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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erdoğan in der Krisenzange Die Wut ist groß
Konflikte mit den westlichen Partnern, Wirtschaftskrise in der Türkei: Recep Tayyip Erdoğan steckt in einem großen Dilemma. Nun startet der türkische Präsident den nächsten Erpressungsversuch.
Es war ein eigenartiges Schauspiel. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bekam bei seinem Besuch in Budapest am Montag vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán einen schwarzen Hengst geschenkt. "Ein Geschenk von einer Reiternation an eine andere", schrieb Orbán auf Facebook. Erdoğan lächelte freundlich, hielt aber Sicherheitsabstand zu dem Tier. Kein Wunder.
Mit Pferden hat der türkische Präsident schlechte Erfahrungen gemacht. 2003 wurde er bei einem Wahlkampfauftritt von einem Hengst abgeworfen und danach von dem Tier getreten. Das Video geht bis heute um die Welt und ist vor allem bei Erdoğans Kritikern beliebt. Seither verzichtet der 69-Jährige auf öffentliche Reitauftritte.
Orbán lag bei der Auswahl eines Geschenkes zwar ziemlich daneben, aber in Erdoğan sieht er einen ideologischen Bruder im Geiste. Gemeinsam blockieren sie die Nato, Ungarn lähmt außerdem die Europäische Union. Es war das Treffen zweier Regierungschefs, die mit Erpressung versuchen, ihre eigenen politischen Ziele durchzusetzen. Entsprechend groß sind Wut und Unmut in vielen westlichen Ländern.
Vor allem Erdoğan bereitet seinen Verbündeten Kopfzerbrechen.
Schulterschluss der Scharlatane
Es ist kein Zufall, dass Erdoğan und Orbán ihre "strategische Partnerschaft" zu diesem Zeitpunkt öffentlich zelebrieren. Die Türkei und Ungarn sind fest in westlichen Bündnissen verankert, beide sind in der Nato, Ungarn sogar in der Europäischen Union.
Zurzeit eint sie aber vor allem eine Tatsache: Sie möchten beide nicht ewig als die einzigen Blockierer dastehen, völlig isoliert. Die Türkei und Ungarn unterhalten weiterhin wirtschaftliche Beziehungen zu Russland, Erdoğan und Orbán haben einen autokratischen Führungsstil und sie blockieren den Nato-Beitritt Schwedens. Ein engeres Bündnis ergibt deshalb Sinn, es ist der Schulterschluss der Scharlatane.
Der Besuch Erdoğans in Budapest stand im Kontrast zu seiner Reise nach Deutschland Mitte November. In Berlin bekam der türkische Staatschef keine Pferde geschenkt. Er wurde dafür kritisiert, dass er nach dem Terrorangriff der Hamas gegen Israel gegen die israelische Führung hetzte. Nach einem heftigen Schlagabtausch mit Journalisten bei der Pressekonferenz im Kanzleramt und nach einem kurzen Abendessen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war auch schon wieder Schluss. Erdoğans Besuch wurde von den deutschen Gastgebern so kurz wie möglich gehalten. Mehr dazu lesen Sie hier.
Erdoğan scheitert
Dabei steckt der türkische Staatschef gegenwärtig in einem riesigen Dilemma. Er braucht den Westen, um seine marode Wirtschaft zu stärken und eigentlich war die Türkei auch an guten Beziehungen zu Israel interessiert, um vom Rohstoffreichtum im Mittelmeer zu profitieren. Das alles ist seit dem Hamas-Terror und dem Bombardement der israelischen Arme im Gazastreifen vom Tisch.
Nach anfänglichem Zögern stellte sich Erdoğan öffentlich hinter die Terroristen der Hamas, bezeichnete Israel als "Terrorstaat". Er tat das wohl nicht aus ideologischer Überzeugung, sondern um sich als Beschützer der muslimischen Palästinenser zu inszenieren. Und weil die Stimmung in der türkischen Bevölkerung nun mal so ist, wie sie ist: anti-israelisch.
Ein neuer Tiefpunkt, auch für den türkischen Präsidenten. Für ihn waren die vergangenen Monate ein Sinnbild des Scheiterns: Mit der Aufkündigung des Getreidedeals für die Ukraine nahm Wladimir Putin seinem Partner vom Bosporus einen wichtigen diplomatischen Erfolg. Und auch sein Versprechen, die türkische Wirtschaft zu stabilisieren, konnte Erdoğan nicht erfüllen. Im Gegenteil: Im Dezember setzte sich der Absturz der Lira im Vergleich zum Euro weiter fort.
Selbst Notenbankchefin findet keine bezahlbare Wohnung
Die wirtschaftliche Lage in der Türkei ist dramatisch schlecht. Viele Waren, die das Land importieren muss, sind für große Teile der Bevölkerung unerschwinglich geworden. Es ist eine Situation, die Erdoğans persönlicher Beliebtheit schadet. Zwar hat er die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2023 gewonnen, doch die Bevölkerung schickte ihn erst einmal in die Stichwahl. Ein Warnschuss für den AKP-Chef.
Im kommenden Jahr finden Kommunalwahlen in der Türkei statt. Diese sind durchaus wichtig, weil darüber entschieden wird, welche Partei in den großen türkischen Metropolen regiert. 2019 hatte Erdoğans AKP die Macht in Istanbul und in Ankara verloren, was der stolze Präsident bei den Wahlen 2024 korrigieren möchte. Aber dafür braucht er zwingend Erfolge.
Die Türkei braucht ausländische Devisen. Auch deshalb machte Erdoğan die Finanzmanagerin Hafize Gaye Erkan zur Chefin der türkischen Notenbank. Sie soll auf Werbetour an die Wall Street gehen, Geld eintreiben für den türkischen Staat. Doch in der Türkei machte Erkan zunächst damit Schlagzeilen, weil sie aufgrund der teuren Mieten in Istanbul wieder zurück zu ihren Eltern ziehen musste. Auch das ist ein Sinnbild der Krise.
"Furchtbar teuer" sei alles geworden, kritisiert die Notenbankchefin in einem Interview mit der türkischen Zeitung "Hürriyet". "Kann es sein, dass Istanbul teurer als Manhattan geworden ist?" Teurer als Manhattan nicht, aber die Inflation in der Türkei ist massiv: Im November lag die Teuerungsrate bei 62 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.
Nachschub für die türkische Armee
Erdoğan hat Probleme, und in solchen Situationen hat er in der Vergangenheit oft Konflikte mit seinen westlichen Partnern begonnen – als Ablenkungsmanöver. Doch auch diese Karte kann er momentan kaum ausspielen, denn das türkische Militär braucht Gerät, Ersatzteile und Munition von den Nato-Partnern. Vor allem Deutschland ist dem türkischen Präsidenten ein Dorn im Auge. Bis zum 3. Dezember bewilligte die Ampel lediglich Rüstungsexporte im Gesamtwert von 1,22 Millionen Euro. Kriegswaffenexporte wurden gar nicht mehr genehmigt.
Erdoğans aggressive Politik im Mittelmeerraum in den vergangenen Jahren gegenüber Griechenland, seine aktive Unterstützung Aserbaidschans im Krieg gegen Armenien und seine aktuelle Hetze gegen Israel haben die deutsche Zurückhaltung noch verstärkt. Hinzu kommt, dass die Türkei, trotz aller lautstarken Solidaritätsbekundungen für die Palästinenser, im Vergleich zur Bundesrepublik kaum finanzielle Hilfe leistet, erfuhr t-online von westlichen Diplomaten.
Erdoğan steht also mit dem Rücken zur Wand und er scheint nun die letzten Faustpfänder zu nutzen, die er hat: den Nato-Beitritt Schwedens und die Geflüchteten aus Syrien, für die er die Grenzen zur EU geschlossen hält. Nun geht es um Kampfflugzeuge, die die Türkei dringend benötigt, um ihre Flotte zu modernisieren. Die türkische Regierung möchte gerne F-16 von den USA oder den Eurofighter von EU-Staaten kaufen, aber der Westen zögert.
Streit um Kampfflugzeuge
Doch beim Thema Migration möchte Erdoğan aktuell keine Eskalation wagen, schließlich setzt die Türkei aktuell sehr viel daran, aufgrund von wirtschaftlichen Interessen die Beziehungen zu Griechenland zu normalisieren. Es bleibt der Nato-Beitritt von Schweden, dem der türkische Präsident eigentlich schon zugestimmt hatte. Eigentlich.
"Positive Entwicklungen in den Vereinigten Staaten in der F-16-Frage und die Einhaltung der Zusagen Kanadas werden die positive Haltung unseres Parlaments (Anm. d. Red.: zum Beitritt Schwedens) beschleunigen", sagte Erdoğan nun am Montagabend laut einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. "All das ist miteinander verbunden." Er klingt mittlerweile wie ein Mafiaboss.
Die Blockade ist insofern bemerkenswert, als die Türkei und die USA bei zahlreichen Gelegenheiten erklärt haben, der Nato-Beitritt Schwedens und die Kampfflugzeugfrage hätten eben nichts miteinander zu tun. Erdoğan scheint mittlerweile die Geduld verloren zu haben und er stößt seinen wichtigsten Verbündeten vor den Kopf. Die Lira verlor daraufhin weiter etwas an Boden.
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Im Spannungsfeld zwischen außenpolitischen Konflikten und der Wirtschaftskrise in der Türkei hatte Erdoğan zu Wochenbeginn sichtlich Freude an seinem Besuch in Ungarn. Schließlich hatte Orbán erst kürzlich ein Souveränitätsgesetz verabschiedet, das die Presse- und Meinungsfreiheit in Ungarn massiv einschränkt. Selten waren sich die beiden Regierungschefs so nahe – Brüder im Geiste eben.
Am Ende fuhren beide mit einem Elektroauto durch die Budapester Innenstadt, das Erdoğan für den ungarischen Ministerpräsidenten mitgebracht hatte. "435 für eine Pferdestärke", schrieb Orbán später auf Facebook mit Blick auf sein Geschenk, das Pferd. "Ein guter Deal." Erdoğan hingegen hat einen Verbündeten gefunden, der momentan genauso auf Eskalation setzt wie er. Das sind schlechte Nachrichten für die westliche Geschlossenheit.
- spiegel.de: Bundesregierung genehmigt kaum noch Rüstungsexporte in die Türkei
- hurriyet.com: Vatandaşın kemeri zaten sıkı (türkisch)
- tagesschau.de: Das Ende der freien Medien in Ungarn?
- Eigene Recherche