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Julian Assange vor Gericht: Ihm droht die Auslieferung in die USA


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Mehr als 100 Jahre Haft drohen
Für ihn geht es jetzt um alles


Aktualisiert am 20.02.2024Lesedauer: 7 Min.
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Wikileaks-Gründer Julian Assange: So könnte es mit ihm weitergehen. (Quelle: dpa)

In den USA drohen ihm 175 Jahre Haft: Am Dienstag beginnt in London die Gerichtsverhandlung um Julian Assange. Es geht darum, ob Großbritannien ihn an die Vereinigten Staaten ausliefert.

Sascha Zastiral berichtet aus London.

In den vergangenen Jahren ist es vergleichsweise ruhig geworden um Julian Assange. Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks sitzt seit seiner Festnahme in der ecuadorianischen Botschaft 2019 im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Osten Londons. 2022 genehmigte die damalige britische Innenministerin Priti Patel Assanges Auslieferung an die USA.

Sein Anwaltsteam versucht seitdem, diese mit allen Mitteln zu verhindern. Schließlich wartet auf Assange in den USA eine Anklage wegen Spionage. Ihm drohen dort 175 Jahre Haft.

Nur der Europäische Gerichtshof könnte die Abschiebung stoppen

Doch mit der Ruhe ist es nun vorbei. Diese Woche geht es für den 52-jährigen Australier um alles: Am Dienstag und am Mittwoch werden sich die Richter des High Court in London vor einem vollgepackten Gerichtssaal mit der Frage befassen, ob Assanges Anwaltsteam noch einmal gegen seine Auslieferung vor britischen Gerichten in Berufung gehen kann.

Scheitert der Antrag, könnte der Wikileaks-Gründer schon kurz darauf in einem Flugzeug in die USA sitzen. Hält die britische Regierung an der geplanten Abschiebung fest, könnte diese nur noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg stoppen.

Brisantes Video veröffentlicht

Assange hat seine Enthüllungsplattform 2006 gegründet. Bis zu diesem Zeitpunkt war sein Name außerhalb von Australiens Hacker-Szene praktisch unbekannt. Das änderte sich schnell: 2007 veröffentlichte Wikileaks ein 238 Seite langes Handbuch der US-Armee für Soldaten, die auf dem US-Stützpunkt in Guantánamo Bay auf Kuba Al-Qaida-Verdächtige bewachten. Das Dokument war mit dem Hinweis versehen: "Nur für den Dienstgebrauch". Es gewährte Einblicke in die täglichen Abläufe in der umstrittenen Anlage, in der die Vereinigten Staaten seit 2002 mutmaßliche Terroristen festhalten.

Im April 2010 rief Wikileaks dann weltweiten Wirbel hervor: Die Seite veröffentlichte ein 39 Minuten langes Video, das von einem US-Kampfhubschrauber aus aufgenommen war. Darin zu sehen ist ein amerikanischer Angriff auf unbewaffnete Männer auf einem Platz in Bagdad drei Jahre zuvor. Die Soldaten glaubten, dass es sich bei den Männern um bewaffnete Kämpfer handelte. Sie eröffneten das Feuer, töten mehrere von ihnen und machten sich über die Opfer lustig. Kurz darauf feuerten sie auf eine weitere Gruppe, die versuchte, die Verletzten und Getöteten zu bergen. Unter den 18 Getöteten waren zwei Journalisten der Nachrichtenagentur Reuters.

Assange wurde wie ein Popstar gefeiert

In den Monaten darauf folgten Hunderttausende geheime Dokumente aus dem Afghanistan- und dem Irakkrieg. Die brisanten Papiere dokumentierten unter anderem den Einsatz von Folter von Kriegsgefangenen durch irakische Sicherheitskräfte und legten dar, dass man in Washington intern von einer größeren Zahl an zivilen Opfern ausging, als man öffentlich zugab. Julian Assange wurde damals wie ein internationaler Popstar gefeiert und berauschte sich sichtlich an seiner Popularität.

Im November 2010 legte Wikileaks nach. Die Enthüllungsplattform begann zunächst schrittweise, vertrauliche interne Berichte und Lagebeurteilungen zu veröffentlichen, die US-Botschaften und Konsulate weltweit an das US-Außenministerium geschickt hatten. Die Dokumente stammten aus den Jahren 1966 bis 2010. Nur einige westliche Leitmedien verfügten anfangs über alle der über 250.000 Depeschen und berichteten nach und nach über deren Inhalte.

Binnen kurzer Zeit stellte Wikileaks 2011 plötzlich immer mehr der Dokumente ins Netz. Eine 1,6 Gigabyte große, verschlüsselte Datei, die alle Botschaftsdepeschen enthielt, begann im Internet zu kursieren. Eine Reihe von Pannen und Missverständnissen führte dazu, dass das Passwort bekannt wurde – und die Dokumente öffentlich zugänglich wurden. Wikileaks reagierte auf die Panne, indem es im September 2011 sämtliche Dokumente unredigiert veröffentlichte.

Kritik an Wikileaks

Regierungen und Journalisten kritisierten die Entscheidung, weil damit die Sicherheit von US-Informanten in zahlreichen Ländern gefährdet worden sei. Viele US-Diplomaten und auch zahlreiche ihrer Gesprächspartner weltweit mussten sich anschließend für ihre Einschätzungen, die in den Dokumenten einsehbar waren, kleinlaut entschuldigen. Der Vorfall löste eine schwere Vertrauenskrise gegenüber der amerikanischen Diplomatie aus.

Einige Kritiker merkten bereits damals an, dass unklar war, was Wikileaks und Assange mit der Veröffentlichung der diplomatischen Depeschen überhaupt bewirken wollten. So schrieb ein Kommentator auf der Nachrichtenwebseite "The Daily Beast": "Es gibt keine klare Philosophie hinter (Assanges) Handlungen, kein höheres Ziel, außer der freudigen Demütigung – der öffentlichen Bloßstellung – der Vereinigten Staaten, einem Land, gegen das er und seine neo-anarchistischen Kameraden seit mehr als einem Jahr ihren eigenen kleinen privaten Krieg führen."

Assange soll hohe Strafe von Informantin riskiert haben

Andere Kritiker warfen Assange vor, dass er fahrlässig mit seiner zentralen Informantin Chelsea Manning umgegangen sei. Die ehemalige Geheimdienstanalystin der US-Armee, die damals noch Bradley hieß, hatte ab 2009 heimlich eine große Zahl an Geheimdokumenten von einem Armeeserver heruntergeladen und auf CDs gebrannt. Die CDs tarnte sie als eine Sammlung von Lady Gaga-Alben, die Informationen spielte Manning anschließend Wikileaks zu.

Ein Bekannter, dem sie sich anschließend in einem Online-Chat anvertraute, informierte die US-Behörden. Das US-Militär nahm Manning im Mai 2010 fest und stellte sie wegen der Herausgabe des Hubschrauber-Videos sowie weiterer Dokumente vor ein Militärgericht. Im August 2012 verurteilte ein Militärrichter Manning zu 35 Jahren Haft, fünf Jahre später begnadigte sie der damalige US-Präsident Barack Obama.

Der Vorwurf gegen Assange und Wikileaks: Die Enthüllungsplattform hat auch nach Mannings Festnahme etliche tausend Dokumente veröffentlicht, obwohl die der ehemaligen Armee-Analystin zugeordnet werden konnten. Dass die Whistleblowerin deswegen zu einer weitaus höheren Strafe verurteilt werden konnte, nahm Assange offenbar in Kauf.

Vorwürfe wegen sexueller Belästigung und Vergewaltigung

Auch andere Entwicklungen ließen Julian Assange in einem zunehmend zweifelhaften Licht erscheinen. Zwei Frauen warfen Assange sexuelle Übergriffe während seines Stockholm-Besuchs im August 2010 vor. Schweden erließ einen internationalen Haftbefehl. Ende 2010 stellte sich Assange der britischen Polizei und wurde gegen Zahlung einer Kaution auf freien Fuß gesetzt. Er weist die Vorwürfe bis heute zurück. Seine Anwälte zogen gegen eine drohende Auslieferung nach Schweden vor Gericht.

Im Mai 2012 befand der oberste Gerichtshof in London eine Auslieferung Assanges an Schweden für zulässig. Assange floh in die ecuadorianische Botschaft in London. Dort verschanzte er sich für die folgenden sieben Jahre. Die Staatsanwälte in Schweden stellten 2015 ihre Ermittlungen zu zweien der Vorwürfe – einem wegen sexueller Belästigung und einem wegen Nötigung – ein, da ihnen die Zeit für Vernehmungen ausgegangen war. 2017 wurden auch die Untersuchungen zu einer Vergewaltigung, die Assange vorgeworfen wurde, eingestellt.

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Berichten zufolge kam es immer häufiger zu Streit zwischen Assange und seinen Gastgebern in der Botschaft. Im April 2019 hatte die Regierung des südamerikanischen Landes offenbar genug. Polizisten betraten die Botschaft und nahmen Assange fest, weil er sich dem Haftbefehl aus dem Jahr 2012 widersetzt hatte. Ein Gericht in London verurteilte Assange zu 50 Wochen Haft, weil er gegen seine Kautionsauflagen verstoßen hatte.

Assanges Auslieferung könnte Problem für Journalismus werden

Die USA erhoben kurz darauf weitere Anklagepunkte gegen Assange gemäß einem umstrittenen Spionagegesetz aus dem Jahr 1917. Seitdem drohen ihm im Falle einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft. Im Sommer 2022 genehmigte die damalige Innenministerin Priti Patel Assanges Auslieferung an die USA. Seine Anwälte versuchen seitdem, die drohende Auslieferung vor britischen Gerichten zu stoppen. Diese juristischen Bemühungen könnten nach der Anhörung vor dem High Court diese Woche enden.

Sollten die Richter des High Court nach der Anhörung entscheiden, dass der Rechtsweg für Assange in Großbritannien ausgeschöpft ist, könnten seine Anwälte noch einen Eilantrag vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg stellen. Die dortigen Richterinnen und Richter könnten sich durchaus dazu veranlasst sehen, einzugreifen.

Denn trotz aller Kontroversen um die Person Julian Assange hätte seine Verurteilung in den USA unter einem Spionagegesetz schwerwiegende Folgen für den investigativen Journalismus weltweit. Dunja Mijatović, Menschenrechtskommissarin des Europarates, forderte Patel bereits 2022 in einem offenen Brief dazu auf, der Auslieferung Assanges an die USA allein schon deswegen nicht zuzustimmen.

UN-Sonderberichterstatter: 175 Jahre Haft sind unverhältnismäßig

Mijatović betonte in ihrem Schreiben, dass die Anklage in den Vereinigten Staaten gegen Assange den Schutz von Informanten gefährde, einschließlich jener, die Menschenrechtsverletzungen aufdeckten. Eine Auslieferung Assanges könne zudem die Presse daran hindern, "ihre Aufgabe als Informationsvermittler und öffentlicher Wächter in demokratischen Gesellschaften zu erfüllen". Die britische Regierung ließ das Schreiben unbeantwortet.

Alice Jill Edwards, Sonderberichterstatterin für Folter der Vereinten Nationen, warnte vor wenigen Tagen davor, dass Assange in den USA in Einzelhaft gesteckt werden könnte, und das, obwohl bekannt sei, dass er an Depressionen leide. Die drohende Strafe von 175 Jahren Haft käme dabei einer lebenslangen Haftstrafe gleich. Das drohende Strafmaß könne die Richter in Straßburg dazu veranlassen, einzugreifen, glaubt Edwards: "Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat akzeptiert, dass grob unverhältnismäßige Strafen – die meiner Ansicht nach 175 Jahre für die gegen Herrn Assange erhobenen Anklagen bedeuten würden – und übermäßige Bestrafungen nach internationalem Recht als Misshandlung gelten."

Zahlreiche Menschenrechtsgruppen und Journalistenverbände sprachen sich ebenfalls gegen eine Auslieferung Assanges an die USA aus. Unter ihnen sind die National Union of Journalists in Großbritannien, Reporter ohne Grenzen, Amnesty International und Human Rights Watch. Auch das australische Parlament setzt sich dafür ein, Assange freizulassen.

Kritiker: London will Assange loswerden

Doch die Regierung in London steht mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auf Kriegsfuß. So hat das Gericht im Juni 2022 eine geplante, ausgesprochen umstrittene Abschiebung von Asylbewerbern nach Ruanda in letzter Minute gestoppt. Vertreter des rechten Randes bei den regierenden Tories fordern seitdem verstärkt, dass das Land die Europäische Menschenrechtskonvention verlassen und die Entscheidungen des EGMR ignorieren soll. Da das eine Reihe schwerwiegender Probleme für Großbritannien nach sich ziehen könnte – nicht zuletzt mit der EU –, dürfte London in nächster Zeit kaum so weit gehen.

Assanges Unterstützer befürchten aber, dass die Regierung in London stattdessen versuchen könnte, sich des Problems mit dem Wikileaks-Gründer ein für alle Mal zu entledigen, indem sie schnell handelt. Die Sorge: Assange könnte unmittelbar nach einer Entscheidung des High Court in einem Flieger in Richtung USA sitzen – noch bevor die europäischen Richter eingreifen können.

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