Was steckt dahinter? US-Unternehmer will die Nord-Stream-2-Pipeline kaufen
Am 1. Januar geht die Betreiberfirma der Nord Stream-2-Pipeline in Insolvenz. Ein US-Investor will ein Angebot machen – doch welches Interesse verfolgt er?
Ein amerikanischer Geschäftsmann hat Interesse an der Übernahme der Nord-Stream-2-Gaspipeline gezeigt. Die derzeitige russische Betreiberfirma in der Schweiz ist pleite, am 1. Januar soll das Insolvenzverfahren beginnen. Der US-Unternehmer Stephen Lynch will dem zuvorkommen und hat nach einem Bericht der "Washington Post" an der Gasleitung Interesse gezeigt. Er versuchte bereits im Februar, eine Genehmigung der amerikanischen Behörden zu bekommen, um in Verhandlungen einzutreten. Die bisherige Betreiberfirma, Nord Stream 2 AG, ist mit Sanktionen belegt. Amerikanische Staatsbürger dürfen ohne Ausnahmegenehmigung keine Geschäfte mit ihr machen.
In einem Dokument, mit dem Lynch das amerikanische Büro für die Kontrolle ausländischer Vermögenswerte um eine Genehmigung bittet, spricht er von einer Ent-Russifizierung, die er anstrebe. Unklar ist, wie der Kauf (und die Reparatur der beschädigten Leitungen) finanziert werden soll.
Nord Stream 2 war ein zunächst gemeinsames Projekt der russischen Gazprom und mehreren europäischen Firmen, darunter die deutsche Wintershall. Es sollte, wie auch die weitgehend parallel verlaufende Nord-Stream-1-Pipeline, günstiges russisches Gas nach Europa bringen. Mit Ausbruch des Ukrainekriegs versagte die deutsche Bundesregierung die Zertifizierung der Anlage, die zu dem Zeitpunkt komplett Gazprom gehörte, und damit auch ihre Inbetriebnahme. Das Projekt war seit Planungsbeginn umstritten, weil man eine Abhängigkeit von Russland befürchtete. Kritik kam unter anderem von der Europäischen Kommission. Am 26. September 2022 war es zu Explosionen an beiden Nord Stream-Leitungen in der Ostsee gekommen, dabei wurden sie schwer beschädigt.
Lynch will die Leitung unter amerikanischer Kontrolle stellen
Dass jetzt ausgerechnet ein Amerikaner die Pipeline wieder zum Leben erwecken will, wirft Fragen auf. Er wolle prüfen, ob die Gasleitung, die zwischen Russland und Deutschland gebaut wurde, nicht unter amerikanischer Kontrolle gestellt werden könne, hieß es in dem eingereichten Dokument.
Doch daran gibt es Zweifel. Denn Lynch ist nicht nur ein amerikanischer Geschäftsmann. Nach Recherchen der "Washington Post" arbeitete er eng mit Rosneft zusammen, einer der größten russischen Ölfirmen. Er soll im Jahr 2007 versucht haben, ausländische Vermögenswerte zu erwerben, die dem inzwischen aufgelösten Ölkonzern Yukos gehörten. Dessen Eigentümer Michail Chodorkowski wurde zehn Jahre lang in Russland inhaftiert, bevor er außerhalb Russlands im Exil gehen durfte.
Ein niederländisches Gericht befand später, dass der erzwungene Verkauf der Yukos-Werte eine Verletzung rechtlicher Grundsätze gewesen sei und deshalb Lynch keine Ansprüche geltend machen könne. Der Investor versucht offenbar mit Monte Valle, derselben Firma, die er beim Yukos-Deal einsetzte, jetzt Nord Stream 2 zu kaufen. Sein Argument, dies liege im amerikanischen Interesse, scheint bei US-Behörden auf wenig Begeisterung zu stoßen. "Es gibt nichts an einer Wiederbelebung von Nord Stream 2, was im Moment im Interesse der USA liegt", sagte ein Regierungsmitarbeiter der "Post", der aber namentlich nicht genannt werden wollte.
Fraglich ist, ob Lynch wirklich amerikanische Interessen verfolgt oder vielmehr Russland helfen will, sein Gas wieder nach Europa zu liefern – und daran dann als Leitungseigentümer kräftig verdienen will.
Versuch, russisches Gas wieder nach Europa zu bekommen
Nach Angaben des Investors könnte die US-Regierung nach dem Ende des Ukrainekriegs die Pipeline nutzen, um Deutschland und andere europäische Staaten mit Gas zu versorgen – wohl aus Russland. "Die Kontrolle der Pipeline durch die USA gebe dem Westen ein entscheidendes Druckmittel bei Verhandlungen mit der künftigen neuen russischen Führung und in der Tat entscheidend zur Stabilisierung der Region beitragen" heißt es in dem Schreiben von Lynchs Anwälten an die US-Behörde. Er wolle außerdem der Ukraine einen Minderheitsanteil an dem Projekt geben.
Für Lynch ist das nicht das erste Projekt, um russische Unternehmen unter seine Kontrolle zu bringen. 2022 gelang es ihm, die Schweizer Niederlassung der russischen Sbank zu kaufen – mit dem Segen der US-Behörden. Den Kauf legt er jetzt als Erfolg dafür vor, was er eine Ent-Russifizierung nennt.
Lynch wirbt wohl auch in Deutschland für den Kauf. So soll er laut Post-Bericht mit der Gruppe "Berlin Global Advisors" zusammenarbeiten. Einer der Partner ist Rüdiger von Fritsch, ehemalige deutscher Botschafter in Moskau. Der Christdemokrat Roderich Kiesewetter, der im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages sitzt, sagte der amerikanischen Zeitung, er glaube, dass es im deutschen Establishment eine wachsende Zahl von Befürwortern einer Wiederherstellung der Beziehungen zu Russland gebe.
Er verwies auf Berichte über Hinterzimmergespräche mit Moskau unter der Leitung von Matthias Platzeck, einst brandenburgischer Ministerpräsident, und Ronald Pofalla, einem CDU-Politiker, der Stabschef der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel war. "Deutschland ist wieder auf dem Weg zu engeren Beziehungen zu Russland", sagte Kieswetter der "Washington Post". Im Oktober hatte auch die "Zeit" über Reisen von Platzek und Pofalla nach Baku ins Ölland Aserbaidschan berichtet. Dort sollte der Petersburger Dialog wieder aufleben – der von der Bundesregierung längst eingestellt wurde.
Lynchs Initiative könnte also nicht nur von geschäftlichen Interessen geleitet sein. Er könnte versuchen wollen, Russland als Gaslieferant wieder ins Gespräch zu bringen und die amerikanische Kontrolle der Leitung als notwendiges Übel für Moskau in die Verhandlungen einbringen.
- washingtonpost.com: "American businessman makes play for Russian natural gas pipelines" (englisch)
- zeit.de: "Die Baku-Connection"