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Angriffe auf die Hisbollah: Wie das Spitzelnetzwerk von Israel funktioniert


Angriffe auf die Hisbollah
Den entscheidenden Hinweis lieferte ein Maulwurf


30.09.2024 - 18:09 UhrLesedauer: 5 Min.
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Ein Hisbollah-Anhänger hält ein Foto des getöteten Terroristenführers Hassan Nasrallahs hoch: Israels Geheimdienste hatten die Organisation zuvor infiltriert. (Quelle: Nabil al-Jurani/AP/dpa)

Israel gelangen zuletzt zahlreiche Treffer gegen die Hisbollah. Sie sind das Ergebnis langjähriger Vorbereitungen und eines weitverzweigten Spitzelnetzwerks.

Mit beispielloser Präzision gelingt Israel in den vergangenen Wochen ein Schlag nach dem anderen gegen die Hisbollah. Der Tod des Anführers Hassan Nasrallah am Freitag war dabei der Gipfel zahlreicher Anschläge gegen die schiitische Terrororganisation. Die kurze Zeitspanne und hohe Dichte der Erfolgsmeldungen vermitteln zeitweise den Eindruck, Israel könne die Strukturen der Hisbollah beliebig angreifen und vernichten.

Schließlich hatte Israel vor Nasrallah bereits andere namhafte Hisbollah-Akteure ausgeschaltet. Rund zwei Monate zuvor hatte Israel den Hisbollah-Militärchef Fuad Schukr eliminiert, dann explodierten vor zwei Wochen zahlreiche Pager – 37 Menschen starben. Auch diesen Schritt hatte Israel laut der "New York Times" über Jahre vorbereitet und eine Scheinfirma in Budapest gegründet, die an der Produktion der Geräte beteiligt war.

2006 änderte sich alles

Kurz darauf tötete ein Luftangriff in Beirut eine Gruppe von mehr als einem Dutzend militärischer Eliteführer, darunter Ibrahim Akil. Dann folgte der Tod Nasrallahs. Bereits am Sonntag starb ein weiterer Hisbollah-Kommandeur, getroffen durch eine einzelne Bombe. Aber das wird von den Medien kaum noch wahrgenommen. Zu normal sind die israelischen Angriffe geworden.

Doch dass Israel nun innerhalb weniger Wochen präzise einen großen Teil der Führungsriege ausgeschaltet hat, ist das Ergebnis jahrelanger intensiver Vorbereitungen. Diese wurden in den vergangenen beiden Jahrzehnten konsequent und mit hohem Aufwand betrieben. Grundlage ist eine umfassende Reform der Nachrichtendienste und der Aufbau eines beispiellosen Spionagenetzwerks. Angefangen hat alles 2006, als Israel bei ähnlichen Missionen kaum Erfolgsmeldungen verbreiten konnte.

Damals befand sich Israel bereits im Krieg gegen die Hisbollah. Dreimal versuchte das Militär zu der Zeit, Nasrallah zu töten, stets misslang es. Israel konnte die Hisbollah einfach nicht besiegen. Schließlich vermittelten die Vereinten Nationen nach 34 Tagen einen Waffenstillstand – und Israel begann in der Folge die Arbeit, von der es heute profitiert.

"Sisyphusarbeit" für den Geheimdienst: Drohnen fotografieren alles

So berichten Regierungsmitarbeiter der "Financial Times" von einer umfassenden Neuausrichtung der israelischen Geheimdienstbemühungen gegenüber der Hisbollah. Zuvor war es den Diensten nicht gelungen, entscheidende Informationen über den Gegner einzuholen. Insbesondere die "Unit 8200", eine Einheit des Militärgeheimdienstes Aman zur elektronischen Aufklärung, intensivierte ihre Bemühungen, die Terrorgruppe auszukundschaften.

Sie entwickelte Programme, um Mobiltelefone und andere Kommunikation der Hisbollah besser abhören zu können. Zudem wurden innerhalb der Kampftruppen neue Teams gebildet, um sicherzustellen, dass wertvolle Informationen schnell an die Soldaten und die Luftwaffe weitergegeben werden konnten.

Ein wichtiges Instrument war laut verschiedenen Medienberichten offenbar auch die Überwachung mit Drohnen und modernsten Satelliten. Dank dieser technischen Hilfsmittel konnten Hochburgen der Hisbollah kontinuierlich fotografiert und Veränderungen an Gebäuden dokumentiert werden. Immer wieder wurden die Aufnahmen miteinander verglichen. Ein ehemaliger israelischer Geheimdienstmitarbeiter bezeichnete die Arbeit in der "New York Times" als "Sisyphusarbeit". Doch diese zahlte sich jetzt offenbar aus. Viele dieser überwachten Gebäude griff die Armee zuletzt an.

Kilometerzähler und Fernbedienung: Israel gewinnt zahlreiche Daten

Auch die Überwachung einzelner Personen durch den Auslandsgeheimdienst Mossad ist maßgeblich. Sind Hisbollah-Mitglieder einmal identifiziert, speisen die Geheimdienste oftmals tägliche Bewegungsmuster in eine riesige Datenbank ein, berichtet die "Financial Times". Die Daten stammen demnach etwa von dem Handy der Ehefrauen, dem Kilometerzähler der Autos oder dem Standort der eigenen Mobiltelefone. Ergänzt werden sie um Informationen aus weiteren Geräten wie Drohnen, einer gehackten Überwachungskamera, an der sie zufällig vorbeikommen, oder dem Mikrofon der Fernbedienung eines modernen Fernsehers.

Speziell ist dabei auch, dass Israels Geheimdienste sich von denen anderer Länder unterscheiden, indem sie deutlich risikobereiter sind und vor weniger rechtlichen Hürden stehen. Das berichten ehemalige US-amerikanische und israelische Offizielle der "New York Times". So soll Israel verdeckte Kommandoeinheiten tief in den Libanon eingeschleust haben, um sensible Missionen zu beginnen.

"Und sie sind außerordentlich geduldig", erklärt Chip Usher, ein ehemaliger Nahost-Analyst der CIA, der "New York Times" über die israelischen Geheimdienste. "Sie verstehen, dass dies ein langwieriger Konflikt war und sein wird." So sammelte "Unit 8200" über Jahre hinweg wichtige Informationen, ohne sie direkt einzusetzen.

Vereinzelte Schläge setzte das Militär dennoch. Der Mossad arbeitete 2009 mit der CIA zusammen, um in Syrien den Hisbollah-Agenten Imad Mugniyah zu töten. 2020 hatte Israel Informationen, dass sich Hisbollah-Chef Nasrallah mit General Qassim Suleimani, einem Kommandeur der iranischen Al-Quds-Brigaden, treffen sollte. Doch Israel verzichtete auf einen Angriff auf Nasrallah. Stattdessen eliminierten die USA Suleimani bei einem Drohnenangriff auf den Flughafen von Bagdad.

"Wir hätten diese Fähigkeit schon früher nutzen können"

"Israel verfügte über zahlreiche Fähigkeiten und Informationen, die nur darauf warteten, genutzt zu werden", sagte ein ehemaliger Regierungsvertreter der "Financial Times". "Wir hätten diese Fähigkeiten schon viel früher während dieses Krieges nutzen können, aber das haben wir nicht getan."

Zudem habe der israelische Geheimdienst seinen Blick über den militärischen Flügel hinaus auf die gesamte Hisbollah erweitert. Auch ihre politischen Ambitionen, ihre wachsenden Verbindungen zu den iranischen Revolutionsgarden sowie Nasrallahs Verhältnis zu Syriens Präsident Baschar al-Assad gerieten in den Fokus. Doch gerade die letztere Verbindung erleichterte Israel das Ausspionieren der Hisbollah.

"Syrien war der Beginn der Expansion der Hisbollah", sagt Randa Slim, Programmdirektorin am Middle East Institute in Washington der "Financial Times". "Das schwächte ihre internen Kontrollmechanismen und öffnete die Tür für eine Infiltration auf großem Niveau."

Zudem fällt es Israel im weitläufigen Libanon offenbar leichter, eigene Leute einzuschleusen, als im dicht besiedelten Gazastreifen. Zusätzlich erleichtert die enorme libanesische Wirtschaftskrise, dort Spitzel zu gewinnen. Auch sogenannte Märtyrerplakate mit Informationen zu den getöteten Kämpfern brachten israelischen Spionen Erkenntnisse zu Hisbollah-Akteuren – ebenso wie Beerdigungen, zu denen die Hisbollah-Führer zuletzt häufig reisen und so ihren Standort wechseln mussten.

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Iranischer Maulwurf soll Israel geholfen haben

Und so war auch Hisbollah-Anführer Nasrallah offenbar vom Begräbnis des Luftwaffen-Chefs Muhammad Hussein Srour in das Hisbollah-Versteck zurückgekehrt, als Israel das Gebäude mit 80 Raketen tief unter der Erde angriff und eliminierte. Die entscheidende Information soll laut "Le Parisien" von einem iranischen Maulwurf gekommen sein.

Laut dem israelischen Portal "Hayom" erlangten weitere Geheimdienst-Informanten vor dem Angriff die Daten über die Tiefe des Bunkers und die Lage des Raums, in dem sich Nasrallah und die Kommandanten befanden. Dadurch konnten die Piloten präzise bestimmen, in welchem Winkel sie den Bunker beschießen mussten. Trotz der zahlreichen Anschläge der vergangenen Wochen soll sich der Hisbollah-Anführer wohl 50 Meter unter der Erde hinter meterdickem Stahlbeton sicher gefühlt haben. Er soll es etwa abgelehnt haben, weitere Verstecke dieser Qualität bauen zu lassen.

Verwendete Quellen
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