Migrationsabkommen Vorwurf: EU-Geld wandert in die Hände von Diktatoren
EU-Abgeordnete warnen vor einem Migrationsabkommen mit Ägypten. Schon in Tunesien sei Geld dafür umgeleitet worden.
Mehrere EU-Abgeordnete werfen der EU-Kommission vor, ein "Geldbeschaffer für Diktatoren" zu sein. Konkret wird der Fall von 150 Millionen Euro genannt, die Tunesien für Entwicklung und Migrationshilfe gegeben wurden, und die direkt in die Hände des Präsidenten Kais Saied gewandert seien. Auch ein ähnliches Abkommen mit Ägypten steht in der Kritik.
Die Abgeordneten aus den Ausschüssen für Menschenrechte, Justiz und Auswärtige Angelegenheiten werfen der Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen vor, entsprechende Anfragen zu den Zuwendungen nicht beantwortet zu haben, berichtet der britische "The Guardian". Auf einer Pressekonferenz haben man Bedenken vorgebracht, dass dies kein Einzelfall sei, heißt es.
"Es scheint, dass wir Diktatoren in der ganzen Region finanzieren. Und das ist nicht das Europa, das wir sehen wollen. Das ist nicht der Platz, den die EU in der Welt einnehmen sollte", wird der französische Europaabgeordnete Mounir Satouri, Mitglied des parlamentarischen Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, zitiert. Er behauptet, das Geld für Tunesien sei umgeleitet worden. Es sei nicht wie geplant in ein EU-Projekt geflossen, sondern direkt dem Präsidenten zur Verfügung gestellt worden. Beweise, wo die EU-Hilfen gelandet sind, legten die Politiker aber nicht vor.
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EU-Außenbeauftragter Borell warnte vor Abkommen
Andere EU-Parlamentarier beklagen, dass es in Tunesien eine Machtverschiebung unter Saied in Richtung autoritäres Regime gegeben habe, die EU sende aber dennoch Finanzhilfen.
Das Abkommen war im Juli 2023 geschlossen worden, schon damals gab es Kritik an der schnellen Verabschiedung. Ziel sollte eine Eindämmung von Migranten sein, die in die EU kommen wollen. Der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrel, hatte in einem internen Brief sogar Bedenken vorgebracht. Dieses Vorgehen sei kein Beispiel für ähnliche Abkommen, schrieb er laut "Guardian".
Von der EU-Kommission gab es laut "Guardian" jetzt die Antwort, dass Parlamentarier in ihrer Meinungsäußerung frei seien. Es sei aber besser, Partnerschaften zu schaffen, und die Demokratie und Menschenrechte zu verbessern als die Beziehung abzubrechen, wird ein Sprecher zitiert. Man sei sich der Menschenrechtsproblematik bewusst und man spreche diese an, wird ein EU-Sprecher zitiert.
Bruch im Demokratisierungsprozess
Tunesien scheint sich immer weiter von demokratischen Grundsätzen zu entfernen. Durch Machtkämpfe in der Staatsführung, häufige Regierungswechsel, eine stark zersplitterte Parteienlandschaft und eine weit verbreitete Korruption ist der Reformprozess ins Stocken geraten, beschreibt das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Situation. Die Lebensumstände der Bevölkerung hätten sich seit dem politischen Umbruch vor zehn Jahren nicht spürbar verbessert. Die erhoffte "Demokratiedividende" sei ausgeblieben.
Ende Juli 2021 übernahm Staatspräsident Kais Saied die Regierungsgeschäfte und löste das Parlament auf. Es kam zu einem Bruch im Demokratisierungsprozess, Ende Juli 2022 wurde per Referendum zudem eine neue Verfassung eingeführt, die die Gewaltenteilung weiter schwächt und eine weitgehende Machtkonzentration auf Staatspräsident Saied vorsieht.
Von der Leyen soll mit Ägypten Abkommen unterzeichnen
Tunesien ist dabei kein Einzelfall. Denn jetzt will die EU auch Geld nach Ägypten schicken. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen soll am kommenden Sonntag zusammen mit den Regierungschefs von Griechenland, Italien und Belgien ein entsprechendes Abkommen unterzeichnen, meldete der griechische Migrationsminister Dimitris Kairidis am Mittwoch.
In diesem Abkommen werden Ägypten Hilfen in Höhe vom 7,4 Milliarden Euro angeboten, vornehmlich als Kredit. Als Gegenleistung erwarte die EU mehr Arbeit der ägyptischen Regierung beim Thema Migration, sagte Kairidis dem "Guardian".
Er ergänzte: "Ich habe meinen Kollegen immer wieder gesagt, dass wir Ägypten unterstützen müssen, das bei der Steuerung der Migration so hilfreich und für die Stabilität Nordafrikas und des gesamten Nahen Ostens so wichtig ist. Obwohl es etwa neun Millionen Flüchtlinge in Ägypten gebe, habe bislang kein Boot das Land verlassen, gab der Minister als Nachweis von funktionierenden Kontrollen an.
Um die Menschenrechte in Ägypten ist es schlecht bestellt. Seit dem Amtsantritt von Präsident Abdel Fatah al-Sisi 2014 haben sich nach Einschätzung der deutschen Bundesregierung die Handlungsspielräume für die Zivilgesellschaft und die politische Opposition zunehmend verengt. Die Gewaltenteilung ist nicht mehr gewährleistet, die Lage der Menschenrechte ist besorgniserregend. Die Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen sind stark eingeschränkt. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stehen zunehmend unter Kontrolle des Militärs.
Der französische EU-Politiker Mounir Satouri, der auch der Berichterstatter des EU-Parlaments für Ägypten ist, forderte: "Wir müssen sicherstellen, dass demokratische Prozesse gefolgt werden, bevor Geld fließt. Das sind nicht die privaten Mittel vom Kommissar Várhelyi, es sind EU-Mittel." Olivér Várhelyi ist der zuständige Kommissar für die Erweiterung und europäische Nachbarschaftspolitik. Man dürfe nicht den gleichen Fehler wie in Tunesien machen.
EU-Abgeordnete: "So sollte Team Europa keine Außenpolitik betreiben"
Der deutsche CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler, der im vergangenen Jahr von den tunesischen Behörden daran gehindert wurde, das Land zu besuchen, sagte, das tunesische Volk dürfe angesichts der "autokratischen Herrschaft von Saied" und des wirtschaftlichen Niedergangs nicht im Stich gelassen werden.
"Deshalb müssen wir sicherstellen, dass die Gelder der europäischen Steuerzahler wirklich dem tunesischen Volk und der Zivilgesellschaft zugutekommen, und deshalb muss klar sein, dass die europäische Finanzierung für Tunesien zu diesem Zweck angemessen mit Bedingungen verbunden sein muss", sagte er bei der Pressekonferenz.
Die dänische Europaabgeordnete Karen Melchior, Koordinatorin des Justizausschusses, kritisierte die Tunesien-Hilfe. "Ein Abkommen mit Präsident Saied zu unterzeichnen, der weiterhin die Opposition und die Demokratie in Tunesien unterdrückt – das ist nicht die Art und Weise, wie die EU handeln sollte. Das ist nicht die Art und Weise, wie das Team Europa seine Außenpolitik betreiben sollte."
Sara Prestiannini von der Nichtregierungsorganisation EuroMed Rights stieß ins gleiche Horn. Sie fürchtet, dass auch mit Ägypten keine Bedingungen zu Menschenrechten ausgehandelt werden. "Es wäre ein Fehler, vor allem, wenn der Tunesien-Deal in Ägypten wiederholt wird."
- bmz.de: "Land im Umbruch"
- the guardian.com: "European Commission accused of ‘bankrolling dictators’ by MEPs after Tunisia deal" (englisch)
- theguardian.com: "EU states expressed ‘incomprehension’ at Tunisia migration pact, says Borrell" (englisch)
- bmz.de: "Wichtiges Bindeglied zwischen Afrika und dem Nahen Osten"