Frankreich Macrons riskantes Spiel: Mit Neuwahl gegen Rechtsruck?
Nach der Schlappe bei der Europawahl zieht Macron drastische Konsequenzen. Mit einer Parlamentsneuwahl will er seine Mehrheit ausbauen und die Rechtsnationalen bremsen. Es ist ein gewagter Poker.
Nach dem haushohen Gewinn der Rechtsnationalen bei der Europawahl in Frankreich will Präsident Emmanuel Macron den weiteren Vormarsch der Truppe um Marine Le Pen mit einem gewagten Schritt aufhalten. Schon in wenigen Wochen sollen die Französinnen und Franzosen die Nationalversammlung neu wählen. Macron, um dessen Posten es bei dem Votum nicht geht, hofft auf eine größere Mehrheit seines Mitte-Lagers für seine verbleibenden drei Jahre Amtszeit. "Wir treten an, um zu gewinnen", hieß es aus Macrons Umfeld. Nur wie?
Regierung seit langem unter Druck
Während Macron auf der internationalen Bühne gerne den Vorreiter gibt, kämpft sich sein Lager zu Hause schon seit knapp zwei Jahren in der Nationalversammlung ab. Denn es hatte dort keine absolute Mehrheit mehr und konnte angesichts der vorherrschenden Kampf- und Konfrontationskultur in der Kammer nur äußerst mühselig und häufig mit harter Hand und Umgehung von Abstimmungen ihre Vorhaben durchsetzen. Schon seit längerem schwelte ein drohendes Misstrauensvotum im Herbst über der Regierung. Die krachende Niederlage bei der Europawahl, in der Macron und seine Verbündeten nicht einmal die Hälfte der Stimmen einholten, die das rechtsnationale Rassemblement National (RN) auf sich vereinte, setzte den Präsidenten weiter unter Druck. Nun wagt er die Flucht nach vorn.
Macron will Mehrheit ausbauen, aber mit wem?
Macron setzt auf Klarheit und meint damit, dass er seine relative Mehrheit ausbauen will. Doch mit wem? Das ist bisher vollkommen unklar. Der Chef der Präsidentenpartei Renaissance, Stéphane Séjourné, streckte bereits die Hand aus: Man wolle überall dort, wo aktuell Abgeordnete aus dem republikanischen Feld, die sich für ein klares Projekt für Frankreich einsetzen wollen, im Parlament sitzen, keine Gegenkandidaten aufstellen. Berichten zufolge soll das für Abgeordnete aller Parteien mit Ausnahme von RN und der Linkspartei La France insoumise gelten.
Die Républicains, für die es nach Jahren im Abwärtskurs ums politische Überleben geht, erteilten einer Kooperation mit Macron noch am Sonntagabend eine klare Absage. Grüne und Sozialisten kritisierten die Entscheidung des Präsidenten, die Parlamentskammer aufzulösen zumindest scharf. Möglicherweise kann Macron davon profitieren, dass das linke Lager von seinem Schritt überrascht wurde und sich erst einmal intern sortieren muss.
Sollte Macron bei den Rechtsnationalen auf einen Vorsprung durch den Überraschungseffekt gehofft haben, hat er sich verkalkuliert. Aus der Partei hieß es, dass es bereits Pläne für eine Parlamentsauflösung und vorgezogene Neuwahlen samt Kandidatenliste gebe. Le Pen zeigte sich noch am Sonntagabend selbstsicher und bereit, Macht zu übernehmen.
Angst vor der Implosion
Die Angst ist in Teilen Frankreichs groß, dass Macrons Schuss nach hinten losgehen könnte. RN, das Le Pen mit ihrem jahrelangen "Entteufelungskurs" bis weit in die bürgerliche Mitte hinein wählbar gemacht hat, holte immerhin in mehr als 90 Prozent der französischen Gemeinden die meisten Stimmen bei der Europawahl. Sollten die Rechtsnationalen die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erhalten, wäre Macron faktisch gezwungen, einen von ihnen zum Regierungschef zu ernennen.
Ob ein solches Szenario eintreten könnte, ist vollkommen ungewiss. Bei der Parlamentswahl 2022 war das Macron-Lager auf 245 Sitze gekommen, RN nur auf 89. Sollte RN die Mehrheit holen, wäre das beachtlich. Eine Umfrage vom Dezember mitten im aufgeheizten Streit um das Immigrationsgesetz deutete jedoch auf erheblichen Stimmzuwachs für RN hin - möglicherweise bis zur Mehrheit. Auch wenn unklar ist, was kommt, lehrt die Geschichte, dass Macrons Spiel riskant ist. Als der damalige konservative Präsident Jacques Chirac 1997 die Nationalversammlung auflöste, büßte sein Lager bei der Neuwahl die absolute Mehrheit ein und die Sozialisten gewannen die Oberhand.
Die Ernennung eines Premiers aus einem anderen Lager tat Macrons Umfeld dennoch ab. "Der Präsident folgt dieser Logik nicht." Es gebe eine Mehrheit für Parteien, die nicht die Werte der Rechtsextremen teilten. Klar ist, Macron will die Parlamentswahl zu einem gemeinsamen Kampf gegen Rechts deklarieren.
Folgen für Deutschland und Europa
Sollte Macrons Poker nicht aufgehen, wäre das für Deutschland und Europa fatal. Macron würde deutlich an Macht verlieren und könnte seinen außenpolitischen Kurs nicht mehr so einfach durchsetzen. Ein Kompromisskurs zwischen Europafreund Macron sowie Euroskeptiker und RN-Chef Jordan Bardella, der auch auf mehr Abstand zu Deutschland gehen will, ist nur schwer vorstellbar. Auch innenpolitisch dürfte Frankreich dann in eine chaotische Situation abrutschen, in der es international nicht mehr der derzeit verlässliche Partner sein kann.
Gelingt es Macron hingegen, tatsächlich stabilere Mehrheitsverhältnisse zu schaffen, könnte das auch den internationalen Partnern zugutekommen, weil der Staatschef dann nicht immer wieder Zeit und Energie aufbringen muss, das innenpolitische Schwelfeuer zu löschen. Fest steht jedoch, dass Macron und auch Außenminister Séjourné, der den Wahlkampf der Präsidentenpartei organisiert, in den kommenden vier Wochen international wohl kürzertreten werden. Die Partner müssen bereits beim G7-Gipfel in wenigen Tagen in Italien mit einem Macron im Wahlkampfmodus und den Blick aufs Inland gerichtet rechnen.
Frankreich blickt aufs Jahr 2027
Macron und sein Lager betonen rund um die Parlamentsneuwahl gebetsmühlenartig, dass der Präsident der einzige politische Verantwortliche sei, der mit Blick auf die nächste Präsidentschaftswahl 2027 kein persönliches Interesse habe. Doch so einfach ist das Ganze nicht. Zwar wird Macron nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten können. Doch will der Liberale um jeden Preis verhindern, den Weg für eine rechtsnationale Präsidentin geebnet zu haben. Wäre sein Erbe, Le Pen zu seiner Nachfolge verholfen zu haben, wäre Macrons Kurs gescheitert.
- Nachrichtenagentur dpa