Krieg in Nahost Baerbock bei Krisengesprächen: Besonnenheit gegenüber Iran
Die Lage in Nahost nach dem Angriff des Irans ist brandgefährlich. Israel will reagieren, seine Partner rufen dagegen zu Mäßigung auf. Netanjahu will sich aber nicht hereinreden lassen. Die News.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat den Iran und Israel angesichts des drohenden Flächenbrands im Nahen und Mittleren Osten zu "maximaler Zurückhaltung" aufgerufen. Bei Krisengesprächen in Israel mahnten Baerbock und ihr britischer Amtskollege David Cameron ein besonnenes und verantwortungsvolles Handeln an.
Mit Blick auf den iranischen Angriff auf Israel am Wochenende und eine mögliche Reaktion Israels sagte Baerbock, man wolle verhindern, "dass aus der brandgefährlichen Lage in Nahost ein regionaler Flächenbrand wird". Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte nach Treffen mit den beiden, er schätze zwar "Vorschläge und Ratschläge". Israel werde jedoch seine Entscheidungen selbst treffen und "alles Notwendige tun, um sich selbst zu verteidigen".
Zurückhaltung als Stärke
Baerbock erklärte in Tel Aviv vor ihrem Abflug zu einem Treffen der Gruppe sieben großer Industrienationen (G7) auf der italienischen Insel Capri, sie erwarte von Israel keineswegs, "klein beizugeben". Sie spreche vielmehr von "einer klugen Zurückhaltung, die nichts weniger ist als Stärke". Israel habe mit seinem "Defensivsieg" am Wochenende bereits Stärke gezeigt. Das Land habe dem Iran damit deutlich gemacht hat, wie sehr Teheran sich verrechnet habe und in der Region isoliert dastehe.
"Die Länder der Region wollen nicht zum Ersatzkriegsfeld werden", so die Grünen-Politikerin. "Die Region darf nicht Zug um Zug in eine Lage hineinrutschen, deren Ausgang völlig unabsehbar ist." Sie warnte zudem die proiranische Hisbollah-Miliz im Libanon sowie die Huthis im Jemen vor weiteren Eskalationen. Bei einem Hisbollah-Angriff auf Israels Norden wurden am Mittwoch 13 Menschen verletzt, vier davon schwer.
Irans gefährliches Vorgehen werde nicht ohne weitere Konsequenzen bleiben, sagte Baerbock und beteuerte die Solidarität mit Israel. Der Iran und seine Verbündeten dürften "kein Öl ins Feuer gießen". Die EU habe Teheran bereits mit massiven Sanktionen belegt und werde weiter daran arbeiten.
"Mit einer Eskalationsspirale wäre niemandem gedient", warnte die Grünen-Politikerin. Dies gelte sowohl für die Sicherheit Israels, die vielen Dutzend Geiseln in den Händen der Hamas, die Bevölkerung Gazas, die "vielen Menschen in Iran, die selbst unter dem Regime leiden", und auch für andere Staaten der Region. Sie fügte hinzu: "Als G7 sprechen wir mit einer Stimme: Alle Akteure in der Region sind zu maximaler Zurückhaltung aufgefordert."
Israel plant militärische Antwort auf Irans Großangriff
Israel will nach eigenen Angaben militärisch auf den ersten Direktangriff des Irans reagieren. Netanjahu hatte am Dienstag nach Angaben des israelischen Kan-Senders bei einem Treffen mit Ministern seiner Likud-Partei gesagt: "Wir werden auf den Iran reagieren, aber man muss es klug anstellen und nicht aus dem Bauch heraus. Sie müssen nervös sein, so wie sie uns nervös gemacht haben." Das israelische Fernsehen berichtete am Mittwoch, es gebe eine ganze Reihe möglicher Ziele eines solchen Gegenschlags. Dazu zählten etwa die iranischen Ölfelder und Militärstützpunkte, aber möglicherweise auch die Atomanlagen des Landes. Auch Angriffe zur See oder auf Einrichtungen der Iranischen Revolutionsgarden in Syrien seien denkbar.
Irans Präsident Ebrahim Raisi warnte erneut vor einer "verheerenden" Antwort seines Landes, sollte Israel auch nur die geringste "Aggression" gegen den Iran ausüben. Bei dem Großangriff auf Israel am Wochenende haben der Iran und seine Helfershelfer nach Angaben des israelischen Verteidigungsministers Joav Galant mehr als 500 Geschosse abgefeuert. Fast alle davon konnten jedoch von Israel und seinen Verbündeten abgefangen werden. Auslöser der Attacke war ein mutmaßlich israelischer Angriff auf die iranische Botschaft in der syrischen Hauptstadt Damaskus gewesen, bei dem zu Beginn des Monats unter anderem zwei Generäle der iranischen Revolutionsgarden getötet wurden.
In Jerusalem traf die Grünen-Politikerin am Mittwochmorgen gemeinsam mit Cameron auch den israelischen Staatspräsidenten Izchak Herzog. Es ist der siebte Israel-Besuch Baerbocks seit dem Terrorüberfall der islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober. Herzog sagte: "Die ganze Welt muss entschieden und standhaft gegen die Bedrohung vorgehen, die das iranische Regime darstellt, das die Stabilität in der ganzen Region untergraben will." Israel sei eindeutig verpflichtet, sein Volk zu verteidigen.
Sorge um Geiseln und Hilfe für Zivilbevölkerung in Gaza
Neben dem Iran waren auch die Bemühungen um die Freilassung der Geiseln aus den Händen der Hamas und die humanitäre Lage der notleidenden Zivilbevölkerung im Gazastreifen, wo Israel die Islamisten bekämpft, Themen in Jerusalem. Es seien auch "noch etliche deutsche Staatsangehörige in den Händen der brutalen Terroristen", darunter ein einjähriges Baby, sagte Baerbock. Der Hamas-Chef im Gazastreifen, Jihia al-Sinwar, spiele ein zynisches Spiel mit den Geiseln sowie der eigenen Bevölkerung.
"Die sofortige Rückkehr aller Geiseln, die von der Hamas in Gaza festgehalten werden, hat für uns - und die internationale Gemeinschaft - weiter höchste Priorität", sagte auch Herzog nach dem Treffen mit der Außenministerin. Gleichzeitig erhöhe man "dramatisch" die humanitären Hilfsleistungen für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Baerbock sagte, den Menschen in Gaza fehle es "immer noch an allem, ausreichend Wasser, Nahrung und Medikamente, denn davon kommt weiter zu wenig an, vor allem über den so wichtigen Landweg". Israel hatte zuletzt einen weiteren Übergang im Norden des Gazastreifens geöffnet.
Neue Sanktionen gegen den Iran als Kriegsbremse
Die USA und die EU wollen mit weiteren Sanktionen gegen den Iran nach dessen Großangriff auf Israel einen neuen Krieg im Nahen Osten verhindern. Die Sanktionen richteten sich unter anderem gegen das Raketen- und Drohnenprogramm der Islamischen Republik und würden mit Verbündeten wie den G7-Staaten koordiniert, teilte der Sicherheitsberater des US-Präsidenten, Jake Sullivan, am Dienstagabend (Ortszeit) in Washington mit. Kurz zuvor hatte auch EU-Chefdiplomat Josep Borrell neue Sanktionen angekündigt.
Scholz: Ansatzpunkt für Terrorlistung von Irans Revolutionsgarden
Bundeskanzler Olaf Scholz sieht einen möglichen Ansatz für die von Israel geforderte Einstufung der iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation. Es gebe ein Urteil zu der Frage der Aktivitäten dieser Organisation, erklärte Scholz am Abend am Rande des EU-Gipfels. Dies könnte ein Ausgangspunkt für die Listung der Revolutionsgarden sein. Eine juristische Prüfung in der EU zu dem Thema laufe derzeit.
Eine Einstufung der iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation wird von Israel bereits seit langem gefordert, nach dem iranischen Angriff war dies noch einmal bekräftigt worden. In der Vergangenheit hatte die EU immer betont, eine Terror-Listung der Garden sei derzeit rechtlich nicht möglich, weil es dafür eine nationale Gerichtsentscheidung oder Verbotsverfügung einer Verwaltungsbehörde brauche.
Armee: Erstmals Gaza-Hilfsgüter über Hafen von Aschdod abgewickelt
Erstmals seit der Öffnung des Hafens von Aschdod in Südisrael für Hilfslieferungen in den Gazastreifen wurden Hilfsgüter für das Küstengebiet über den Hafen abgewickelt. Acht Transporter mit Mehl seien dort kontrolliert und dann in den Gazastreifen gebracht worden, teilten Israels Armee sowie die für Kontakte mit den Palästinensern und humanitäre Hilfe zuständige israelische Cogat-Behörde am Abend mit. Die Lkw des Welternährungsprogramms (WFP) seien allerdings über den Grenzübergang Kerem Schalom im Süden in das Küstengebiet gefahren - nicht über Erez im Norden des Gazastreifens, dessen Öffnung Israel ebenfalls jüngst angekündigt hat. Kerem Schalom wird schon länger für Hilfslieferungen genutzt.
Der Schritt sei "Teil der neuen Phase der humanitären Kampagne Israels", sagte ein Sprecher der Cogat-Behörde am Mittwoch in einer Videobotschaft. Die Abwicklung der Hilfsgüter über den Hafen von Aschdod bedeute eine zusätzliche Route für die humanitäre Hilfe für den Gazastreifen. Zudem sei damit ein weiterer Kontrollpunkt für die Hilfen geschaffen worden. Israel inspiziert aus Angst vor Waffenschmuggel alle Hilfstransporte, ehe sie in das palästinensische Küstengebiet einfahren dürfen.
- Nachrichtenagentur dpa