschäfte mit ihr machen.
In einem Dokument, mit dem Lynch das amerikanische Büro für die Kontrolle ausländischer Vermögenswerte um eine Genehmigung bittet, spricht er von einer "Ent-Russifizierung", die er anstrebe. Unklar ist, wie der Kauf (und die Reparatur der beschädigten Leitungen) finanziert werden soll.
Nord Stream 2 war ein zunächst gemeinsames Projekt der russischen Gazprom und mehreren europäischen Firmen, darunter die deutsche Wintershall. Es sollte, wie auch die weitgehend parallel verlaufende Nord-Stream-1-Pipeline, günstiges russisches Gas nach Europa bringen. Mit Ausbruch des Ukrainekriegs versagte die deutsche Bundesregierung die Zertifizierung der Anlage, die zu dem Zeitpunkt komplett Gazprom gehörte, und damit auch ihre Inbetriebnahme. Das Projekt war seit Planungsbeginn umstritten, weil man eine zu große Abhängigkeit von Russland befürchtete. Kritik kam unter anderem von der Europäischen Kommission. Am 26. September 2022 war es zu Explosionen an beiden Nord-Stream-Leitungen in der Ostsee gekommen, dabei wurden sie schwer beschädigt.
Lynch will die Leitung unter amerikanische Kontrolle stellen
Dass jetzt ausgerechnet ein Amerikaner die Pipeline wieder zum Leben erwecken will, wirft Fragen auf. Er wolle prüfen, ob die Gasleitung, die zwischen Russland und Deutschland gebaut wurde, nicht unter amerikanische Kontrolle gestellt werden könne, hieß es in dem eingereichten Dokument.
Doch daran gibt es Zweifel. Denn Lynch ist nicht nur ein amerikanischer Geschäftsmann. Nach Recherchen der "Washington Post" arbeitete er eng mit Rosneft zusammen, einer der größten russischen Ölfirmen. Er soll im Jahr 2007 versucht haben, ausländische Vermögenswerte zu erwerben, die dem inzwischen aufgelösten Ölkonzern Yukos gehörten. Dessen Eigentümer Michail Chodorkowski wurde zehn Jahre lang in Russland inhaftiert, bevor er außerhalb Russlands im Exil gehen durfte.
Ein niederländisches Gericht befand später, dass der erzwungene Verkauf der Yukos-Werte eine Verletzung rechtlicher Grundsätze gewesen sei und deshalb Lynch keine Ansprüche geltend machen könne. Der Investor versucht offenbar mit Monte Valle, derselben Firma, die er beim Yukos-Deal einsetzte, jetzt Nord Stream 2 zu kaufen. Sein Argument, dies liege im amerikanischen Interesse, scheint bei US-Behörden auf wenig Begeisterung zu stoßen. "Es gibt nichts an einer Wiederbelebung von Nord Stream 2, was im Moment im Interesse der USA liegt", sagte ein Regierungsmitarbeiter der "Post", der aber namentlich nicht genannt werden wollte.
Fraglich ist, ob Lynch wirklich amerikanische Interessen verfolgt oder vielmehr Russland helfen will, sein Gas wieder nach Europa zu liefern – und daran dann als Leitungseigentümer kräftig verdienen will.
Versuch, russisches Gas wieder nach Europa zu bekommen
Nach Angaben des Investors könnte die US-Regierung nach dem Ende des Ukrainekriegs die Pipeline nutzen, um Deutschland und andere europäische Staaten mit Gas zu versorgen – wohl aus Russland. "Die Kontrolle der Pipeline durch die USA gebe dem Westen ein entscheidendes Druckmittel bei Verhandlungen mit der künftigen neuen russischen Führung und könnte in der Tat entscheidend zur Stabilisierung der Region beitragen", heißt es in dem Schreiben von Lynchs Anwälten an die US-Behörde. Er wolle der Ukraine einen Minderheitsanteil an dem Unternehmen geben.
Für Lynch ist das nicht das erste Projekt, um russische Unternehmen unter seine Kontrolle zu bringen. 2022 gelang es ihm nach eigenen Angaben, Investoren dabei zu helfen, die Schweizer Niederlassung der russischen Sberbank zu kaufen – mit dem Segen der US-Behörden. Den Kauf legt er jetzt als Erfolg dafür vor, was er eine "Ent-Russifizierung" nennt. Die Bank wurde nach Aufhebung der Sanktionen in TradeXBank umbenannt, sie finanziert vor allem den Handel mit Öl und Rohstoffen.
Kontakt mit ehemaligem deutschen Botschafter?
Lynch wirbt wohl auch in Deutschland für den Kauf. So soll er laut "Post"-Bericht mit der Gruppe "Berlin Global Advisors" (BGA) zusammenarbeiten. Einer der Partner ist Rüdiger von Fritsch, ehemaliger deutscher Botschafter in Moskau. Das Unternehmen dementiert eine solche Verbindung allerdings bei t-online: "Geschäftsführung und Partner von BGA wie Rüdiger von Fritsch haben zu keinem Zeitpunkt mit Monte Valle Partners bzw. Herrn Stephen Lynch zu Nord Stream 2 ein Mandatsverhältnis unterhalten oder zusammengearbeitet."
Der Christdemokrat Roderich Kiesewetter, der im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages sitzt, sagte der "Washington Post" unterdessen, er glaube, dass es im deutschen Establishment eine wachsende Zahl von Befürwortern einer Wiederherstellung der Beziehungen zu Russland gebe.
Er verwies auf Berichte über Hinterzimmergespräche mit Moskau unter der Leitung von Matthias Platzeck, einst brandenburgischer Ministerpräsident, und Ronald Pofalla, einem CDU-Politiker, der Stabschef der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel war. "Deutschland ist wieder auf dem Weg zu engeren Beziehungen zu Russland", sagte Kieswetter der "Washington Post". Im Oktober hatte die "Zeit" über Reisen von Platzeck und Pofalla nach Baku in Aserbaidschan berichtet. Dort sollte der Petersburger Dialog wieder aufleben – der von der Bundesregierung längst eingestellt wurde.
Lynchs Initiative könnte also nicht nur von geschäftlichen Interessen geleitet sein. Er könnte versuchen, Russland als Gaslieferant wieder ins Gespräch zu bringen und die amerikanische Kontrolle der Leitung als notwendiges Übel für Moskau in die Verhandlungen einzubringen.
- washingtonpost.com: "American businessman makes play for Russian natural gas pipelines" (englisch)
- zeit.de: "Die Baku-Connection"
- swissinfo.ch: "TradeXBank to resume full operations after Sberbank Switzerland taken off sanctions list"