Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Putin lobt US-Präsidenten "Wir wissen nicht, ob er ehrlich ist"
Wladimir Putin wünscht sich für US-Präsident Joe Biden eine weitere Amtszeit. Seine Aussagen überraschen zunächst – doch dahinter steckt wohl Taktik, sagt eine Expertin.
Wladimir Putin lässt erneut aufhorchen. Der Kremlchef bevorzugt einen Sieg des amtierenden US-Präsidenten Joe Biden über dessen wahrscheinlichen Herausforderer Donald Trump bei den anstehenden Wahlen. "Er ist der Erfahrenere, er ist berechenbar, er ist ein Politiker alter Schule", begründete Putin dies in einem Interview für das russische Fernsehen. Er wolle aber mit jedem Präsidenten arbeiten, den die US-Bürger wählen.
Und Putin nahm Biden sogar gegen Vorwürfe in Schutz, der 81-jährige US-Präsident sei zu alt für eine weitere Amtszeit. Schon bei einem Gipfeltreffen in der Schweiz 2021 habe es geheißen, dass Biden nicht mehr handlungsfähig sei, sagte Putin. "Ich habe nichts dergleichen gesehen."
- Tagesanbruch – Das Amerika-Update: Tattergreis-Alarm im Weißen Haus
Putins Aussagen verwundern zunächst. Spätestens seit der russischen Invasion in die Ukraine im Februar 2022 sind Russland und die USA wieder auf Konfrontationskurs. Bei der US-Wahl 2016 hatte Putin zudem noch auf Donald Trump gesetzt. Russland soll die Wahl sogar zugunsten Trumps beeinflusst haben. Mehr dazu lesen Sie hier. Auch Trump selbst rühmt sich immer wieder mit seinem angeblich guten Draht zum russischen Präsidenten. Hat Putin es sich plötzlich anders überlegt?
- Trump
- Haley
"Positive Bewertungen aus Putins Mund sind eher kein Vorteil im US-Wahlkampf"
Die Russlandexpertin Sarah Pagung zweifelt daran: "Das Problem bei Putin ist, dass wir nicht wissen, ob er ehrlich ist", sagt sie im Gespräch mit t-online. Hinter Putins Aussagen könnte auch ein taktisches Manöver stehen, so die Leiterin des "Berliner Forum Außenpolitik" bei der Körber-Stiftung: "Denn positive Bewertungen aus Putins Mund sind eher kein Vorteil im US-Wahlkampf. Vor allem die Wähler der politischen Mitte könnten sich deshalb von Biden abwenden."
Zur Person
Sarah Pagung (*1989) ist eine deutsche Politologin und Publizistin. Ihre Forschungsgebiete sind Russland und Osteuropa. Bis Dezember 2022 arbeitete sie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Seit 2023 ist sie Programmleiterin bei der Körber-Stiftung.
Ähnlich schätzt Boris Bondarew das Statement von Putin ein: "Dies könnte ein Versuch sein, das antirussische Publikum in den USA dazu zu bringen, Trump positiver zu sehen, obwohl ich nicht glaube, dass es so einfach funktionieren wird", sagt der russische Exil-Diplomat t-online. Bondarew veröffentlichte kürzlich das Buch "Im Ministerium der Lügen", in dem er Einblicke in die Hintergründe russischer Außenpolitik gibt und aufzeigt, warum er mit Putin gebrochen hat.
- Russischer Exil-Diplomat warnt: "Die Gefahr wächst dramatisch"
"Trump könnte genauso gut auf den Tisch hauen"
Doch möglicherweise könnte am Lob des russischen Präsidenten etwas dran sein, sagt Pagung. "Trump will zwar die Ukraine-Hilfen deutlich reduzieren, was Russland zugutekommen würde. Doch in der Vergangenheit hat sich Trump als unberechenbar und erratisch erwiesen." Und das hätten Länder wie Russland, aber auch China, erkannt. "Trump mag sich diesen Ländern manchmal anbiedern, aber er könnte genauso gut auf den Tisch hauen", so die Russlandexpertin.
In diesem Kontext stimme es, dass Putin Biden als "berechenbar" bezeichnet, sagt Pagung. Denn Trump würde vermutlich mit der früheren US-Außenpolitik brechen und etwa die Bündnispolitik der Vereinigten Staaten unterlaufen. "Biden hingegen steht eher für die traditionelle US-Außenpolitik mit zumindest einem gewissen Maß an Kooperation", sagt Pagung.
Ein Aspekt des Putin-Interviews hat die Expertin überrascht: Dass der Kremlchef auf Bidens Alter anspielt. "Möglicherweise will er damit einerseits das Trump-Lager stärken, andererseits aber auch die Aufmerksamkeit innerhalb Russlands auf diesen Umstand lenken", so Pagung. Donald Trump und seine Gefolgschaft sprechen Biden wegen seines hohen Alters regelmäßig die Fähigkeit ab, gut regieren zu könen. Trump ist selbst 77 Jahre alt. Mehr zu den Diskussionen im US-Wahlkampf lesen Sie hier.
- Telefoninterview mit Sarah Pagung
- Statement von Boris Bondarew
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa